Sascha Stegemann pfeift zur Halbzeitpause. Ein Fußballer kommt auf ihn zu, legt dem Schiedsrichter den Arm um die Schulter, will über ein nicht anerkanntes Tor für Hannover 96 diskutieren. Stegemann tritt zurück, weist mit den Händen jeden Körperkontakt ab. Über diese Szene vom vorvergangenen Bundesligasamstag ist, vom verweigerten Tor abgesehen, nicht weiter diskutiert worden in Fußballdeutschland. Zu alltäglich, zu kumpelhaft.
Zwei Wochen zuvor: Pep Guardiola nähert sich an der Seitenlinie Bibiana Steinhaus. Der Trainer von Bayern München hat zuvor schon die Hand an die Taille und den Arm der Schiedsrichterassistentin gelegt, nun fasst er an ihre Schulter. Guardiola fordert lautstark eine längere Nachspielzeit. Steinhaus weist ihn erneut ab, stößt achtlos den Arm fort, tritt zur Seite, ermahnt ihn. Die Presse feiert sie danach. „Bibi wehrt Peps Tatsch-Attacke ab“, schreibt die Bild, Steinhaus erhält Lob von Experten. „Das hatte Klasse“, urteilt der frühere Schiedsrichter Urs Meier bei Focus Online und befeuert eine wieder aufflammende Debatte: „Es wird höchste Zeit, dass die blonde Polizistin auch als Hauptschiedsrichterin in der Bundesliga pfeifen darf.“
Steinhaus erregt Aufsehen, seit sie 2007 als erste Frau ein Zweitligaspiel der Männer leitete. Bis heute ist die 35-Jährige die einzige Schiedsrichterin im deutschen Profifußball. In der ersten Liga ist sie häufig als sogenannte vierte Offizielle an der Seitenlinie zu sehen, aber nie auf dem Feld. Dass ihr Aufstieg bis hierhin ging, aber nicht weiter, dahinter vermuten nicht wenige Sexismus. Allein schon Umschreibungen wie „Bibi“ oder „die blonde Polizistin“ verdeutlichen, wie schwierig es für Gegner wie Befürworter ist, zu beurteilen, ob Steinhaus objektiv eine Beförderung verdient hätte.
Trifft man Steinhaus, dann begegnet man einem offenen, fröhlichen Menschen. Sie kann ungezwungen plaudern, kichern, mädchenhaft sein. „Ich habe den tollsten Job der Welt“, sagt die Schiedsrichterin. „Meine Mutter sagt, ich hatte schon immer einen großen Gerechtigkeitssinn und bin schon im Kindergarten dazwischengegangen, um zu schlichten.“ Steinhaus kann auch blitzschnell umschalten, von charmant auf dominant, ihre eisblauen Augen können Menschen dann regelrecht niederstarren. Eine natürliche Autorität, als Hauptkommissarin im niedersächsischen Innenministerium fährt sie noch Streife. Und sie kann sich hinter bürokratischen Phrasen verschanzen: „Ich betrachte meine Rolle als Frau in dieser Schiedsrichterwelt genauso wenig anders wie andere Schiedsrichter in dieser Schiedsrichterwelt, also nicht als Frau in der Männerdomäne.“ Das klingt neutral und unauffällig, wie ein Schiedsrichter zu sein hat. Sie weiß, auffallen, das kommt bei den Kollegen schlecht an. Und doch fällt sie als einzige Schiedsrichterin unter Männern auf.
Was bei den Kollegen Alltag ist, wird bei ihr zur Sensation. Als eine Spielerhand aus Versehen ihre Brust streifte, kursierten die Videos vom „Busenwischer“ blitzschnell im Netz. Steinhaus will sich nicht vereinnahmen lassen, weder von Chauvinisten noch von Feministinnen. Sie ist gegen gesetzliche Frauenquoten in Aufsichtsräten, wenn ihr einige der gut 2.000 Fußball-Schiedsrichterinnen in Deutschland Briefe schreiben, rät sie ihnen zu Geduld. Sie will ihre Leistung auf dem Platz bringen, „umso schöner, wenn das die Akzeptanz von Frauen stärkt“. Ihre Ziele formuliert sie vorsichtiger: „Als Sportler möchte man immer den größtmöglichen Erfolg erreichen.“ Übersetzt heißt das: Sie würde sicher gerne einmal ein Bundesligaspiel der Männer leiten.
Intransparente Kriterien
Ob es je dazu kommt, ist fraglich. Auf Nachfrage will sich Steinhaus ebenso wenig aktuell äußern wie Herbert Fandel. Der 50-Jährige ist Vorsitzender der Schiedsrichterkommission des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Die entscheidet, wer welche Spiele pfeifen darf. Fandel verweist stets auf die interne Benotung der Schiedsrichter. Auf der Tribüne bewerten bei jedem Spiel Schiedsrichter-Coaches, ehemalige Referees, die Leistungen der Schiedsrichter auf dem Platz. Natürlich alles Männer. Die Kriterien und Ergebnisse sind nicht öffentlich. In der Vergangenheit nannte Fandel Steinhaus die beste Schiedsrichterin der Welt, aber es zähle nicht das Geschlecht, sondern die Leistung, und die reiche bei ihr bisher nicht aus.
Von 20 Zweitligaschiedsrichtern sind nur zwei Kollegen älter, länger dabei und haben mehr Spiele geleitet als Steinhaus. Letzten Sommer wurde nur der eingangs erwähnte Stegemann befördert, mit 29 Jahren. Schiedsrichter steigen meist nur auf, wenn ein Bundesligaschiedsrichter die Altersgrenze von 47 Jahren erreicht. Steinhaus ist im kommenden Sommer 36 Jahre alt, älter als jeder aktuelle Schiedsrichter bei seinem Erstliga-Debüt war.
Möglicherweise kommt sie der Bundesliga nie näher als bis zur Seitenlinie. Dort wird der kommunikative Stil der vierten Offiziellen gegenüber tobenden Trainern geschätzt. Focus Online hingegen zitierte anonym einen „aktuellen Top-Referee“, der sagte: „Es reicht eben nicht, um selbst auf dem Platz zu pfeifen. Wenn es richtig hoch hergeht, passen einige ihrer Entscheidungen nicht.“ Auch hier bleibt die Frage, ob sie als erste Frau unter Männern überhaupt objektiv beurteilt werden kann.
Mitten in die Debatte hinein unterliefen Steinhaus zwei Fehler. Am vorvergangenen Samstag, beim Zweitligaspiel Nürnberg gegen St. Pauli, übersah sie ein elfmeterwürdiges Foul im Strafraum und erkannte ein Tor wegen angeblicher Abseitsstellung nicht an. „Zwei Bibi-Patzer nerven Nürnberg“, schrieb Bild. Sie hatte sich beim Abseits auf ihren Linienrichter verlassen, der die Fahne gehoben hatte. Auch Männer machen Fehler. Doch es ist zu alltäglich.
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