1. Weniger Ideologie: Die Wehrpflicht und mit ihr die Bundeswehr in der gegenwärtigen Form sind Relikte längst vergangener Zeiten. Ihre Fortführung ist nur noch ideologisch begründbar (»Demokratie und Wehrpflicht sind Kehrseiten einer Medaille«). Ideologie aber ist der größte Feind von Modernisierung, Leistungsorientierung und Kosteneffizienz. Demokratische Staaten wie Frankreich, Großbritannien oder die USA haben deshalb bereits vor Jahren Grundsatzentscheidungen für die Aufstellung von Freiwilligen- oder Berufsarmeen getroffen. Bundesdeutsche Politiker, allen voran der gegenwärtige Verteidigungsminister, führen dagegen noch immer die Panzerschlachten der Vergangenheit - ineffektiv, kostenaufwendig und nicht zuletzt gefährli
efährlich für die ihnen anvertrauten Menschen.2. Weniger Kosten: Die Entscheidung für eine Freiwilligenstreitmacht ist längst überfällig. Sie muß unverzüglich getroffen werden. Durch das Aussetzen der Einberufung von Wehrpflichtigen für ein Jahr würde - nahezu exakt - die Summe erbracht werden, die der Finanzminister im kommenden Jahr einsparen will: 3,5 Milliarden Mark. In Kauf genommen werden muß kurzfristig allerdings eine unausgewogene Struktur. Dies ist jedoch allein der Tatsache geschuldet, daß die Chance, Übergänge zu schaffen, seit Jahren verpaßt wurde. Unabdingbare, wenngleich schmerzhafte Einschnitte werden aber nicht erträglicher, wenn überfällige Entscheidungen immer wieder verschoben werden - im Gegenteil.3. Weniger Soldaten: Wird die Wehrpflicht ausgesetzt, reduziert sich der Bestand der Bundeswehr von gegenwärtig cirka 330.000 Soldaten und Soldatinnen auf cirka 200.000 Freiwillige und Berufssoldaten. Reicht dieser Bestand - rechnerisch betrachtet - aus? Wieviele Soldaten braucht Deutschland nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes noch? Unstrittig ist, daß sich der Umfang der jeweiligen (nationalen) Streitmacht nach der Dimension der zu erwartenden Herausforderungen richten muß. Für Deutschland sind es allerdings Herausforderungen, Bedrohungen, Gefahren, Risiken, die sich nicht gegen das Land allein richten, sondern Deutschland als Mitglied eines Militärbündnisses (konkret: als Mitglied in der NATO), künftig vielleicht sogar als Mitglied in einem regionalen System Kollektiver Sicherheit in und für Europa betreffen. In dem Maße aber, in dem die kollektive Sicherheitsleistung eines Militärbündnisses oder eines Systems Kollektiver Sicherheit an die Stelle der nationalen Sicherheitsvorsorge tritt, wird Abrüstung möglich. Darüber hinaus dürften in vielen Konfliktfällen weniger als 100.000 Soldaten ausreichen, um auch einem erweiterten Aufgabenspektrum gerecht zu werden beziehungsweise um die Normen der Völkergemeinschaft durchzusetzen (vgl. zum Beispiel IFOR in Bosnien oder KFOR im Kosovo). Aber selbst mit Blick auf die traditionelle Aufgabe der Landesverteidigung, die einen (derzeit wohl kaum möglichen) großangelegten Angriff gegen Deutschland mit einschließt, wird sich ein (im traditionellen Sinne) starkes Militärbündnis beziehungsweise eine starke Europäische Sicherheitsgemeinschaft mit multinationalen Streitkräften im Umfang von cirka 1 Million Soldaten begnügen können. Die derzeitigen Streitkräftezahlen in und für Europa gehen nicht nur um ein Vielfaches über dieses Limit hinaus. Die NATO stellt gegenwärtig vier bis fünf Millionen Soldaten und ist verantwortlich für nahezu fünf Achtel der gesamten Weltmilitärausgaben. Vielmehr ist auch kein Staat erkennbar (auch nicht Rußland), der - aus welchen Gründen auch immer - einen Krieg gegen Deutschland und seine Verbündeten mit Aussicht auf Erfolg führen könnte. Für Deutschland (und in ähnlicher Weise für alle anderen europäischen Staaten auch) ist damit - endlich - die Chance zur Abrüstung sogar auf Kontingente von jeweils etwa 50.000 bis 100.000 Soldaten bei einer erheblichen Reduzierung der Wehretats gegeben.4. Mehr Leistung: Geht man davon aus, daß Europa künftig eine »gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik« (GASP) betreiben wird, so muß das Konzept der parallelen Aufstellung nationaler Armeen grundsätzlich überdacht werden. Das organisatorische und militärische Strukturgerüst eines eurokollektiven Sicherheitssystems, das modern, leistungsstark und gleichwohl schlank sein muß, verlangt neben der zumindest teilweisen Supranationalität der Streitkräfte und der Bildung gemischt-nationaler Kontingente eine verstärkte Arbeitsteilung unter den Mitgliedsstaaten der NATO, der Europäischen Union und gegebenenfalls auch der OSZE. Die arbeitsteilige Spezialisierung und Konzentration der Länder auf jeweils eine Teilstreitkraft statt wie bisher auf drei legt Kapazitäten und Ressourcen frei, die im Verbund der Staaten für die qualifizierte und synergetische Ausbildung und Ausstattung der Soldaten einer modernen Armee insgesamt genutzt werden können.Dieter S. Lutz ist Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH)