Mit Okocha im Exil

Der Sportsfreund Er kommt aus dem Ruhrpott, lebt seit Jahren in Berlin und ist Fan von Eintracht Frankfurt: Warum Heimat beim Fußball eher ein mentaler Ort ist
Ausgabe 11/2016
Ferne Liebe: Exilfans in Berlin
Ferne Liebe: Exilfans in Berlin

Foto: Matthias Koch/Imago

Kommendes Wochenende steigt in Berlin wieder das 11mm-Fußballfilmfestival. Dort, habe ich gelesen, läuft auch die Doku Ferne Liebe über Exilfans in Berlin. In keiner anderen Stadt leben so viele Zugereiste, die ihren alten Vereinen treu bleiben. Sie fiebern gemeinsam in Fankneipen mit, Heimspiel, das bedeutet für sie Auswärtsfahrt. Ich muss mir den Film nicht anschauen, bei mir ist es ja noch komplizierter. Ich bin Fan von Eintracht Frankfurt. Dabei komme ich ursprünglich aus dem Ruhrgebiet, wohne seit Jahren in Berlin und habe eigentlich keinen Bezug zu Frankfurt. Mein Hessentum ist ein rein mentales. Äppelwoi und Handkäs mit Musik kenne ich vor allem aus Berliner Eintracht-Kneipen. Im Frankfurter Stadion war ich nur ein paar Mal. Live sehe ich meine Mannschaft meist auswärts, wenn sie in Berlin spielt oder in der Nähe. Viele Arbeitskollegen glauben dennoch, ich sei Hesse. Fansein, das ist ein Stück Heimat und Identität, egal wo man wirklich wohnt. Home is where the heart is.

Man sucht sich seinen Lieblingsverein so wenig aus wie die Frauen oder die Männer, in die man sich verliebt. Bei manchen ist es eine arrangierte Ehe – da war der Vater schon Fan dieses Klubs. Bei mir war es Liebe auf den ersten Blick: Tricks, wie sie die Eintracht-Spieler Anthony Yeboah und Jay-Jay Okocha Anfang der 90er mit dem Ball veranstalteten, hatte ich nie zuvor gesehen. Um mich war es geschehen, wie Nick Hornby schrieb: „Plötzlich, unerklärlich, unkritisch und ohne einen Gedanken an den Schmerz und die Zerrissenheit zu verschwenden, die damit verbunden sein würden.“

Natürlich gab es Krisen. Als die Eintracht 1996 zum ersten Mal abstieg, habe ich am Fernseher geweint. Mein Vater kam ins Zimmer, und weil er sich nicht für Fußball interessiert, fragte er, was los sei. Ich fragte: „Papa, kann man den Lieblingsverein noch wechseln?“ Er überlegte eine Weile, eigentlich hätte es ihm egal sein können. Aber dann sagte er: „Nein, Sohn, ein echter Fan bleibt treu.“ Ich weiß bis heute nicht, ob ich ihm dafür dankbar bin. Die Frankfurter sind seitdem noch drei-mal abgestiegen, aktuell arbeiten sie am fünften Abstieg, so schlecht, wie sie wieder spielen. Doch es gab auch Highlights: wundersame Aufstiege, Europapokalnächte und Rettungen in letzter Sekunde. Über die Eintracht habe ich neue Freunde kennengelernt, Exilfans wie ich.

Ich habe immer mal mit dem Gedanken gespielt, fremdzugehen. Auf Partys habe ich schon mal behauptet, Bayern-Fan zu sein, nur um mein Gegenüber zur Weißglut zu bringen. In meiner Schule gab es ein Mädchen, die war immer Fan des aktuellen Tabellenführers. Muss schön sein: auf der Seite der Sieger stehen. Ein Freund sagt: „Werd doch Schalker, die gewinnen wenigstens mal.“ Ich komme ja eh aus der Ecke. Oder Hertha oder Union, die spielen wenigstens in Berlin. Das alles läge näher als Frankfurt.

Aber auch wenn sich meine große Liebe gehen ließ, blieb ich ihr treu. Bis jetzt. Ich habe keine Lust mehr. Fan sein, das ist doch freiwillig, theoretisch. Wie viel Zeit und Frust ich sparen würde! Jedes Wochenende frei! Ich muss es meinem Vater ja nicht erzählen. Es ist entschieden: Jetzt ist Schluss, mich interessiert noch nicht mal mehr das nächste Spiel gegen … Hannover. Hm. Die könnten wir schlagen. Dann ginge es wieder aufwärts. Klassenerhalt, Europapokal, Meisterschaft vielleicht. Dazu Handkäs und Musik. Ich werde die Jungs mal fragen, wo sie’s schauen. Oder wir fahren mal wieder hin. Ist ja nicht weit nach Hause.

Dominik Bardow schreibt in seiner Kolumne für den Freitag regelmäßig über sportives Privatvergnügen

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Geschrieben von

Dominik Bardow

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