Samariter der Nation

MEXIKO Der künftige Präsident Vicente Fox empfiehlt sich als Partner der Unternehmer, Manager des Staates und Anwalt der Armen

Nachdem der überraschend deutliche Wahlsieg von Vicente Fox vom Partido Acción Nacional (PAN) bei der Präsidentschaftswahl vom 2. Juli ausgiebig kommentiert wurde, begann bald das Rätselraten über den Kurs, den er nach seinem Amtsantritt am 1. Dezember in Mexiko einschlagen würde. Neben institutionellen Reformen, die der Rechtssicherheit, der Bekämpfung von Korruption und Vetternwirtschaft und der Demokratisierung dienen sollen, waren es vor allem wirtschafts- und sozialpolitische Programmpunkte, die der Unternehmer Fox in den Vordergrund seiner Wahlkampagne gestellt hatte.

In populistischer Manier versprach er den verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen das jeweils von ihnen Begehrte: den Unternehmern Wachstum und Industrieförderung, den Arbeitern Lohnerhöhungen, den indigenen Bevölkerungsteilen kulturelle Selbstbestimmung, den Armen besondere Armutsprogramme. Einmal stellte er die Privatisierung auch der Erdölindustrie in Aussicht, dann wieder distanzierte er sich entschieden davon. Unter großen - einander mehr oder minder widersprechenden - Erwartungen unterschiedlicher Wählersegmente tritt er nun sein Amt an. Nimmt man alle vagen und widersprüchlichen Versprechen zusammen und analysiert die Bedingungen ihrer Verwirklichung (auch mit Blick auf mögliche Alliierte im Parlament, in dem der PAN und die ökologische Partei, die Fox stützt, keine absolute Mehrheit haben), so gelangt man zu folgenden Vermutungen: Wachstum und Kapitalförderung bei gleichzeitigen Produktivitätssteigerungen könnten die Basis für Lohnerhöhungen und einen Anstieg des Steueraufkommens bieten, wobei letzterer wiederum für gezielte Armutsprogramme, das Erziehungs- und Gesundheitswesen verwendet werden könnte. Abgesehen davon, dass eine derartige Konstellation keineswegs als dauerhaft und stabil gelten kann und bestimmte Proportionen und Sequenzen erfordert, hängt eine solche vergleichsweise harmonische Konfiguration von Voraussetzungen ab, die kaum gegeben sind.

Sehr wahrscheinlich ist beispielsweise, dass Fox die strikte neoliberale Linie seiner Amtsvorgänger Salinas de Gortari und Zedillo Ponce de Leon fortsetzt. Allerdings wird er sich stärker um die allgemeinen institutionellen Rahmenbedingungen von Wettbewerbsformen kümmern und vor allem die korporatistischen Elemente der PRI-Herrschaft abbauen: Ein neues Gewerkschaftsgesetz, das die Unabhängigkeit der Syndikate von Staat und Parteien sichert, dürfte im Vordergrund stehen. Für ein derartiges Projekt könnten große Teile des in der »linken Mitte« anzusiedelnden Partido de la Revolución Democrática (PRD), aber auch Teile der technokratisch-liberal orientierten Abgeordneten des Partido Revolucionario Institucional (PRI) gewonnen werden. Ob jedoch eine neue Gewerkschaftsstruktur angesichts der Arbeitsmarktbedingungen generell zu bedeutenden Lohnerhöhungen beitragen kann, muss bezweifelt werden.


    Rigide Liberalisierung

    Das am 29. Juni durch Guatemala, Honduras, El Salvador und Mexiko unterzeichnete Freihandelsabkommen tritt am 1. Januar 2001 in Kraft und ergänzt bereits bestehende Verträge mit Nikaragua und Kostarika sowie mit vier südamerikanischen Staaten. Verhandelt wird derzeit noch über eine entsprechende Vereinbarung mit Panama. Seit 1. Juli 2000 ist außerdem ein Freihandelsvertrag Mexikos mit der Europäischen Union rechtskräftig. Der Vollständigkeit halber muss bei der Bilanz dieser Liberalisierungsschritte natürlich das 1994 mit Kanada und den USA abgeschlossene Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) erwähnt werden.

Bezüglich der Erdöl- und Elektrizitätswirtschaft wird es vermutlich keine plötzliche Privatisierung geben, sondern eher eine partielle Öffnung gegenüber privaten Investoren, was mittelfristig eine staatlich-privat gemischte Unternehmensstruktur erwarten lässt. Hier wie auch beim vorgenannten Punkt wird der PAN mit modernisierungsbereiten Teilen des PRI im Kongress kooperieren können. Hinsichtlich der anvisierten Steuerreform sickerte im Vorfeld des Regierungswechsels durch, dass Fox die indirekten Steuern (auch die auf Grundnahrungsmittel und Medikamente) erhöhen wolle, was bereits einen Sturm der Entrüstung hervorrief. Eine drastische Änderung des Steuersystems in Richtung auf den Ausbau der direkten Steuern - der Gewinn- und Vermögensabgaben - mit dem Ziel einer Umverteilung ist sowohl von den neoklassisch-neoliberalen Wirtschaftsfachleuten um Fox, die hohe Funktionäre der Weltbank waren, wie von ihm selbst nicht zu erwarten.

Beschränkte Armutsprogramme, eine gewisse Verbesserung des Erziehungswesens sind bei vollen Staatskassen (vom Ölpreis hängen mehr als ein Drittel der Staatseinnahmen ab!) denkbar, werden aber an der grundlegenden Einkommens- und Vermögensungleichheit kaum etwas ändern. Es deutet sich an, dass Fox die außenwirtschaftlichen Beziehungen nach Südamerika (besonders zum MERCOSUR /*) und nach Europa stärker diversifizieren will und auch hinsichtlich des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) ähnliche Regelmechanismen, wie sie in der EU bestehen, einführen möchte - einen sozialen Ausgleichsfonds etwa, der natürlich Mexiko begünstigen würde. Auch sollte nach seiner Auffassung die Migrationspolitik zwischen den NAFTA-Partnern liberalisiert werden, was selbstverständlich vor allem auf dem mexikanischen Arbeitsmarkt für Entspannung sorgen dürfte. Allerdings haben Kanada und die USA diese Ideen erst einmal klar abgeblockt.

Mexikos Ökonomie 1997-2000


1997 1999 2000 (Prognose) Bruttoinlandsprodukt +7,0 +3,7 +4,5 bis + 5,0 Inflation 15,7 13,0 7,5 bis 8,0 Arbeitslosenquote 4,6 4,6 4,5 bis 5,0 Haushaltsdefizit -0,7 -1,1 -1,3 bis 0,0

Alle Angaben in Prozent

Offenbar denkt Fox auch daran, die in der mexikanischen Verfassung verankerte »Nichteinmischung« in innere Angelegenheiten anderer Länder zu relativieren, um sich mehr Einfluss auf die zentralamerikanisch-karibische Region zu verschaffen. Dies gilt nicht zuletzt auch mit Blick auf eine ökonomische Modernisierung und politische Sicherung der südlichen Bundesstaaten (Chiapas!). Das kürzlich mit El Salvador, Guatemala und Honduras abgeschlossene Freihandelsabkommen - Staaten, mit denen Mexiko bereits jetzt einen extensiveren Handel als mit Brasilien oder Argentinien pflegt - bietet in diesem Sinne gute Voraussetzungen.

Falls die günstige US-Konjunktur anhält, die Erdölpreise hoch bleiben und die Weltwirtschaft keine bedeutenden Rückschläge erlebt, könnte das insgesamt widersprüchliche Wirtschafts- und Sozialprogramm von Vicente Fox dennoch zunächst und für kürzere Zeiträume gewisse Erfolge erzielen. Bei der zur Zeit stark boomenden Wirtschaft Mexikos, die im 2. Quartal um fast acht Prozent wuchs, scheint dies möglich zu sein. Enttäuschungen werden bei Wegfall dieser günstigen äußeren Bedingungen eintreten, was durch die vom Boom hervorgerufenen Disproportionen und Verzerrungen (Inflationstendenz, Anstieg des Handelsbilanzdefizits, übermäßiger Kapitalzustrom, Aufwertung des Peso) schon bald potenziert werden könnte. Eine mittelfristig stabilere und nachhaltigere Wirtschaftsentwicklung wäre erst auf der Basis eines durchgreifenden gesamtgesellschaftlichen Umverteilungsprogramms und eines Abbaus der chronischen Binnenmarktschwäche denkbar. Dies aber wird mit dem Regierungsantritt des neuen Staatschefs kaum stattfinden.

(*) Gemeinsamer Markt in Südamerika mit Argentinien, Brasilien, Uruguay, Paraguay.

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