Voll fieberhafter Vorfreude blickten Filmfans monatelang Beau Is Afraid, dem dritten Spielfilm des amerikanischen Regisseurs Ari Aster, entgegen. Die hohe Erwartungshaltung erklärt sich zum einen mit der Durchschlagskraft von Asters Spielfilmdebüt Hereditary (2018), der bis zum Erscheinen von Everything Everywhere All at Once der kommerziell erfolgreichste Kinotitel der mittlerweile enorm populären Indie-Produktionsfirma A24 war. Doch der Vorfreude auf den neuen Ari Aster-Film war noch etwas anderes beigemengt: die Erwartung, von seinem ausgesuchtem Gebrauch des Horrorgenres erneut verstört, in gewisser Weise sogar traumatisiert zu werden.
In Interviews legt Aster oft Wert auf eine gewisse Distanz zu gängigen Horrortropen. Weder Hereditary noch den 2019 erschienenen
Hereditary noch den 2019 erschienenen Nachfolger Midsommar wollte er gänzlich dem Horrorgenre zuordnen. Ersteren bezeichnete er als Familientragödie, die sich in einen „ausgewachsenen Alptraum“ wandle und letzteren als „Trennungsdrama im Gewand eines Folk-Horrorfilms“. Seine Filme zeichnet die beklemmende Verzahnung von vielschichtiger Trauma-Erzählung mit beherzt ausgereizten Horrorelementen aus.Mit seinen zwei Spielfilmen sowie vorausgegangenen Kurzfilmen wie The Strange Thing About the Johnsons (2011) und Munchausen (2013) hat Aster die Verknüpfung von realistischen, Familientragödien mit niederschmetternden Horrorwendungen geradezu zu so etwas wie seiner Marke gemacht. Ein Verfahren nicht ohne Risiko – man denke an M. Night Shyamalan, der mit seiner Vorliebe für Twists zum Ende seiner Filme mittlerweile als One-Trick-Pony gilt. Anders als Shyamalan aber wagt Aster mit Beau Is Afraid nun relativ früh in seiner Karriere stilistisch einen Bruch mit dem Bewährten.Was befürchtet wird, tritt auch einIm Mittelpunkt seines neuen, hochbudgetierten und knapp dreistündigen Films steht der Mittvierziger Beau (Joaquin Phoenix), der aufgrund seiner massiven Angststörung in psychotherapeutischer Behandlung ist und sich anschickt, zum Todestag seines Vaters seine narzisstische Mutter zu besuchen.Nachdem Beau seine Therapiestunde hinter sich bringt, betreten wir mit ihm eine bemerkenswert schrecklich anmutende Welt. Es ist eine von seiner Panik und verinnerlichten Schuldgefühlen verzerrte Realität, in der alles an unwahrscheinlich Grausigem eintritt, was Beau in seiner krankhafter Neigung zum Katastrophendenken sowieso schon befürchtet. Schon die Rückkehr zu seiner Wohnung wird zu einem hochgetakteten Spießrutenlauf durch ein schwerkriminelles Viertel – von Asters bewährtem Kameramann Pawel Pogorzelski mit rotierenden Bewegungen visuell imponierend eingefangen.Eingebetteter MedieninhaltHier tummeln sich drogensüchtige Kleinganoven und Serienmörder, die es alle auf Beau abgesehen haben. Sie sabotieren den geplanten Aufbruch zu seiner Mutter – er verbringt eine schlaflose Nacht, verschläft, ihm wird der Koffer vor der Wohnungstür gestohlen und schließlich verschafft sich die gesamte gemeingefährliche Nachbarschaft Zugang zu seiner Wohnung. Beaus Verzweiflung darüber führt ihn auf eine surreale Heldenreise, die von einer grotesken Situation zur nächsten eskaliert und am Ende in der Konfrontation mit der schwierigen Beziehung zu seiner Mutter mündet.Das Trio Schuld, Scham und ParanoiaMit seinem chaotisch losbrechenden, alptraumhaften Szenario wirkt Beau Is Afraid wie eine bewusste Abkehr von der den Vorgängerfilmen eigenen bedächtigen und schrittweisen Heranführung ans Grauen. Der erwartete „Gut-Punch“ via Schlüsselszene bleibt ebenso aus wie ein markiertes Betreten von Horror-Terrain. Beaus ausufernd – und bisweilen ermüdend – erkundete Wahrnehmung ist von Anfang an von einem bestürzenden Gefühlswust aus Schuld, Scham und Paranoia geprägt.Worauf Hereditary auf tragische und Midsommar auf ambivalent-triumphale Weise zusteuerten, ist in Beau Is Afraid also von Anfang an gegeben: der vollkommene Selbstverlust. Im einsehbaren Drehbuch von Midsommar beschrieb Aster den letzten Blick von Protagonistin Dani mit folgender Regieanweisung: „Sie hat sich einer Freude hingegeben, die nur den Verrückten bekannt ist. Sie hat sich völlig verloren und ist endlich frei. Es ist entsetzlich und es ist wunderschön.“Es ist diese finale Verlorenheit der Hauptfiguren, die die aufwühlend-nachhallende Wirkung von Hereditary und Midsommar erklären, die aber eben nichts mit Katharsis zutun hat. In Beau Is Afraid setzt Aster diese Verlorenheit auf gewagte Weise an den Anfang und exerziert sie durch, bis sich seine gängigen Themen abzeichnen: über Generationen vererbte Traumata, die den Einzelnen verletzlich machen und so die die Tür zum Grauen weit aufstoßen.Placeholder infobox-1