Ihre Hautschuppen schimmern farngrün, ihre Augen leuchten senfgelb und sind mit einem haarfeinen schwarzen Strich gezeichnet: Die Schlange Trimeresurus gumprechti gilt als eine der wunderlichsten Erscheinungen, die Wissenschaftler zuletzt im Regenwald Südostasiens entdeckt haben. Ein Foto ihres gewaltigen Konterfeis schmückt nun den Titel eines aktuellen Reports der Umweltorganisation WWF, der von einem bislang ungeahnten Artenreichtum in der Region Greater Mekong erzählt. Biologen und Taxonomen sichteten dort in den vergangenen zehn Jahren über tausend neue Tier- und Pflanzenarten, was selbst Öko-Pessimisten begeistert.
Wissenschaftler berichten heutzutage nur noch selten von überraschenden Tier- und Pflanzenfunden, ganz gleich, wo in der Welt sie forschen. Meist handelt es sich um Entdeckungen einzelner Arten. So war es eine Ausnahme als im Dezember eine deutsch-britische Biologengruppe mitteilte, sie habe auf den South Orkney Islands nahe der Antarktis einen Artenreichtum gefunden, der größer sei, als jener auf den Galapagos-Inseln vor Südamerika. Ein anderes Forscherteam sichtete im Jahr zuvor in den Tiefen vor Raja Ampat bei Neuguinea eine ungewöhnliche Fülle an Riffbarschen und Korallenbänken. Die Funde in Südostasien dürfen gleichwohl als außergewöhnlich gelten, schon weil im Greater Mekong noch halbwegs unberührte Urwälder stehen und es sich nicht um entlegene Inseln oder Meere handelt.
Tellergroße Spinnen und Frösche mit grünem Blut
Obwohl die Wildnis am Greater Mekong seit Mitte des 19. Jahrhunderts erforscht wird, bleibt das Wissen über die Naturregion begrenzt. Die Urwälder mit ihren zahlreichen Ökosystemen und Klimazonen sind so wenig bekannt wie die genaue Quelle des Flusses, der im tibetischen Hochland entspringt und Chinas Süden durchfließt. Als gewaltiger Fluss windet er sich an Laos, Burma und Thailand vorbei, strömt durch Kambodscha, bewässert dort Zuckerrohr- und Reisfelder, bevor er sich in Vietnam über ein neunarmiges Delta ins Südchinesische Meer ergießt, einer Legende nach "neunarmiger Drache" genannt. Geschätzte 25.000 Arten sollen in der Region leben. So viele wie nirgendwo sonst in der Welt auf so engem Raum. Lediglich im weitaus größeren Amazonasbecken wimmeln noch mehr Tierarten.
Im Greater Mekong sichteten die Wissenschaftler nicht nur tellergroße Spinnen und exotische Frösche wie der Chiromantis samkosensis, der grünes Blut und türkisfarbene Knochen besitzt. Sie entdeckten auch neue Vögel, Schildkröten, Pflanzen, Fische, Amphibien und vor allem Säugetiere - in nur vier Jahren erfassten sie drei bislang unbeschriebene, größere Huftiere, insgesamt sogar 15 Säuger. In den zuvor vergangenen fünf Dekaden wurde laut WWF weltweit lediglich eine einzige größere Säugetierart gefunden. Für Zoologen scheint die Zeit der Entdeckungen in Südostasien gerade erst angebrochen.
Dass sich die Biodiversität am Mekong bis heute überhaupt so gut erhalten hat, ist nicht zuletzt riesigen Bergmassiven, Monsumen, Flutregionen, dichten Mangrovenwäldern und Konflikten geschuldet. Die Kriege in Vietnam und um Kambodscha verhinderten lange, dass sich Gesellschaft und Wirtschaft entwickeln konnten. Doch nun erobern Tabak- und Maisplantagen den Strom, für Schiffe und Tourismus wird er eingedeicht, China plant zwölf Staudämme, und aus dem Tonle-Sap-See fangen kambodschanische Fischer jährlich sieben Millionen Wasserschlangen für Krokodilfarmen, was bald zur Überfischung des Sees führen dürfte.
Seit 1990 fielen jährlich fast drei Millionen Hektar Dschungel neuen Kaffee- oder Kautschuk-Plantagen zum Opfer. Derzeit finanziert die Asian Development Bank drei Transportkorridore, über die Erz- und Mineralvorkommen erschlossen werden sollen, und sie fördert 150 Staustufen zur Gewinnung von Elektrizität und Wasser zur Felderbewässerung. WWF und UNEP - die Umweltorganisation der Vereinten Nationen - führen schon fünf Primaten wie den Tiger und den Asiatischen Elefanten auf der Roten Liste der gefährdeten Arten. 70 Prozent der Säugetierarten gelten als bedroht. Die Naturregion stufen sie bereits als "empfindlich" ein, womit diese im Vergleich mit Amazonas- und Kongobecken eher noch gut dasteht.
Die Staaten der Region haben in den neunziger Jahren erste Gesetze zum Schutz der Umwelt erlassen. Rund zehn Prozent des Greater Mekongs sind Naturschutzgebiete, und kürzlich setzte Thailand auf einer Konferenz durch, dass jeder kommerzielle Handel mit dem gefährdeten Iriwadi-Delfins verboten ist. Doch nicht immer scheinen sich die Regierungen an ihre Regeln gebunden zu fühlen. Umweltdetektive der britischen Organisation Global Witness beschuldigen kambodschanische Minister, die Plünderung der uralten Wälder zu dulden und sogar vom illegalen Verkauf der Edelhölzer zu profitieren, womit sie gegen Landesgesetze verstießen. Analysen der FAO - einer Unterorganisation der Vereinten Nationen - bestätigten den massiven, unerlaubten Holzeinschlag: In nur fünf Jahren soll Kambodscha ein unglaubliches Drittel seiner Urwaldflächen gerodet haben. Auf manchem Brachland breiten sich derweil nun Ölbaumplantagen aus.
Überlegene Ökonomie der Naturkreisläufe
Den Regenwald können solche Plantagen nicht ersetzen. Gleichwohl erobern diese oft für den Export gepflanzten Monokulturen rasant die Region. Wie Biologen jüngst zeigten, überleben in den Ölbaumhainen im Schnitt weniger als ein Sechstel aller Vögel, Fledermäuse, Ameisen und anderer Tiere, die zuvor in den Urwäldern beheimatet waren. Vermutlich sind dies sogar optimistische Schätzungen: Denn das Arteninventar eines tropischen Regenwaldes sei wesentlich schwieriger zu erfassen als das einer Ölbaumplantage, schreiben die Forscher in der Oktoberausgabe der Fachzeitschrift Trends in Ecology and Evolution. Für artenreicher halten sie in ihrer Studie selbst Wälder, die forstwirtschaftlich genutzt werden, oder Plantagen, die auf Kakao, Gummibaum oder Kaffee setzen. Nicht zuletzt westliche Länder aber fragen das Palmöl immer massiver nach: für Kosmetikprodukte, Lebensmittel und Biokraftstoffe.
Wie kostspielig der Verlust der Natur zu Buche schlägt, versuchen Wirtschaftswissenschaftler weltweit seit Jahren zu berechnen. Um möglichst exakte Preise zu bestimmen, fragen sie dabei, wie ökonomisch die Produktivität einzelner Ökosysteme ist: Welchen finanziellen Wert besitzen etwa Nährstoffzyklen oder Wasseraustausch für eine Region? Der wirtschaftliche Nutzen eines Hektar Regenwaldes in Kambodscha beträgt danach umgerechnet 1.300 Euro jährlich. Darin enthalten sind die Werte der Wälder für den Klimaschutz, als (geschätztes) Reservoir unentdeckter Heilpflanzen und deren Pufferfunktion in den Stoffströmen. Einkalkuliert wird ferner, wie wertvoll die Wälder als Nahrungs- und Brennholzquelle für lokale Siedler sind. Werden sie gerodet, erreichen die Gewinne aus dem Holzverkauf kaum ein Zehntel des ursprünglichen Betrages.
Ähnliches gilt für die Mangrovenwälder Thailands. Deren Wirtschaftsleistung beträgt auf jedem Hektar rund 2.100 Euro jährlich. In den Berechnungen wird beispielsweise beachtet, dass die Mangroven einen künstlichen Flutschutz ersetzen, Jungfischen als Aufzuchtraum dienen, einen maßvollen Tourismus ermöglichen und der lokalen Fischerei sichere Fänge garantieren. Sobald die Gezeitenwälder gefällt werden, sinkt der (privatisierte) Gewinn dort auf kaum ein Drittel, trotz der Erlöse aus neuen Fischfarmen. In vielen Fällen schlägt die Ökonomie der Naturkreisläufe die Produktivität menschlicher Wirtschaftssysteme - im Greater Mekong wie anderswo.
Während Biologen wie Edward O. Wilson von der Harvard-Universität das Konzept der "Biophilie" - einer (angeborenen) Liebe zur Natur - durchaus erfolgreich in ihrer Disziplin propagieren und auf ein neues, romantisches Naturverständnis hoffen, befürchten andere, dass die Urwälder im Greater Mekong in wenigen Jahren verschwinden könnten. "Die Dokumentation der Biodiversität ist längst ein Rennen gegen die Zeit", sagte Raoul Bain, Spezialist für Artenvielfalt am New Yorker American Museum of Natural History zur WWF-Studie. Die Artenvielfalt sei bislang kaum verstanden, doch schon einem ungeheuren Druck durch wachsende Bevölkerungen ausgesetzt.
Ausgerechnet auf einem Marktplatz in Laos entdeckten die Biologen des WWF eine längst verschwunden geglaubte Art wieder. Zwischen Ständen und Abfällen tummelten sich Nager, die dem Eichhörnchen ähnlich sehen: Laotische Felsenratten. Sie galten seit elf Millionen Jahren als ausgestorben.
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