Vor wenigen Wochen gab Facebook bekannt, dass nun mehr als eine halbe Milliarde Menschen bei dem Sozialen Netzwerk registriert seien. Facebook verfügt damit – sechs Jahre nach seiner Gründung – über ebenso viele Mitglieder wie die Europäische Union Einwohner hat. Vor allem aber besitzt Facebook eine unvorstellbar große Datenbank der Intimitäten. Die detaillierten Angaben jedes einzelnen Nutzers zu seinen Vorlieben, Einstellungen und seinem Freundeskreis sind zugleich eine unschätzbar wertvolle Ressource für den wachsenden Online-Anzeigenmarkt.
Das weiß auch Firmengründer und Vorstandschef Mark Zuckerberg. Sein Ziel ist es, Google zu überrunden und Facebook mit Hilfe der ihm anvertrauten Daten zum größten Werbedienstleister im Internet zu machen. Hierfür müssen die virtuellen Mauern des Netzwerks jedoch durchlässiger werden. Zum einen versucht Facebook daher hartnäckig, die geltenden Datenschutzeinstellungen zurückzufahren – bisweilen auch hinter dem Rücken der Nutzer. Zum anderen präsentierte Zuckerberg im April so genannte „Social Plugins“. Diese können auf jeder beliebigen Website eingebaut werden und dienen dazu, anderen Facebook-Nutzern ausgewählte Inhalte zu empfehlen. Diese neuen Werkzeuge spähen jedoch das Surfverhalten aller Seitenbesucher aus und leiten die gesammelten Informationen an die Facebook-Server weiter, wo sie ausgewertet werden.
Wachsender Widerstand
Mit seinen Expansionsstrategien strebt Facebook nicht weniger als die ökonomische Durchdringung des gesamten Netzes an. Die aggressive Kolonisation droht jedoch das Internet am Ende zu zentralisieren – und damit auch seine potenzielle Offenheit nachhaltig einzuschränken.
Gegen die Pläne von Facebook formiert sich allerdings seit einigen Monaten wachsender Widerstand. Ein vierköpfiges Team aus New Yorker Studenten hat Zuckerbergs Plänen den Kampf angesagt und arbeitet bereits an einer Alternative: dem Sozialen Netzwerk Diaspora. Der Name ist Programm: „Diaspora“ entstammt der griechischen Sprache und bedeutete ursprünglich „ausstreuen, sich zerstreuen“.
Die Maxime der Entwicklergruppe lautet: Jeder Diaspora-Nutzer soll uneingeschränkt die Verfügung über seine eigenen Daten behalten. Denn in dem dezentral organisierten Diaspora-Netzwerk gilt die Privatsphäre als das höchste Gut. Zudem soll die gesamte Kommunikation unter den Teilnehmern verschlüsselt erfolgen.
Kickstart durch Spenden
Die Mittel für das Gegenprojekt zu Facebook wurden ausschließlich von Internetnutzern gespendet. Über kickstarter.com, ein Web 2.0-Dienst, der Geld für die Förderung unterschiedlichster Projekte sammelt, trugen die Entwickler innerhalb weniger Tage über 200.000 US-Dollar zusammen.
Bereits im September soll eine erste Version von Diaspora auf joindiaspora.com veröffentlicht werden – inklusive des Quellcodes und unter freier Lizenz. Allerdings wird anfangs noch etwas technische Handarbeit erwartet: So muss jeder Nutzer das Programm zu Beginn noch umständlich auf einem eigenen privaten Webserver installieren und dort ebenfalls den persönlichen Datensatz, den so genannten „Seed“, hinterlegen.
Gleichwohl liegt in dieser dezentralen Verstreuung der Unterschied zu herkömmlichen Sozialen Netzwerken: Im Gegensatz zu Facebook, das sämtliche Nutzerdaten zentral auf seinen Großservern speichert, verfügt jeder einzelne Diaspora-Nutzer über eine eigene kleine Datenkapsel an einem Speicherort seiner Wahl. Auf diese Weise behält der Einzelne die volle Kontrolle über seine privaten Informationen. Auch vor dem unbefugten Zugriff Dritter sind sie geschützt: Da die Daten nicht auf Diaspora-Servern angehäuft werden, sondern weltweit verstreut sind, könnten interessierte Unternehmen selbst dann nicht auf diese zugreifen, wenn die Diaspora-Macher irgendwann ihre Politik änderten. Aus dem gleichen Grund müssten Ermittlungsbehörden für jeden einzelnen Nutzer einen Online-Durchsuchungsbefehl im jeweiligen Staat beantragen – was eine verdachtsunabhängige Überwachung aller Teilnehmer unmöglich macht.
Offenheit des Internets in Gefahr
Selbstverständlich bleibt noch abzuwarten, ob das Open-Source-Netzwerk auch tatsächlich eine schlagkräftige Alternative zum datenhungrigen Facebook bieten wird. Auf jeden Fall kann der digitale Graswurzelwiderstand überhaupt nur dann Erfolg haben, wenn die Benutzung des Netzwerkes am Ende mindestens ebenso intuitiv erfolgt wie bei Facebook und Co.
Die zweite Maxime der Programmierer lautet daher, die Verwendung von Diaspora erheblich zu vereinfachen. Mit Hilfe der Community sollen neben regelmäßigen Updates auch zahlreiche Zusatzfunktionen bereitgestellt werden. So versprechen die Entwickler bereits, dass in naher Zukunft auch verschlüsselte Internet-Telefonie unter den Nutzern möglich sein wird.
Die höchste Hürde indes muss Diaspora am Ende nehmen. Denn es wird vor allem auf den entschlossenen Willen der zahlreichen Facebook-Nutzer ankommen sich zu „zerstreuen“. Überzeugende Argumente gibt es genug: Schließlich geht es nicht allein darum, die Hoheit über die privaten Daten zurückzuerlangen. Die Offenheit des Internet selbst steht auf dem Spiel.
Daniel Leisegang ist Redakteur bei der Monatszeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik und bloggt auf carta.info
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