An der Peripherie der Zehn-Millionen-Metropole Jakarta dehnt sich ein Industrierevier, in dem die indonesische Regierung einer anhaltenden Rezession mit einem ungestümen Liberalismus zu begegnen sucht. Ausländischen Investoren winken in diesen »freien Exportzonen« extrem günstige Anlagebedingungen und Steuervorteile. So haben sich Hunderte von Fabriken auf engstem Raum etabliert. Mauern, Stacheldraht, Wachtürme, Schlagbäume beherrschen das Areal, auf dem die Belegschaften vielfach unter Bedingungen arbeiten, die als Verstoß gegen elementare Menschenrechte zu werten sind. Auch der Schuhhersteller Adidas - 1999 erwirtschaftete das Unternehmen mit knapp 800 Millionen Mark den höchsten Vorsteuergewinn seiner Geschichte - ist hier mit der Zulieferfab
Zulieferfabrik Panarub (8.000 Mitarbeiter, 80 Prozent davon Frauen) präsent. Eine Abteilung des indonesischen Kirchenrates, dem ich meine Recherchemöglichkeiten in diesem Industrierevier verdanke, unterstützt die Adidas-Angestellten durch soziale Betreuung und Rechtsberatung, vor allem aber, indem sie Räume für Zusammenkünfte zur Verfügung stellt, die im Betrieb untersagt sind.Meiner Bitte, die Produktionshallen des Sportartikel-Herstellers direkt in Augenschein nehmen zu können, wird von der Firmenleitung - fast erwartungsgemäß - mit einer abschlägigen Antwort quittiert. Leider lasse sich das aus »organisatorischen Gründen« nicht arrangieren, ein Gespräch allerdings mit dem Management könne garantiert werden. Nachdem, was ich bisher durch den Kirchenrat erfahren habe, erscheint eine solche Reaktion nachvollziehbar, sind doch in dieser »ökonomischen Sonderzone« Hungerlöhne (umgerechnet 1,50 DM/Tag) üblich, die noch unter dem gesetzlichen Mindesteinkommen Indonesiens liegen. Zugleich werden Überstunden regelrecht erzwungen, und dies in einem Ausmaß, dass es ebenfalls den Gesetzen des Gastlandes widerspricht. Bis zu 50 Stunden Mehrarbeit pro Woche gelten keinesfalls als Ausnahme und müssen zu den 40 Stunden Normalarbeitszeit addiert werden. Wobei es fast kaum mehr überrascht, dass Mehrarbeit nicht mit den vorgeschriebenen Aufschlägen vergütet wird. Es gibt außerdem in manchen Betrieben ein Kartensystem, um jeden Gang zur Toilette vermerken zu können - erlaubt sind zwei am Tag. In vielen Unternehmen herrscht völliges Sprechverbot. Wird dagegen verstoßen, sind Strafen bis hin zu Schlägen keine Seltenheit.Wer nun auf die Idee kommen sollte, derartige Missstände nicht länger hinnehmen zu wollen, muss mit Schikanen rechnen oder wird kurzerhand entlassen. Als bei Panarub beispielsweise die neue Gewerkschaft Pertubas gegründet wurde, bescherte das sieben Vorstandsmitgliedern die Entlassung.Musik unterm WellblechKurz vor meiner Abreise aus Jakarta gelingt es doch, eine Fabrik zu besuchen, in der ebenfalls Sportschuhe produziert werden. Mitarbeiterinnen der Kirche und ein Rechtsanwalt begleiten mich, die Einladung selbst kommt von der Gewerkschaft, die sich in besagtem Unternehmen mühselig etabliert hat und noch nicht viel erreichen konnte. Dennoch ein Zeichen der Hoffnung zweieinhalb Jahre nach dem Sturz der Suharto-Diktatur, die nur staatlich kontrollierte Gewerkschaften zuließ und auf Streiks mit dem Einsatz der Armee reagierte.Überall auf dem Weg durch das Werk scharfe Sicherheitsmaßnahmen: Mauern, Kontrollen, Leibesvisitationen. 3.000 Menschen arbeiten hier unter tiefen Wellblechdächern in Hallen, die sich im tropischen Klima dieses Landstrichs tagsüber infernalisch aufheizen.Im Gewerkschaftsbüro immer wieder die bekannten Aussagen: Die Bezahlung liege auch in dieser Firma unter der gesetzlichen Mindestquote, über 60 Stunden Arbeitszeit pro Woche würden verlangt, dafür gäbe zwei freie Tage im Monat. In einigen Hallen würden Kunststoffabfälle bei offenen Feuer verbrannt.Die Arbeiter tragen dabei zwar Schutzmasken gegen giftige Dämpfe, bezeichnen sie aber als bonyok - Abfall -, da es sich um einen völlig unzureichenden Gesundheitsschutz handelt. Offenbar um unter diesen Verhältnissen die Leistungsmotivation nicht schleifen zu lassen, wird in den Hallen unablässig Musik aus Lautsprechern eingespielt. Immer wieder hat die Gewerkschaft gegen derartige Zustände Widerspruch eingelegt, bislang vergeblich. Auf die Frage an meine Begleiter, ob ich noch mehr von der Produktion sehen könne, höre ich ein »leider unmöglich« - doch kurz darauf nimmt sich einer der Gewerkschafter meine Kamera und verlässt das Büro. Einige Augenblicke später kehrt er zurück und gibt mir lächelnd den Apparat. Er hat für mich die Produktion von Sportschuhen für eine Weltmarktfirma dokumentiert - eine Fabrikation, wie sie für die Länder des Südens typisch ist. Fotografiert von einem Gewerkschafter, der seine Stelle riskiert, damit diese Bilder ins Ausland kommen, damit es überhaupt Hoffnung gibt auf Veränderungen, auch durch internationalen Druck.90,5 Arbeitsstunden pro WocheNach dieser Exkursion nehme ich das angebotene Gespräch mit den Adidas-Managern Maulana Adnan und Scott Maslen erst recht wahr. Mir wird sofort ein Verhaltenskodex erläutert, zu dem sich das Unternehmen entschlossen habe, nachdem die menschenverachtenden Arbeitsbedingungen in den Zulieferbetrieben international für Aufsehen sorgten. Nach diesem Normenkatalog müssen Firmen, die für Adidas arbeiten, Mindeststandards einhalten - deren Skala reicht von Sozialleistungen über Arbeitszeitgrenzen bis zu Mindestlöhnen. Was fehlt, ist das Recht der Arbeiter auf Kollektivverhandlungen bei Tariffragen. Ein Kernanliegen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), das zum Beispiel das Unternehmen Faber-Castell - ebenfalls ein weltweit agierender Konzern - dazu veranlasste, im März 2000 eine Vereinbarung mit der IG Metall und dem Internationalen Bund der Bau- und Holzarbeiter ebenfalls über einen Verhaltenskodex zu unterzeichnen, mit dem auch das Recht auf freie Tarifverhandlungen festgeschrieben ist. Ein Ausschuss, an dem Gewerkschafter gleichberechtigt beteiligt sind, überwacht die Umsetzung des Vertrages.Von einer solchen Verifizierung oder gar einer unabhängigen Kontrolle, wie und ob der eigene Kodex respektiert wird, ist bei Adidas nichts erwähnt. Doch Maulana Adnan und Scott Maslen beharren darauf, es sei inzwischen »alles in Ordnung« mit ihren Zulieferfirmen. Sollte es Beanstandungen geben, dann werde »daran gearbeitet« - das sei »ein fortlaufender Prozess« - seit dem 31. Dezember 1999 gelte der Kodex ausnahmslos für alle. Aber noch im August 2000 wies der Lohnstreifen einer Arbeiterin beim Adidas-Auftragnehmer Tuntex in Jakarta eine Wochenarbeitszeit von 90,5 Stunden aus.Maulana Adnan legt schließlich noch Wert auf die Feststellung, dass die Arbeiterinnen jederzeit bei ihm vorsprechen könnten, sofern sie »Probleme« hätten. Meine Nachfragen bei den Betroffenen ergeben jedoch, dass ihnen Adnan völlig unbekannt ist, wie zumeist im Übrigen auch der Verhaltenskodex von Adidas, der in der Fabrik Bintang Adi Busana tatsächlich ausgehängt wurde - in einer englischen Fassung allerdings.Dietrich Weinbrenner ist Pfarrer im Gemeindedienst für Mission und Ökumene, Region Südliches Ruhrgebiet. Die Kampagne für »saubere Kleidung« ist erreichbar über Renate Huppertz, c/o DGB-Bildungswerk, Hans-Böckler-Str. 39, 40 476 Düsseldorf; email: CCC-D@dgb-bildungswerk.de; Net:
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