Der Kreuzberger Sportverein Türkiyemspor Berlin ist der mit Abstand erfolgreichste und wohl auch bekannteste von Gastarbeitern gegründete Fußballklub Deutschlands. Vor zwanzig Jahren gewann er mit einem 2 : 1 nach Verlängerung gegen den BFC Preußen erstmals den Berliner Paul-Rusch-Pokal - um in den folgenden Jahren regelmäßig kurz vor dem Aufstieg in die zweite Bundesliga zu stehen. Nun hat der legendäre Sieg Jubiläum. Und Türkiyemspor lud am letzten Wochenende zu einem, vielleicht etwas großpurig "Türkiyemspor-Dreamteam-Abend" genannten Treffen ein - einem Wiedersehen mit den Idolen aus der glorreichen Zeit.
Die Veranstaltung in einem griechischen Restaurant im Plattenbau verströmt den Charme eines Klassentreffens: Gealterte Recken reichen Fotos herum und begrüßen Neuankömmlinge mit "Du hast dich gar nicht verändert". Man sieht sich noch einmal die Fernsehaufnahmen vom Spitzenspiel der Westberliner Oberliga gegen Hertha BSC vor 12000 Zuschauern aus dem Jahr 1987 an, und Fanschals mit der Aufschrift "Futbolun irki yoktur" (Fußball hat keine Rasse) werden bewundert. Der Stolz auf das Vollbrachte ist allgegenwärtig. Türkiyemspor ist eine Legende: Der Verein, der 1978 gegründet wurde, blickt auf einen unvergleichlichen Siegeszug durch die Westberliner Amateurligen zurück, wo er Jahr für Jahr aufstieg. Bereits 1987 spielte er in der obersten Amateurklasse, sodass der Deutsche Fußball Bund sich gezwungen sah, eine "Lex Türkiyemspor" einzuführen, um Vereinen wie Türkiyemspor Berlin oder Türk Gücü München einen Aufstieg in die Bundesliga überhaupt formal zu ermöglichen. Bis zu diesem Zeitpunkt nämlich durften höchstens zwei Ausländer in einer Bundesligamannschaft spielen, um deutschem Nachwuchs Spielerfahrung auf hohem Niveau zu garantieren. Diese Begrenzung galt auch für in Deutschland aufgewachsene Gastarbeiterkinder. Erst mit der neuen Regelung wurden diese als "Fußballdeutsche" den Deutschen gleich gestellt.
Der sportliche Erfolg löste unter den Kreuzberger und Neuköllner Türken eine wahre Begeisterungswelle aus. Bereits in den unteren Amateurligen feuerten die Mannschaft oft über 1000 Zuschauer an. Nach dem ersten Sieg im Paul-Rusch-Pokal zogen die Anhänger stundenlang hupend mit dem Auto durch Kreuzberg - eine Sitte, die die deutsche Mehrheitsgesellschaft seit der diesjährigen WM übernommen hat.
Erzürnte Fans brachten den Verein aber auch gelegentlich in Schwierigkeiten. Als Türkiyemspor am 1. Mai 1991 am letzten Spieltag gegen Tennis Borussia Berlin mit 0 : 5 verlor und so den Aufstieg in die zweite Bundesliga verspielte, ließen viele der 8.000 Zuschauer ihrer Wut freien Lauf und randalierten. Die Fans kochten, weil der Berliner Fußballverband Türkiyemspor zum wiederholten Mal grob benachteiligt hatte. Diesmal hatte er einem Spieler, der zu Saisonbeginn zu Türkiyemspor gewechselt war, rückwirkend die Spielberechtigung entzogen - nachdem ein Verfahrensfehler des Verbandes aufgefallen war. Obwohl also weder Spieler noch Verein Schuld trugen, musste die Mannschaft büßen und innerhalb von zehn Tagen drei bereits gewonnene Spiele wiederholen - um anschließend gegen die ausgeruhten Spieler von Tennis Borussia anzutreten. So berechtigt der Zorn der Fans gewesen sein mag, so wenig brachte er ihnen: Im folgenden Jahr durfte Türkiyemspor nicht mehr im Kreuzberger Katzbachstadion spielen und musste sich mit dem BFC Dynamo - damals FC Berlin - den Ostberliner Jahnsportpark teilen.
Der kometenhafte Aufstieg der Migrantenkicker missfiel vielen im Fußballbetrieb. Besonders seit die Westberliner Vereine auch in der ehemaligen DDR antreten müssen, sind rassistische Entgleisungen an der Tagesordnung. Besonders bei Spielen gegen den BFC Dynamo, Energie Cottbus oder den Halleschen FC fordern gegnerische Anhänger und bisweilen auch Betreuer die Kreuzberger Spieler immer wieder auf, "ins deutsche Gas" zu gehen, skandieren "Hoyerswerda, Hoyerswerda" oder greifen die Fans körperlich an. Die Nazi-Band Landser widmete Türkiyemspor sogar ein eigenes Schmählied.
Seit dem verpassten Aufstieg 1991 sinkt der Stern von Türkiyemspor langsam aber stetig. War der Verein 1994 noch Gründungsmitglied der neu geschaffenen Regionalliga, stieg er im folgenden Jahr erstmalig in der Vereinsgeschichte ab, um sich drei Jahre später in den Niederungen der Verbandsliga wieder zu finden. Damit ist der große Traum der Berliner Türken ausgeträumt: Dass es welche der Ihren bis in die Bundesliga schaffen könnten - von der Begeisterung ihres Umfelds getragen, wie einst die großen Arbeitersportvereine.
Heute spielt Türkiyemspor immerhin wieder in der nun viertklassigen Oberliga - womit er unter den erfolgreichsten Berliner Fußballmannschaften rangiert. Konkurrenz kicken zwei türkische Nebenbuhler: Yesilyurt und Ankaraspor, die mit Geld nur so um sich werfen - doch die Luft ist raus. Zu den Spielen erscheinen kaum mehr als 100 Fans. Längst sind die türkischen Vereine zu normalen Fußballvereinen geworden, deren Spieler nicht mehr ein bestimmtes Milieu repräsentieren, sondern gezielt, nach Leistungskriterien zusammengekauft werden. So gelingt es keinem der drei Vereine, eine ähnliche Euphorie zu entfachen, wie früher einmal Türkiyemspor.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.