Black Out Story

KALIFORNIENS FINSTERE SEITEN Stromverbraucher unter der Fuchtel von Sparzwang und Planwirtschaft

Noch im Wahlkampf 2000 hatten sich George Bush und Al Gore lang und breit (und nach Leibeskräften telegen) vor der Nation gestritten, was sie wohl anstellen würden mit dem "great surplus" der US-Wirtschaft in den nächsten zehn Jahren ... - Keine drei Monate später spricht niemand mehr davon. Erst kann das High-Tech-Musterland USA fünf Wochen lang Löcher, Knicke und Fehldrucke auf bizarren Stimmzetteln zu keinem plausiblen Wahlergebnis addieren, dann beginnt die Wallstreet zu kränkeln und der Mythos der New Economy scheitert an der simplen Mathematik der althergebrachten. Schließlich schießt in den Schulen die Zukunft der Nation mindestens einmal wöchentlich um sich, leidet Kalifornien an der Stromkrise wie Europa an der Maul- und Klauenseuche ...

Das Wörtchen "outage" wird zur Parole fürs hausgemachte Fatum wie MFD (Mouth and Foot Disease) oder BSE, und so richtig lachen können die Amerikaner diesmal nicht über den Rest der Welt Seit vergangenem Montag schlägt die Energiekrise in Kalifornien, die über andere Widrigkeiten der US-Wirtschaft schon vergessen schien, wieder mit voller Wucht zu. Ampeln schalten auf rot, Bahnschranken gehen vorsichtshalber herunter. Manchmal für eine halbe Stunde, so dass die "Techies im Valley", für die trotz alledem Zeit immer noch Geld ist - oder wenigstens umgekehrt -, ihr Leben oder mindestens erhebliche Geldstrafen riskierend, die Gleise bei Rot überfahren. Auch die Mailserver sind down, so dass die Übermittlung dieses Textes zum Beispiel länger dauerte als eine Lufthansa-Maschine von San Francisco nach Frankfurt braucht, weil eine e-mail zwar munter aus der "outbox" schwindet, aber - selbst wenn vor Ort Strom ist - alsbald im nächsten Knoten hängen bleibt, der entweder keinen Strom hat oder lange keinen hatte und sich nun am Quantum aufgelaufener Wichtigkeiten verschluckt...

Seit Montag ist jeder in Kalifornien mindestens einmal täglich betroffen von planmäßigen Rolling Black Outs, die mit der Frohnatur einer Planwirtschaft das Unheil landesweit verteilen, damit das Dunkel die Landkarte Kaliforniens gleichmäßig überzieht.

Die Lage scheint so ernst und auf absehbare Zeit nicht wirklich lösbar, dass es bislang kaum zu Schuldzuweisungen an die Adresse jener Politiker kommt, die vor Jahren durch die "Liberalisierung des Strommarktes" die Kassen des Sonnenstaates mit zweifelhafter Dividende gefüllt und in Wahrheit die Zukunft "beliehen" haben. Schon melden sich Anthropologen, die sich fragen, ob vielleicht mehr als nur verfehlte Politik dieser Pleite zugrunde liegt. Laura Nader von der Universität Berkeley sieht die Ursache für die Stromkrise in der Heranbildung von zu eng spezialisierten Entscheidungsträgern auf allen Ebenen und einem "Multiple-choice-Denken", das hier von Kindesbeinen an als einzige Methode des Abrufs von Wissen eingeimpft wird. In der Schule wie in der Fahrschule, an der Universität wie bei Kundenbefragungen hat man anzukreuzen, was man weiß; also lernt man (nur) dafür...

Hinzu kommt, dass Amerika nicht eben das Mutterland des Gemeinsinns ist. Selbst im dunkelsten Dezember, als die ersten Massenabschaltungen den Fortschrittsglauben des Durchschnittsamerikaners für Augenblicke ins Wanken brachten, fand sich kaum jemand, der seine elektrischen Weihnachtskerzengirlanden, die ganze Häuser und Straße umrankten, abschaltete - manche waren sogar bis Anfang März in Betrieb! Allein die Supermarktketten zeigen "Vernunft" - oder eher Einsicht in die Logik des totalen Black Outs, der allein durch die gezielten Abschaltungen abgewendet wird, also keine Kühltruhen auslaufen und kein Kreditkartenterminal ausfällt: Sie schalten daher ihre Beleuchtung auf 50 Prozent herunter, und siehe da - mit halbem Licht glänzt die schöne Warenwelt immer noch prächtig. Umsatzeinbußen werden nicht gemeldet. An den Feuern der Verknappung lässt sich durchaus ein zünftiges Süppchen kochen: So schreibt die Los Angeles Times, fünf Strom-Großhändler hätten allein in den vergangenen zehn Monaten wegen überhöhter Preise mehr als 5,5 Milliarden Dollar "gemacht".

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