Ein Ingenieur aus Toronto, der mit 33 Jahren erfuhr, dass er nicht mehr lange zu leben hatte, erfand den virtuellen Friedhof im Internet. Er bastelte sich eine Homepage mit Foto, Nachruf und Platz für Kondolenzschreiben von Angehörigen. Noch vor seinem Tod, im letzten Jahr, folgten ihm zahlreiche Nachahmer.
Die Friedhofsseiten im Web sind pietätvoll, aber unter Verzicht auf das Bestattungsunternehmer-Design gestaltet. Da lächelt ein nettes Mädchengesicht über einem Meeresstrand, und dazu erklingt die Melodie "Tears in Heaven"; eine melancholische, sanfte Musik. Die junge Georganna hat hier ihre ewige Ruhe gefunden. Im Text erfährt man, dass sie gern modelte, auch wenn sie nur fünf Fuß groß war, Schokolade liebte und chinesisches Essen. Per Link gelangt man zur Eloge, die Freunde für ihre Beerdigung verfasst haben, ein anderer Link führt zum privaten Fotoalbum von Georganna. Im Gästebuch haben Besucher aus aller Welt ihre Gedanken beim Verharren an diesem virtuellen Grabstein festgehalten.
Schlichter, aber nicht weniger wirkungsvoll setzte der deutsche Anbieter "Ewiges Leben" der 30-jährigen Kerstin ihr Grabmal: Ein weiß getünchter Stein eines südländischen Friedhofs ragt in den azurblauen Himmel, darunter, in Handschrift, Kerstins Lieblingsgedicht.
Auf den normalen Friedhöfen erhalte man wenig Information über die Wesensart der Toten, mehr als Geburtsdatum und Todestag ist den Grabsteinen selten zu entnehmen, geben die Schöpfer der virtuellen Grabstätten als Nachteil der "steinernen" Friedhöfe an. Nachrufe in der Tageszeitung, in Deutschland ohnehin unpopulär, wären auch schnell vergessen. Die Internet-Friedhöfe erweitern die Möglichkeit des Erinnerns: hier können Fotos der Verstorbenen betrachtet werden, von ihnen ausgewählte Gedichte sind zu lesen, sogar die Lieblingslieder können abgespult werden.
"Der Zahn der Zeit wird unseren Grabmalen nichts anhaben, und außerdem können Leute aus aller Welt ganz einfach den Friedhof besuchen", wirbt "world gardens". Als erster und bislang einziger Anbieter gestattet "world gardens" einer Versicherungsgesellschaft aus Kalifornien ein dezentes Werbebanner auf der Page zu plazieren. Auf den anderen Friedhöfen ist Werbung bislang noch tabu, Sponsoren werden natürlich gern gesehen. Vom kleinen Grabstein bis zur Multi-Media-Grabstätte "last home" finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen: die Site kostet hier pro Jahr 120 DM. Wer seinen virtuellen Grabstein 30 Jahre lang in der "Hall of Memory" aufstellen will, muss schon 400 DM anlegen. Die Gestaltung des Grabsteins reicht dabei von klassisch-konservativ bis progressiv-modern.
Generell sind die virtuellen Grabstätten für alle Toten offen. "virtual burial" trennt die Toten jedoch fein säuberlich. Wie im Mittelalter gibt es dort einen Platz für Selbstmörder. In unserem Zeitalter kommt noch ein Platz für Aids-Tote dazu. Und schwule und lesbische Tote sind genauso getrennt wie jüdische und islamische. Ein Platz für Bill Gates ist reserviert.
Die Etablierung von Friedhöfen im Internet könnte dazu beitragen, den Vorgang des Sterbens, der von der modernen Gesellschaft weitgehend verdrängt wird, mehr ins Be wusst sein zu rücken. Der Gang ins Internet-Café ist heute alltäglicher geworden als ein Spaziergang auf dem Friedhof. Und außerdem spart man bei den virtuellen Grabsteinen bares Geld: wer die horrenden Summen von Bestattungsunternehmen kennt, wird die Internet-Begräbnispreise zu schätzen wissen.
In Deutschland sind allerdings die Skrupel, die Grabstätte virtuell für die ganze Internet-Welt zugänglich zu machen, noch höher als in den USA. Doch die Kirche signalisiert Wohlwollen. So bietet die evangelische Kirche in Bayern bereits die Dienste von zwei Online-Pfarrern an. Und bald scheint es nicht mehr weit, Live-Beerdigungen im Internet zu übertragen, wie es die digitalen Trauerdienste planen. Wer genug hat vom Stöbern auf virtuellen Friedhöfen, kann sich bei "world gardens" Fotos berühmter Friedhöfe wie "Père Lachaise" in Paris, die Katakomben in Rom oder Arlington bei Washington ansehen. Auf den historischen Friedhöfen Berlins kann man einiges über den Dichter Engelbert Humperdinck, den Optiker Carl Ruhnke oder den Eisenbahnkönig Bethel Henry Strousberg erfahren.
Die Atmosphäre eines echten Friedhofs am stillen Sonntagnachmittag lässt sich aber auch mit der ausgefeiltesten Technik noch nicht bewerkstelligen - zum Glück?
Internet-Friedhöfe
Deutschland:
http://www.hall-of-memory.de/index.html
http://www.ewigesleben.de
http://www.last-home.de
USA:
http://www.interlog.com/~cemetery/ http://www.worldgardens.com
http://www.memorial-site.com
http://virtual-memorials.com/
http://www.virtualburial.com
http://www.obits.com
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