Den Teufel ausschwitzen auf dem Berg des Herrn

Guatemala vor der Präsidentenwahl Geballte Fäuste und göttlicher Glaube

Am 9. September, im Jahr 11 nach dem Bürgerkrieg, will Guatemala einen weiteren Schritt hin zu mehr innerer Stabilität tun. Die Bürger sind zur Wahl des Präsidenten und künftigen Parlaments aufgerufen. Die Regierung von Oscar Berger (Gran Alianza Nacional / GANA) tritt nach vier Jahren ab. Als Nachfolger empfiehlt sich unter anderem der Ex-General Otto Peréz Molina, der seinen Gegnern auf Wahlplakaten mit der geballten Faust droht und kaum als Gralshüter der Versöhnung daher kommt.

Carlos ist in Trance. Die Augen weit aufgerissen, das Gesicht dreckverschmiert, wird er stets aufs Neue herumgestoßen, angeschrieen, bis er völlig entkräftet, weinend und wimmernd zusammenbricht. Don Romero und Don Domingo, die beiden Priester brüllen "Ave Maria" und "Satanas" und gönnen Carlos keine Pause. Exorzismus in 4.000 Meter Höhe, inmitten der Wolken, am Kraterrand des von den Mayas verehrten Vulkans Santa Maria, und der Teufel ist so schnell nicht besiegt.

Guatemala ist ein tiefgläubiges Land, doch hat sich das Leben der Mayas dank des evangelischen Einflusses gewandelt. Vor Jahren noch waren die Menschen fast ausschließlich katholisch - heute gilt Guatemala unter allen Staaten Zentralamerikas als der protestantischste.

Unter Tränen verstummen sie alle

Don Domingo hat einen umgebauten Kuhstall zur Hauskirche geweiht. Stolz thront das Kreuz mit der abgeblätterten Farbe über den Wellblechdächern der Kleinstadt San José. Neben der Stalltür ein Lautsprecher. Die Nachbarschaft soll sie hören, die Stimme Gottes, wann immer sie ertönt. Der Altar am Ende des Raumes ist ein einziges Blumen-Bouquet, voller Girlanden und greller Bildchen, die Geschichten aus der Bibel erzählen. In der Mitte steht Maria und hält den kleinen Jesus schützend in ihrem Arm. Den Blick nach unten gerichtet, wartet sie demütig auf den nächsten Gottesdienst.

Jeden Sonntag trifft sich Familie Domingo zur Messe. Die Großmutter brüllt ins Mikrofon, hüpft vor Erregung auf und ab, verschont mit ihrer Stimme die benachbarten Haushalte keinen Augenblick. Die achtjährige Tochter Anita kneift die Augen ganz fest zusammen, auch sie betet laut und schrill vor lauter Angst, ihr Stimmchen könnte in all dem Lärm untergehen. Es geht um mehr Geld für die Familie, ein neues Dach und den Wunsch, dass alle gesund bleiben. Don Domingo und seine Frau Isabel liegen auf dem kalten Steinfußboden, murmeln mit geschlossenen Augen Gebete zum Allmächtigen. Familie Domingo ist weit weg und in einer anderen Welt unterwegs. Schließlich das Finale. Großmutter und Tochter sinken gleichfalls zu Boden. Unter Tränen verstummen sie bald alle - die Stille nach der Andacht ist göttlich.

Isabel verlässt als erste das Gotteshaus. Die täglichen Pflichten, sieben Kinder sind großzuziehen, dazu der Haushalt. Don Domingo erklärt mir unterdessen, was auf dem Vulkan Santa Maria mit Carlos passiert ist. Der junge Mann war des Diebstahls beschuldigt. Tagelang quälten ihn höllische Schmerzen. Er fing an zu trinken und glaubte, der Tod stehe vor seiner Tür. Mit dem Mut des Verzweifelten schleppte er sich zu Don Domingo. Gegen einen kleinen Obolus und nach einer mehrstündigen Wanderung zum Heiligen Ort der Mayas war es soweit - unter Tränen, unter Gebeten, unter Flüstern und Schreien, auch unter Drogen wurde der Teufel ausgeschwitzt.

Wenn Don Domingo gerade nicht die Aufträge des Herrn erfüllt, verkauft er frischgepresste Orangensäfte an der Straße zum Busbahnhof von San José. Um ihn herum qualmen bunt bemalte Schulbusse über raues Pflaster, konkurrierende Straßenverkäufer versuchen lauthals ihr Glück, aufgehalten von Kindern, Krüppeln und Obdachlosen, die um ein Almosen betteln.

Elf Jahre nach dem Bürgerkrieg sucht Guatemala nach innerer Ruhe und findet sie nicht. 200.000 Menschen wurden zwischen 1970 und 1996 getötet, anderthalb Millionen zu Flüchtlingen im eigenen Land. Am 9. September nun sind die Bürger aufgerufen, einen neuen Staatschef zu wählen. Unter denen, die sich für würdig und fähig halten, das Amt zu übernehmen, finden sich der Ex-General und Massenmörder Otto Peréz Molina, der seinen Gegnern mit "geballter Faust" droht, die in Guatemala wenig geschätzte Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú, der viele Verrat an der indigenen Gemeinschaft vorwerfen, und der spindeldürre Sozialdemokrat Álvaro Colom, der mit Fistelstimme recht uncharismatisch daher kommt.

Beim Abstieg ist es vorbei

Auch wenn die Kandidaten noch so farbenfroh und aufdringlich von den Häuserwänden lächeln, an Politik glauben Don Domingo und Don Romero am aller wenigsten. Korruption, Armut und Rassismus allenthalben, die Hauptstadt Guatemala-City ewige Heimstatt grassierender Kriminalität. Nach Sonnenuntergang scheint es wenig ratsam, das Haus zu verlassen. Wer es sich leisten kann, wohnt hinter hohen, Stacheldraht bewehrten Mauern - Personenschützer sind heiß begehrt.

Don Romeros Augen sind nur noch auf Gott gerichtet und seine Sozialarbeit. Er betreut eine Gruppe indigener Jugendlicher, zeigt ihnen den rechten Weg. Es geht um mehr als Gott allein. Die Jugendlichen suchen Verständnis oder einfach nur jemanden, dem sie ihr Leben erzählen können. Gleichgültigkeit und Gewalt in den Familien sind oft groß, Vergewaltigungen und Kinderarbeit üblich. Auf dem heiligen Berg Cerro Quemado am Rande der Stadt Quetzaltenango trifft sich die Gruppe, Pablo spricht von seinem betrunkenen Vater, Luisa macht sich Sorgen um ihren Bruder, Miguel wünscht sich Arbeit. Don Romero hört sich die Geschichten an, hat immer ein Halleluja auf den Lippen und glaubt an den Sieg der Gerechtigkeit. Was droht all jenen, die sich dem Weg Gottes verweigern?

Das erkaltete Lavafeld Cerro Quemado bietet die perfekte Szenerie. Die Sonne prallt auf schroffes Gestein, der Wind wirft feinen Staub herüber und über allem schweben die Gesänge Don Romeros. Gegen Mittag, als die Sonne im Zenit steht, heben alle die Arme gen Himmel und beten, dass sie der Welt entkommen und das elende Leben vergessen. Gemeinsam leiden und teilen. Und das alles auf dem Heiligen Berg und unter dem wachen Auge des Allsehenden.

Schon beim Abstieg ist es mit aller Weltflucht vorbei. Rotschwarz, Grün, Blaugelb und Kaltweiß schreit es ihnen entgegen, das Versprechen der Parteien und aller Kandidaten auf eine bessere Zukunft in Guatemala. Don Domingo und Don Romero glauben daran längst nicht mehr.


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