Die Frauen wollen durchhalten

ERMUTIGEND Madjiguène Cissé, die erste Sprecherin der Bewegung der "Sans Papiers", beschreibt den Kampf von MigrantInnen in Frankreich

Für die in der Altstadt von Dakar, Senegal, geborene Madjiguène Cissé ist es überhaupt nicht ungewöhnlich, dass eine Frau an der Spitze der Bewegung der "sans papiers" steht. In Afrika, schreibt sie, hätten Frauen trotz der patriarchalischen Gesellschaften immer einen besonderen Status gehabt, weil sie für die Beschaffung von Nahrung zuständig sind. Haushaltsvorstand zu sein, erfordert von Menschen, die ums alltägliche Überleben kämpfen müssen, also von Unterdrückten besondere Zähigkeit, Engagement und Verantwortungssinn. Vor allem in Krisenzeiten ist es eine starke Rolle. Madjiguène Cissé, die Sprecherin der Bewegung der Illegalisierten in Frankreich, glaubt, dass die in "sans papiers" organisierten Frauen sich dieses Bewusstsein und Selbstverständnis in oder trotz der Migration nach Europa bewahrt hätten. Dieses aus der traditionellen Frauenrolle kommende Selbstbewusstsein habe sich gegen die aus Erziehung und Abhängigkeiten resultierende Schüchternheit der Frauen durchgesetzt und die Zusammenhalt verbürgenden Frauen zu Sprecherinnen der einzelnen Gruppen gemacht. Es sei nicht verwunderlich, dass es Frauen waren, die im Sommer 1996 weitermachten, als die Bewegung in der Krise war und viele Männer aufgeben wollten.

Die Autorin des Buchs "Die Bewegung der Sans Papiers" ist selbst das beste Beispiel für die frauenpower, die aus dem Süden nach Europa kommt, der aber Rechte verweigert werden. Ihre Mutter war Analphabetin, ihr Vater, ein Busfahrer, ebenfalls, aber er brachte sich später selbst Lesen und Schreiben sei. 1968, im neunten Schuljahr, nahm Madjiguène Cissé in Dakar an Schulstreiks teil und ging in Schülerinnendemos auf die Straße. Später an der Universität erlebte sie noch die Endphase der Studentenbewegung. Zwei Jahre studierte sie mit einem Stipendium in Saarbrücken, ging dann zurück nach Dakar, heiratete und kam 1994 zurück nach Europa, weil sie ihren beiden Töchtern ein Studium in Paris ermöglichen wollte. Wie viele Einwanderinnen sah sie in Frankreich ein liberales Land, die Heimat der Menschenrechte. Sie hoffte, dort gut für sich und ihre Familie sorgen zu können. Zunächst hatte sie Papiere, arbeitete und nahm erneut ein Studium auf - bis sie durch Gesetzesänderungen ihren legalen Status verlor. Seither schlägt sie sich mit Jobs durch. Ursprünglich hatte sie in den Senegal zurückkehren wollen, sobald ihre Töchter sich eingelebt hätten. Aber die Gewalt, mit der der französische Staat in ihr Leben einbrach, veranlasste sie, zu bleiben und sich zu wehren. Die vitale, schlagfertige Frau wurde gleich zu Beginn 1996 zur nationalen Sprecherin der "sans papiers" gewählt (bis 1998).

In ihrem Buch analysiert Cissé Gründe für Migration, beschreibt den Weg vieler vom Dorf in die Stadt, die Fahrt weniger in ein anderes afrikanisches Land und schließlich die Reise einer sehr kleinen Gruppe nach Europa, nach Frankreich. Sie widerlegt damit auch, dass man sauber zwischen wirtschaftlichen und politischen Gründen für Migration unterscheiden könne. Den Interessen der MigrantInnen entgegen setzt sie die Beschreibung der restriktiven Entwicklung der französischen Einwanderungsgesetzgebung nach 1945. 1974, nach der Ölkrise, wurde die Arbeitsmigration für beendet erklärt. Cissé zeigt, wohin es führte, dass Innenminister Pasqua 1993 alle Nichtfranzosen in Frankreich als Feinde der öffentlichen Ordnung brandmarkte.

Die "sans papiers", die sich ihrer Illegalisierung widersetzen, sind über Frankreichs Grenzen hinaus erfolgreich und berühmt geworden, auch wenn ihre zentrale Forderung bis heute nicht erfüllt wurde. Allerdings hat die Bewegung erreicht, dass Teile der französischen Gesellschaft sie unterstützen, was wiederum auch daran lag, dass die "sans papiers" nie das staatliche Etikett der Außenseiter annahmen, sondern sich immer als Teil der soziopolitischen Geschichte Frankreichs verstanden und präsentierten. Sie sehen sich als Teil der französischen Arbeiterbewegung, als ihren rechtlosesten. Während die Gewerkschaften bei den Streiks der 80er Jahre noch "die Nordafrikaner" ausgegrenzt hatten, kämpfen sie seit 1996 gemeinsam und füreinander. Die "sans papiers" solidarisierten sich darüber hinaus mit anderen sozialen Bewegungen, mit Arbeits- und Obdachlosen.

Die Bewegung der Illegalisierten behauptete sich, indem sie den Korruptionsversuchen französischer Beamter widerstand, einzelne zu legalisieren, um andere auszuweisen. Cissé beschreibt den Alltag ohne zu idealisieren: Besetzungen, Räumungen, Gefängnisaufenthalte, Hungerstreiks, Demonstrationen, Schikanen, Enttäuschungen und Erfolge, Entbehrungen und Durchhaltevermögen, Organisationstalent und die Notwendigkeit permanenter Präsenz.

Sich nicht im Geist der Integration und der Gemeinsamkeit irritieren, sich nicht auseinanderdividieren zu lassen, dieses Prinzip, mit dem Frauen in Krisenzeiten immer wieder Klein- und Großfamilien zusammen- und am Leben erhalten, wurde von den "sans papiers" zur erfolgreichen politischen Strategie ausgeweitet. Diese Geisteshaltung ist auch die Klammer des Buches - und bezeichnend für das Wesen seiner Autorin ist, dass sie eigens Chinesisch lernte, um eine aus China stammende, wegen mangelnder Französischkenntnisse isolierte Gruppe innerhalb der sans papiers zu integrieren.

Madjiguène Cissé, Papiere für alle. Die Bewegung der Sans Papiers. Aus dem Französischen übersetzt von Nicola Schieweck. Schwarze Risse Rote Straße. Berlin 1999. 250 Seiten, 28,- DM.

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