Blackout im Sonnenstaat

ENERGIEKRISE IN KALIFORNIEN Wenn dem HiTech-Musterland plötzlich die Lichter ausgehen, verliert die Privatisierung des Strommarktes erheblich an Leuchtkraft

Einer der beiden Energieversorger Kaliforniens - die Pacific Gas Energy Company (PG) - scheint nach gut 80 Jahren Geschäftstätigkeit so gut wie zahlungsunfähig und im "gelobten Valley" gehen nicht nur die Lichter, sondern vor allem die Rechner - die heiligen Server - aus. Wie ein Sprecher am vergangenen Wochenende via Fernsehkanal PBS verlautbarte, habe PG im zurückliegenden Jahrhundert kein einziges Mal Verluste buchen müssen, doch jetzt sei der Konzern, der über 16 Millionen "User" bedient, am Ende: Bankrott. Grund dafür ist eine vor fünf Jahren eingeleitete Privatisierungspolitik auf dem Energiesektor, die nicht anders denn als blauäugig eingestuft werden kann: Die Deregulierung des Telefonmarktes vor Augen, dachten die inzwischen längst nicht mehr amtierenden Politiker des erfolgverwöhnten Sonnenstaates Kalifornien, die Freigabe der Strompreise könne nur eine Minderung derselben mit sich bringen. Doch weit gefehlt - wo Mangel herrscht (allein schon durch massiven Zuzug nach Kalifornien und das ökologisch diktierte Verbot, neue Kraftwerke zu bauen), wird diese Vision rasch zum Trugschluss. Verknappung kam zudem auf, weil die beiden größten, einst staatlichen Energiekonzerne des Bundesstaates, um ihr angestammtes Monopol aufzugeben, Kraftwerke verkaufen und fortan den Strom auf dem plötzlich "freien Markt" (also faktisch bei der eigenen Hinterlassenschaft) kaufen mussten, was - nach einer Rechnung, die heute keiner mehr nachvollziehen kann - zu niedrigeren Verbraucherpreisen führen sollte. Statt dessen brachten die allgemein gestiegenen Energiepreise den beiden Unternehmen zusätzliche, ungedeckte Kosten von zirka zehn Milliarden Dollar, die sie wegen festgelegter Höchstpreise wiederum nicht komplett an die Verbraucher weitergeben durften. Das Ende dieser Milchmädchenrechnung heißt nun Zahlungsunfähigkeit, und der stets extrem gut frisierte Gouverneur Gray Davis, der mit seiner Krise zweimal wöchentlich im Weißen Haus vorspricht, beschwört immer noch ein Happy End: Er sähe buchstäblich "Licht am Ende des Tunnels". Vorerst jedoch hat er den Energienotstand im Sonnenstaat ausgerufen und - um in dieser Lage einen wenigstens temporären Ausweg zu finden (und keinen ersten - demokratischen - Schatten auf den neuen Präsidenten George W. Bush zu werfen) - kurzfristig die staatliche Planwirtschaft eingeführt: Der reiche und per se kreditwürdige Staat Kalifornien kauft nun den Strom im "benachbarten Ausland" (Delaware, Colorado, Oregon - Energieversorgung ist nämlich "Ländersache") und gibt ihn an die angeschlagenen, mittlerweile nicht mehr kreditwürdigen Unternehmen unter dem Marktpreis weiter.

Amerika ist mit Selbstbeschwörungen wie "the best country in the world" genauso schnell bei der Hand wie einst die Sowjetunion. Jetzt, nach der Peinlichkeit um Löcher in Stimmzetteln und das Unvermögen, eine Wahl verbindlich auszuzählen, kommt diesem Exklusivitätsanspruch eine weitere Schlappe in die Quere: eine hausgemachte Energiekrise im HiTech-Musterland an der Westküste. Und weil die Nachbarstaaten schon immer etwas gegen diesen verwöhnten Star haben, der nicht selten darüber sinniert, dass der Rest des Landes im Grunde von ihm durchgefüttert werde, sind sie nun nicht recht gewillt, ihm aus der Patsche zu helfen.

Prompt werden in der Debatte Parolen laut wie "Kalifornien den Kaliforniern". Die Ursache für die Energiekrise wird von den "Einheimischen" in der enormen Zuwanderung gesehen - nicht nur aus dem Ausland, auch aus den anderen Staaten der USA. Nur definiert niemand so recht, wo die Einheimischen beginnen (bei den Indianern etwa?) und wo sie aufhören. Die angegriffenen Neu-Kalifornier wehren sich sogleich mit der Drohung: "Dann packen wir eben unsere Sachen und nehmen die steuerrelevanten, hochdotierten HiTech-Jobs mit ..." Andere "Bürgerrechtler" wollen die Köpfe der Liberalisierung rollen sehen und verkünden, so etwas wäre in einem republikanisch regierten Kalifornien nicht passiert. Derweil gibt es zwischen Orange County und Los Angeles, zwischen San Jose und San Francisco, staatlich verordnete Stromabschaltungen nach dem Rotationsprinzip: um Panik zu vermeiden - ohne Vorwarnungen. Als besonderen Service bietet www.pge.com auf seiner Webseite Orientierungshilfen, wonach man (vermutlich bei Kerzenlicht und am Notebook, mit Akku und Handy?) durch Eingabe seiner Energie-Kontonummer erfahren kann, ob - wer von der Arbeit nach Hause kommt - schon dran war mit der fälligen Strom-Zwangseinsparung.

Die Amerikaner sind nicht nur genauso stolz auf ihr Land wie die Russen, sie können auch alle Mankos gut ausblenden. Nur einzelne rasten aus und werfen Bomben oder schießen um sich, und so hat gerade ein Mann, um - wie es hieß - ein Zeichen gegen die verfehlte und völlig ungesühnte Energiepolitik Kaliforniens zu setzen, mit einem zwölfachsigen LKW vorsorglich das Capitol von Sacramento, den Regierungssitz Kaliforniens, gerammt. Daraufhin brach ein Großfeuer aus, das bis nach San Francisco, wo gerade der Strom "gezielt" abgeschaltet worden war, geleuchtet haben soll.

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