Gleich hinter Schumacher und Beckenbauer

Eventkritik Beim Basketball-Länderspiel in Berlin feierten die Zuschauer Superstar Dirk Nowitzki. Um Sport ging es dabei nur am Rande

Wie ist das, wenn 29.000 Augen aus der Dunkelheit auf einen gerichtet werden? Der Scheinwerferkegel fällt von der 35 Meter hohen Hallendecke auch auf ein paar große Männer neben ihm, doch die Zuschauer schauen nur auf Dirk Nowitzki. 14.500 Menschen sind in die ausverkaufte O2-Arena in Berlin gekommen und nun, während der Nationalhymne, ist er ihren Blicken schutzlos ausgeliefert, nichts lenkt mehr von ihm ab. Er wippt unruhig von einem Bein aufs andere. Gleich beginnt das Basketball-Länderspiel Deutschland gegen Mazedonien, doch deswegen sind die Leute eigentlich nicht hier. Nationaltrikots trägt praktisch keiner, dafür sieht man viele blaue Shirts, auf denen steht Dallas, 41 und Nowitzki.

Seit er im Juni mit den Dallas Mavericks als erster deutscher Basketballer die NBA-Meisterschaft gewonnen hat, ist Nowitzki im kollektiven Bewusstsein seines Heimatlandes angekommen. Sein Sport ist es noch nicht. Die Leser der Bild-Zeitung, in der Basketball meist nur in kleinen Meldungen stattfindet, haben Nowitzki auf Platz drei der größten deutschen Sportler gewählt, gleich hinter Michael Schumacher und Franz Beckenbauer, vor Boris Becker und Steffi Graf. Es gibt zwei verschiedene Arten Basketball in Deutschland, mit Nowitzki und ohne. Das eine ist ein Glamour-Event, das andere eher eine Randsportart.

22.792 Punkte in der NBA

Das zeigt sich an diesem Nachmittag schon beim Warmmachen. Während sich die Nationalspieler einwerfen, stellt der Hallensprecher die Vita der Spieler vor: Stationen von TSV Tröster Breitengüßbach bis Türk Telekom Ankara, keinen interessiert’s. Die Leute holen Bratwürste und Bretzeln. Dann kommt der Sprecher zu Nowitzki: 13 Jahre in der weltbesten Profiliga NBA, 22.792 Punkte, bester Spieler der Finalserie, am Morgen noch das Silberne Lorbeerblatt von Bundespräsident Christian Wulff entgegengenommen. Die Menge jubelt, schreit, wedelt mit weißen Luftschlangen und aufblasbaren Riesenhänden. Und Nowitzki? Keine Reaktion. Er passt seinen Mitspielern Bälle zu. Die anderen Spieler winken nicht ins Publikum, also winkt er auch nicht.

Nowitzki, Sohn eines Malermeisters aus Würzburg, gibt sich gern unprätentiös, auch wenige Stunden zuvor in Schloss Bellevue. Statt in der Limousine kommt er zur Ehrung im Taxi vorgefahren. Als sich später kein Gefährt für die Rückfahrt findet, schlägt er vor, den Bus zu nehmen. Die Worte Wulffs scheinen dem Geehrten fast peinlich. Keine Imagebroschüre könne auch nur annähernd leisten, was Nowitzki in den USA für die transatlantischen Beziehungen getan habe, lobt der Bundespräsident. "Es hat mich stolz gemacht, wie Deutschland an meinem Erfolg teilgenommen hat. Als ich vor 13 Jahren in die NBA gewechselt bin, habe ich nicht gedacht, dass man so etwas als Basketballer auslösen kann", bedankt sich Nowitzki.

Das Problem ist: Er hat es nicht im eigentlichen Sinne mit Basketball ausgelöst und teilgenommen hat Deutschland auch nicht wirklich, das tut es erst jetzt. Kein deutscher Sender hat die Finalserie übertragen. Was er auf der anderen Seite des Atlantiks trieb, interessierte die breite Öffentlichkeit lang nicht. Nur im Internet und auf einem digitalen Bezahlsender schauten nachts einige Hardcore-Fans live beim entscheidenden Spiel zu. Der Rest wachte morgens auf, Nowitzki war Champion und auf einmal Thema im Mainstream. In der Halle tragen Fans T-Shirts mit der Aufschrift "Wir sind Dirk". Die Berliner Morgenpost titelte das, so wie einst die Bild schrieb "Wir sind Papst", obwohl sie und ihre Leser Religion so wenig interessiert wie Basketball. Was zählt, ist der abfallende Glanz eines Stars und die weltweite Anerkennung.

Das alles kann man Nowitzki nicht vorwerfen. Ebenso wenig, dass die Hallenregie "Let me entertain you" spielt, bevor er wie seine Mitspieler durch Cheerleader und Flammenwerfer hindurch nach dem Einwerfen nochmal in die Halle einläuft. Nowitzki ist alles, was sich die Deutschen von ihren Idolen wünschen: bescheiden, bodenständig, blond – aber er ist kein Entertainer. Nicht auf dem Feld, wo er Distanzwürfe bevorzugt, statt die Bälle spektakulär in den Korb zu stopfen. Und auch nicht neben dem Feld, wo er trotz seiner 2,13 Meter oft am liebsten unsichtbar wäre. Nachdem er im Juni den Titel gewonnen hatte, rannte er in die Kabine, um alleine zu weinen. Seine Emotionen dem großen Publikum vor den Mattscheiben zu präsentieren, ist nicht seine Welt.


Dann beginnt das Spiel. Als der Ball das erste Mal Nowitzki in die Hände fällt, stößt die Menge ein anerkennendes "Aaaahhh" aus. Dann ein enttäuschtes "Oooohhh", als er die ersten drei Würfe nicht trifft – schließlich ein nach oben jaulendes "Uuuuhhh", als er doch noch trifft. Nowitzki ist noch nicht in Form. Er hatte zwei Monate Spielpause, in der es wenig Urlaub und viele Ehrungen gab. Das ist an diesem Sonntagnachmittag nicht schlimm: Das Testspiel gegen schwache Mazedonier gewinnt Deutschland klar 81:65, Nowitzki sitzt fast das halbe Spiel über auf der Bank. Er soll sich nur ein bisschen einspielen und dann schonen für die Europameisterschaft. Vom 31. August bis zum 18. September findet die EM in Litauen statt, bei der Nowitzki dafür sorgen soll, dass Deutschland sich auch für Olympia 2012 qualifiziert.

Direkt nach Spielschluss muss er noch arbeiten. Die Sponsorenwand wird aufgestellt, Nowitzki vor Fernsehkameras gezogen. Es bildet sich sofort ein drängelnder Halbkreis aus Journalisten, Fans und Autogrammjägern, immer wieder ruft jemand: "Dirk!" Doch Nowitzki schaut im Tunnelblick auf den Monitor mit den Spielszenen. Er presst das Mikrofon an die Lippen, flüstert Sätze wie: "Es hat Spaß gemacht" und "Wir sind bereit". Als das Signal kommt, dass die Sendezeit vorbei ist, zieht er den Kopfhörerknopf aus dem Ohr, umrundet die Stellwand hinter sich. Die Leute rufen weiter "Dirk, Dirk", doch er rennt mit großen Schritten Richtung Kabine, zu den anderen Spielern. Wie ein großer Junge, der nur nach Hause möchte.

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