Die mit dem Bertelsmann-Konzern verbündete Musiktauschbörse Napster hat vor Gericht eine schwere Niederlage hinnehmen müssen - verklagt vom amerikanischen Verband der Musikindustrie hatten die Bundesrichter Napster auf die Einhaltung des Urheberrechts verpflichtet. Napster-Chef Hank Barry teilte daraufhin mit, das Unternehmen werde eine neue Technologie einführen, die zwar weiterhin einen Austausch und das Herunterladen von Musiktiteln aus dem Internet erlaube, doch verhindern werde, dass die Songs anschließend auf CDs gebrannt werden.
Das Urteil kam nicht unerwartet - immerhin ist Musik neben Film, Autos und High Tech die Handelsware überhaupt, mit der Amerika den Rest der Welt beliefert. Es geht also um viel Geld, und - wie im richtigen Leben - galt auch hier
auch hier: Recht bekommt, wer sich den besseren Anwalt leisten kann. Hinter der Entertainmentindustrie steht ein ganzer, über Jahrzehnte eigens gezüchteter Menschenschlag von Anwälten - hinter Napster der Anwalt einer bestenfalls gut finanzierten Internetstartup-Company und eine Riesengemeinde von mittlerweile 56 Millionen Nutzern: Was für die einen die Bedrohung vom Rang einer tödlichen Seuche ist, liefert den anderen kaum mehr als moralischen Rückhalt in einem Kampf wie zwischen David und Goliath.So kam denn auch mit dem Countdown sichtlich Nervosität auf. Von Napster vermittelt, wurden unmittelbar vor dem Urteil schätzungsweise 250 Millionen Titel weltweit getauscht - es war wie der Griff nach dem letzten Freifahrschein vor dem Tag des jüngsten Gerichts(urteils) ...Auch bei Napster selbst war man sichtlich nervös. Die Firma ist mitten im Valley, zu Hause, allerdings in einer für gutbetuchte Startups eher ungewöhnlichen, weil ziemlich schäbigen Umgebung von Lagerhallen, orthopädischen Werkstätten, Supermärkten und Krankenhäusern. Es gibt kein Firmenschild an der blauweiß gestrichenen Fassade, hinter der angeblich 50 Mitarbeiter tätig sind. Den einzigen Hinweis auf eine Firma, bei der es um viel Geld geht, liefert der Parkplatz mit einer Fülle von superteuren Autos, was einen merkwürdigen Mix von Backstreet und Silicon-Valley-Lifestyle erzeugt - ähnlich wie die Mischung aus Scheinheiligkeit und Starpose, die Firmengründer Shawn Fanning mittlerweile von fast jedem Hochglanzcover naiv und scheu (tuend?) abstrahlt.Napster hat am Tag der Urteilsverkündung vorausschauend einen Bodyguard engagiert und in seine Tür gestellt. Als ich um Einlass bitte, fragt der bullige Typ, ob ich einen Termin habe, und als ich nein sage, ist er leicht konsterniert: "Wir sprechen nicht, zu keinem, über nichts ..." Schließlich holt er eine genervte Blondine, die dieselbe Auskunft erteilt. "Darf ich wenigstens ein Foto von außen machen, ohne erschossen zu werden?" frage ich noch. Sie überlegen beide, dann nickt die Blonde: "Aber nicht von den Menschen hier!" Ich weiß nicht, wen sie meinen könnte, außer den beiden ist weit und breit niemand zu sehen.Komisch: die Musikindustrie gibt immer vor, die Interessen der bestohlenen Musiker zu vertreten, dabei läuft gerade in diesen Tagen hier eine lange Fernsehdokumentation über die Geschichte des Jazz, und man erfährt ganz nebenbei, dass Louis Armstrong beispielsweise in den zwanziger Jahren schlappe 50 Dollar für eine komplette Schallplatteneinspielung bekam und später nie wieder etwas, während heute eine solche CD noch immer 15 bis 20 Dollar kostet ...Die Napster-Gurus hatten ihre Webseite ursprünglich als Plattform gegründet, auf der Debütanten, die keine Chance haben, gegen die Marktmechanismen anzukommen, ihre Musik popularisieren können. Doch rasch wurde daraus eine große Streubüchse für wirklich populäre Musik. Jetzt, so das Gericht, soll Napster sich auf diesen Ursprung rückbesinnen. Eine Vorgabe, die der Situation eines Ladens gleichkommt, der sich in seiner Straße erst beliebt macht durch die Verteilung von Gratisplatten und dann eines Tages verkündet: "Schluss mit lustig, aber ihr könnt alle gern wiederkommen!"Eines allein ist sicher: So teuer wie bislang werden Musik-CDs nie wieder sein können. Napster bietet demnächst ein Monatsabo für 4,99 Dollar an, vorausgesetzt die Plattenlabels machen mit, und es findet sich ein plausibles Verfahren der "Einpflege" von Musik bei Ablesbarkeit ihrer Distribution. Aber dann ist man im Grunde bei einem schnöden Online-Musik-Abo, das wahrscheinlich lange nicht so gut angenommen wird wie die Anarchie à la Napster. Aber ob die neue Napster Software das Brennen der MP3-files auf CD nun verhindert oder nicht - für 4,99 kriegt man nirgendwo in den USA eine brauchbare Compact Disc; und schon heute sterben in der Nähe jeder größeren Universität Plattenläden wie die Mücken im Regen.Das Problem für die von anarchischer Piraterie beseelten Szene ist: Fanning, "einer aus ihrer Mitte", führt seine Gemeinde am Nasenring zur Kasse - hinter der er selbst steht - wie eine Meute überzeugter Schwarzfahrer zum Fahrscheinautomat. Die Musikindustrie, die mit ihrer angestammten räuberischen Plünderung der Teenie-Sparschweine "im Namen der Künstler" zur selben Zeit wegen mutmaßlicher Preisabsprachen vor dem Kartellrichter steht, gibt sich mit einer scheibchenweisen Opferung nicht zufrieden: Napster sei nicht nur unmoralisch, "Napster ist Unrecht!" röhrt die Branche seit dem Urteil siegestrunken - sie will das Lamm sofort auf dem Rost sehen, und zwar ganz.Womöglich hat Fanning den Moment, da er seine Erfindung, die die Welt in kürzester Zeit veränderte, hätte verkaufen sollen, schon verpasst. Jetzt wird es einem Kunststück gleichkommen, dem Partner Bertelsmann mehr über den Tisch zu reichen als die Zeche, die Gütersloh wahrscheinlich bald zu zahlen hat, wenn der Prozess wiederaufgenommen, verloren und der erste urheberrechtlich relevante Verstoß bei "nur" 56 Millionen Usern nachgewiesen wird - noch bevor es gelingt, die Fangemeinde an die Kette des Bezahlabos zu legen, das heißt, sie gezielt in eine Richtung zu manövrieren, in die sie willentlich nicht abdrehen mag.
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