Lyrik Der legendäre Verlag kookbooks feiert mit seiner Gründerin Daniela Seel 20-jähriges Jubiläum: Große Dichter und Dichterinnen hat der Verlag hervorgebracht. Viele bedeutende Preise wurden gewonnen. Karrieren begründet. Ein Porträt
„Ich bin ja eigentlich aus Versehen Verlegerin geworden“, sagt die Dichterin Daniela Seel
Foto: Dirk Skiba
Es ist zwanzig Jahren her, dass Daniela Seel kookbooks gründete. Nicht als einsames Unterfangen, sondern als Ausdruck einer neu aufkommenden Autorengeneration, die sich mit Dichtung behaupten will. Es ist eine Erfolgsgeschichte – eigentlich. Kein Verlag hat die gegenwärtige Lyrik-Landschaft so aufgemischt wie dieser, der kein Haus hat, keine Angestellten und kaum Kapital. Die Lage jedoch, so Seel, sei katastrophal – für alle.
2003 meldete sich eine neue Generation zu Wort, mit der viel beachteten Anthologie Lyrik von JETZT, aber auch mit dieser Verlagsgründung, die zum Kraftfeld wurde. In den 1960er, 70er, 80er Jahren konnten Dichter prominent sein, verankert in der Gesellschaft. Nach ihrem Ableben konnten sie auf ein Ehrengrab hoffen, eine Briefmarke, einen
Briefmarke, einen nach ihnen benannten Preis oder eine Straße. Je tiefer die „neue Unübersichtlichkeit“ im kulturellen Leben ankam, desto dünner wurde das Eis für die Dichter und Denker. In den Neunzigern konnten Nachrückende noch den glanzvollen Strukturen trauen, um die Jahrtausendwende ging das kaum mehr: Lyrik-Programme wurden ausgedünnt, ein Abbau trat ein, auch bei der medialen Resonanz.Im Berliner Biotop lernten sich Dichterinnen und Dichter in ihren Zwanzigern kennen und begeisterten sich füreinander. In Schreibgruppen, in einem Lyrikkreis, bei lauter niemand oder bei das Lemma. Hier machte man „peinliche Kunstaktionen“ (Monika Rinck), nichts Besonderes, in diesem Lebensabschnitt: Hochbegabte entwickeln kühne Pläne, reden sich euphorisch die Köpfe heiß, gründen alles Mögliche. Irgendwann fallen sie wieder auseinander. Eine bleibt übrig, oder zwei, die weitermachen. Diesmal lief es anders. Fast alle blieben dabei, fast alle haben Erfolg. Es ist insbesondere Daniela Seel, selbst Dichterin, und dem Buchgestalter Andreas Töpfer geschuldet, dass es so lange gut gegangen ist.Es war eine Schreibkrise„Ich bin ja eigentlich aus Versehen Verlegerin geworden“, sagt Seel, im ersten Stock eines Cafés in Berlin-Tegel, nicht weit von ihrer Wohnung entfernt, die sie zusammen mit ihrem Partner, dem Dichter Alexandru Bulucz und ihren beiden Kindern demnächst aufgeben wird. Drei Stunden sitzen wir hier zusammen, reden und schauen den Menschen vom Fenster aus zu, wie sie durch den Nieselregen ziehen. Seel spricht konzentriert zugewandt, kalküllos. Dass sie keine Homestory will, braucht sie nicht zu sagen. Geschrieben hat sie einmal, der Verlag sei die Antwort auf eine Verzweiflung gewesen. Auf eine Schreibkrise. „Dass ich in meinen Augen kaum noch etwas zu verlieren hatte, gab mir Kraft, Unbeirrbarkeit. Ich gab mir eine Struktur auf, durch die ich mit Literatur, mit Gedichten umgehen konnte, solange Schreiben nicht gut ging. Weil Dichtung Infrastruktur braucht.“Infrastruktur hat sie nun in reichem Maß. Als Mutter und Spracharbeiterin, die dichtet, übersetzt – beispielsweise Amanda Gorman – , die auftritt, moderiert, Aufenthaltsstipendien annimmt, Dozenturen. Und das so verdiente Geld zusätzlich zu ihrer Zeit und Energie auch in diesen Verlag steckt, damit er nicht untergeht. Er bringt kein Geld, er schluckt es. War nicht leicht, das dem Finanzamt zu vermitteln. Auf die Frage, wie viele der von ihr verlegten Gedichtbände über die Tausenderschwelle gebracht werden konnten, nennt sie mehr als erwartet, darunter einen von sich. Im Lyrikbereich ist das großartig. Mit angeschwärztem Humor kann man jeden Band, der 500 verkaufte Exemplare erreicht, Bestseller nennen. Selbst auf dieser Ebene braucht sie den Vergleich mit Publikumsverlagen nicht zu scheuen. Die aber machen Mischkalkulation.Seel stellte sich in der Gründungsphase auch deshalb zur Verfügung, weil sie eine Ausbildung als Verlagskauffrau absolviert hatte. Heute sagt sie: „Ich fühle mich auf der falschen Seite, ich würde das lieber in andere Hände geben.“ Mittlerweile sind es etwa 25 Kookies, die bei ihr veröffentlichen. Sie weiß, was es für nicht wenige von ihnen bedeuten könnte, zöge sie sich aus dem Projekt zurück in ihr eigenes Dichten und ins Private. kookbooks ist etwas organisch Gewachsenes, so etwas wie ein Lebewesen. Der Erfolg kam rasch und immer wieder. Vom ersten Band an – mit Daniel Falb, einem der radikalsten Gegenwartsdichter – überzeugte das Programm der Newcomer, und bereits mit dem fünften, mit Uljana Wolfs kochanie ich habe brot gekauft, gab es Scheinwerferlicht, wurde er doch mit dem Peter-Huchel-Preis ausgezeichnet. Nun, Auszeichnungen gibt es für Literaten viele, aber dieser ist ein Traditionspreis, ein Überbleibsel der ruhmreichen Ära, die freilich auch als patriarchal abgewertet wird. Ernst Jandl hatte ihn erhalten, Elke Erb, Sarah Kirsch, Michael Krüger. Und nun eine erst 28-jährige Debütantin. Jüngere freuten sich besonders: eine von uns. Seel und Wolf wohnten zeitweise gar zusammen in einer WG, der Dritte im Bunde: Steffen Popp. Auch er erhält später mit einem kookbooks-Band den Huchel-Preis, wie Monika Rinck und Farhad Showghi. Kein Verlag hat in diesem Zeitraum eine vergleichbare Bilanz vorzuweisen.Kookies sind vernarrt ineinanderWas in einer WG begonnen hat, wurde viel mehr als ein subkultureller Farbtupfer. Keck gesprochen wurde aus ihrem Projekt, das sechs Bände pro Jahr vorlegen möchte, ein Branchenführer. Die „erste Generation“ setzte sich durch. Vor allem Monika Rinck, mittlerweile Professorin und wie Popp und Wolf in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung gewählt, wo sie mit der Büchner-Preisvergabe befasst ist, wurden repräsentative Hauptpreise zugesprochen, darunter der noch in die Weimarer Republik zurückreichende Kleist-Preis. Wolf, die zwischen Brooklyn und Berlin pendelt, erhielt den Preis der Leipziger Buchmesse, Popp eine Nominierung. Der Verlag selbst erhielt 2019 den Spitzenpreis beim ersten Deutschen Verlagspreis, mit 60.000 Euro dotiert. Viel mehr geht nicht.Sabine Scho, Hendrik Jackson, Dagmara Kraus, Tristan Marquardt oder Katharina Schultens, die nunmehr Leiterin vom Haus für Poesie in Berlin geworden ist und damit einer der wichtigsten europäischen Poesie-Institutionen vorsteht, sind Verlagsautoren, die immer wieder genannt und gebucht werden, bei trubeligen Literaturtagen und Poesiefestivals, die die Einzellesungen verehrter Dichter abgelöst haben. Da all diese Dichter und Dichterinnen recht weit weg vom Fleck gekommen sind, wäre es naheliegend, dass welche wechseln, hin zu Big Names. Der größte Erfolg: Fast alle sind geblieben. Langjährige Freundschaften verbinden sie. Oft sind sie ihre ersten Leser, unterstützen einander. Kookies schätzen auch andere, aber so richtig vernarrt sind sie ineinander.Daniela Seel hat eine große Tragetasche mitgebracht. Nachdem der Kaffee ausgetrunken ist, packt sie aus: Bücher aus ihrem Programm. Zu den Besonderheiten gehört die Bedeutung, die der Buchgestalter Andreas Töpfer für den Verlag hat. Über Jahre hin gab er den Bänden ein fluffiges Understatement. Sie sind gänzlich unmassiv, biegsam und geschmeidig, konnten oder sollten übergangen werden von jenen, die auf Standardware geeicht sind. U45-Menschen sehen hip damit aus, in der Hand von Älteren wirken sie wie ein etwas keck geratener Sportschuh: schlanke Broschuren mit Posterumschlag und Tafelgrafiken. Kluge Zeichnungen ergänzen die Texte, um die man sich bemühen muss. Sie verweigern die Aura von Gewichtigkeit, sind aber voller Raffinessen.Neuerdings lässt Töpfer das Understatement beiseite und imponiert mit Formaten, die sofort zum Auge wollen. So könnten neuere Bücher wie Martina Hefters Gedichtband In die Wälder gehen, Holz für ein Bett klauen oder Robert Striplings mit Fotos angereichertes lyrikaffines Prosawerk Unter Stunden durchaus als Anspruch gelesen werden, exponierte Positionen durchsetzen zu wollen. Die Kookies schwören auf ihren Gestalter, mit dem sie eng zusammenarbeiten können.„Das amortisiert sich nicht!“So flott alles wirken mag – Daniela Seel verwendet im Gespräch ein Vokabular, das aufhorchen lässt: Ethos, Werk, Wertigkeit, Kanonisierung. Sie ist hochseriös. „Das amortisiert sich nicht.“ – Wenn das eh feststeht, mit Brief und Siegel vom Finanzamt, auf den Verlagsprospekten zum Motto geworden, kann man doch gleich sein Segel wacker setzen und schauen, was passiert. Man könnte billiger, weniger wertig produzieren. Man könnte die Buchhandlungen sausen lassen und direkt versenden, man müsste sich weniger sorgen über die Umstellung des Zwischenhandels, der kleinen Verlagen besonders zu schaffen macht. Das widerspräche aber ihrem Ethos, die Sichtbarkeit von Gedichtbänden wahren zu wollen. Auch in der Krise, die eh über ihrem Nicht-Geschäft schwebt, aber seit der Pandemie und dem Krieg in Europa in neuem Ausmaß: „Die Produktionskosten sind ja der Horror geworden.“ Ihr Verlag brauche die Begegnungen, die Live-Situation ganz besonders; die in der Coronazeit eingefahrenen Verluste seien aber bei nahezu allen Verlagen eine weiterhin spürbare Last. Das „Implodieren der Printmedien“ sorgt zusätzlich für Verdruss: „Es ist fatal, wenn Lyrikkritik nicht mehr stattfindet.“Kommen die Probleme nicht auch daher, dass zeitgenössische Dichtung zu unzugänglich sein könnte, sodass ein Publikum, das nicht Teil der Bewegung ist – um ein Lyrik-Format der Frankfurter Buchmesse aufzurufen –, außen vor bleibt? Zu Ernst Jandl und Erich Fried strömten die Menschen ja noch, als wären es Jazz-Stars. Viele Gedichtbände, widerspricht Seel, seien enorm politisch, handeln von Klimakrise, Krieg, Fluchterfahrung, von ethischem Konsum, von den Spätfolgen sexualisierter Gewalt. Im Jubiläumsprogramm wird auch der dritte Gedichtband von Yevgeniy Breyger angekündigt, Jahrgang 1989, Frieden ohne Krieg: sehr persönlich und sehr politisch zugleich, gehe es doch um die Geschichte seiner jüdischen Familie während des Holocausts bis hin zur Flucht aus der Ukraine nach Beginn des russischen Angriffskriegs.Wie wird es den Verlagen in den nächsten Monaten und Jahren ergehen? Mag sein, dass Seels Projekt und manch anderes erneut gerettet wird, aber wie oft kann das gelingen? Gut wäre es, meint sie, wenn die Strukturförderung, die im Koalitionsvertrag ausgehandelt worden sei, auch im Literaturbereich umgesetzt würde. Wenn öffentliche Mittel planbarer der Verlagsförderung zugutekämen. In welcher Form auch immer, die Literaturarbeiterin Daniela Seel wird ihren Weg gehen, schrieb sie doch: „Schreiben ist unbedingt, Leben ist unbedingt. Solange es nicht um alles geht, soll es meine Sache nicht sein.“Placeholder authorbio-1
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