Blickt man auf die Golf- und Tennisplätze im lange gelobten und plötzlich gescholtenen "Valley", so scheint die Lage bei weitem nicht so nervös oder gar dramatisch, wie es die Presse gern hätte. Diese nämlich möchte von der "Nachfrage nach Rezession" im Grunde genauso suchtkrank profitieren wie von der Glorifizierung eines schwindelerregenden Aufschwungs zuvor, der jetzt schnell einmal als "Potemkinscher Boom" abgetan wird.
Dramatisch ist die Lage allenfalls für Firmen, die nie hätten gegründet werden müssen oder dürfen - die nur entstanden dank des Rauschs der vergangenen zwei Jahre. Dabei werden solche Unternehmen in den USA bis heute gegründet, Tag für Tag: Junge Amerikaner laufen mit halbfertigen, nicht mehr ganz frischen Ideen in offene Messer, aber einer von ihnen macht am Ende doch das Rennen. Deshalb lohnt sich die Sache mehr, als in neue Eisenbahnstrecken zu investieren oder in Maisfelder.
Stürzende Internet-Helden: Vom Webmaster zum Burger-Brutzler
Noch immer treten Webfirmen mit teuren Bannerkampagnen auf den Plan, deren einziges Businessmodell das eines Internetportals mit auszudruckenden Online-Rabatt-Coupons ist, während der Werbekuchen in der Tat zusammenschrumpft, und zwar nicht auf Grund des sogenannten Slowdowns der US-Economy (was noch keine Rezession bedeutet), sondern weil nun nicht mehr so blind in Internet-Advertisement Geld gepumpt wird, da der große Durchbruch etwa beim Online-shopping noch immer auf sich warten lässt. Präsident Bush ist, wenn auch er das Orakel beschwört, in keiner allzu undankbaren Lage: Kommt der Abschwung wirklich, hat er ihn wenigstens mit vorausgesagt - kommt es am Ende doch besser, wird ihm das keiner übel nehmen.
Manche in Deutschland zur Zeit kolportierte Gruselstory des Strickmusters - abstürzende Internet-Helden, Flaute in den USA, vom Webmaster zum Burger-Brutzler, mit der plötzlichen Arbeitslosigkeit werden ganze Lebenspläne zerstört - ist schon deshalb Unsinn, weil sich im Valley, anders als in Deutschland, niemand auf Lebensstellungen einschießt. Wenn ein Programmierer zwei Jahre in einer Firma arbeitet und nicht gerade deren Besitzer ist, dann gilt er schon als "(zu) alter Hase", der sich langsam wieder umsehen sollte nach etwas Neuem, das ihm einen kreativen Kick bringt. Allein aus dieser Dynamik folgt die Tatsache, dass an Fachkräften im Valley nach wie vor ein wirklicher Mangel herrscht. In den Mailinglisten des German Network der Stanford University zum Beispiel steht täglich alles Mögliche - von job postings bis zu Anzeigen betreffs "Garage Sale", Totalverkauf. Für ein Interview suche ich dort seit einiger Zeit dringend nach einem "Geisterfahrer", der nicht ins Valley drängt, sondern es quasi auf der Flucht vor der Rezession verlassen würde. Fehlanzeige.
Wenn eine Firma Pleite geht, kommen (noch vor Ultimo) Dutzende sogenannte headhunter, umschleichen Gebäude und Parkplatz und grasen die guten Leute ab; diese haben dann innerhalb von Stunden, maximal Tagen, einen neuen Job. Reguläre Arbeitsverträge sind die Ausnahme. Als Programmierer etwa arbeitet man auf der Basis eines "offers", das heißt Firma und Programmierer bieten sich gegenseitig einen Arbeitsplatz und die Ausfüllung desselben mittels Arbeit an einem Projekt an. Dieses "offer" hat Bestand, solange bis einer von beiden entweder etwas (oder jemand) Besseres gefunden hat - oder aber die Firma hat wirklich kein Geld mehr. Der Begriff "Konkurs" trifft auf die dot.com-Wirtschaft ohnehin nicht so recht zu - er setzt eine auf der Differenz von Einnahmen und Ausgaben basierende Geschäftstätigkeit voraus; die meisten haben einfach kein Geld mehr auf der Bank und bekommen auch keines mehr, dann machen sie dicht: Und die Gründer eröffnen, wenn sie sich nicht in schwarzen Listen der Kreditinstitute wiederfinden, an der nächsten Ecke, manchmal im selben Gebäude, eine neue Firma - eine neue Domain.
Fulltime-Job im Valley: Nachts unter dem Freeway
Es gab da zum Beispiel eine Firma, deren flügellahme Geschäftsidee schon im Domainnamen verankert war: www.OfficeClick.com wollte zehn Millionen berufstätige Internet-Menschen in den USA in einer Art virtuellem Office zusammenbringen, wo man von der Büroklammer übers Flugticket auch 15 Hamburger fürs Team bestellen konnte, natürlich immer munter an Werbebannern vorbei. Es wurde ein riesiger Reklameaufwand getrieben: Uhren verschickt, T-Shirts und der übliche cash-burning-Schnickschnack; es wurde teuer programmiert, aber: keiner kam hin. Also wurde die Seite geschlossen, die Firma umbenannt und umgesiedelt. Und das sieht dann so aus: am letzten Freitag im März nahmen alle Mitarbeiter ihre Rechner mit nach Hause, am Montag darauf brachten sie sie wieder mit - zur neuen Adresse. Die Möbel setzte eine Firma um; ansonsten war Stillschweigen nach außen befohlen - nun macht man Business-Software unter dem Namen www.vendavo.com, was immer das bedeutet. Das ist im Valley nicht anders als in Hollywood: Man steckt Geld in eine Firma wie in einen Film, und die funktioniert dann oder nicht.
Wenn hier jemand aufgibt, dann meist aus anderen (privaten) Gründen - entweder hat er die IT-Branche satt oder die Gegend ist ihm zu teuer. In der Tat, sie ist obszön teuer, und wer nicht gerade ein hoch bezahlter Techie ist, fragt sich jeden Tag neu, ob es sich noch lohnt, zu "arbeiten", um hier zu leben - genauer: zu "wohnen". 33 Prozent aller Obdachlosen haben im Valley fulltime-Jobs und ziehen nachts in Kirchen oder in Luken unter dem Freeway. Selbst Lehrer, Polizisten und manche Ärzte können nicht mehr dort wohnen, wo sie arbeiten und müssen oft Stunden lang Auto fahren in Gegenden, die noch nicht "vergoldet" sind, denn - im Valley stehen die teuersten Baracken der Welt: One-Bedroom-Apartments kosten 1.500 Dollar pro Monat und mehr. Das nämlich ist die reale Goldwäsche im Valley: Wo bleibt eigentlich das ganze Geld, das hier so heftig verbrannt wird, genau genommen, wo bleiben die Spargroschen der pressegläubigen Kleinanleger?
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