Unnützes Fußballwissen

EM-Historie Was wäre Fußballschauen ohne Kommentare, die das Ganze in eine größere Erzählung einordnen? Mit diesen zehn EM-Fakten lässt sich bei jedem Spielstand punkten
Unnützes Fußballwissen

Foto: Laci Perenyi/imago

Zahlen, Zahlen, Zahlen

Europameisterschaften waren nicht immer Publikumsrenner. Die erste EM-Endrunde 1960 in Frankreich wollten 20.000 Zuschauer im Schnitt sehen, bis heute Minusrekord. Die Besucherzahlen stiegen im Laufe der Jahre jedoch, mit dem Höhepunkt 1988: Knapp 62.000 Fans kamen im Schnitt zu Spielen in der Bundesrepublik. Das Spiel mit den wenigsten Zuschauern war übrigens 1972 das Halbfinale Sowjetunion gegen Ungarn: Nur 1.700 Menschen verirrten sich ins Stadion in Anderlecht. Das lag daran, dass zeitgleich im anderen, landesweit live übertragenen Semifinale Gastgeber Belgien auf Deutschland traf, vor 55 000 Zuschauer in Antwerpen.

Der Papst hat recht

Den Europameistertitel 1980 holte Deutschland mit Beistand von ganz oben. Beim Turnier in Italien besuchte Stürmer Horst Hrubesch während der Vorrunde in Rom den Petersdom und erblickte den Papst bei einer Audienz. Als Johannes Paul II. zwei Finger wie ein Victory-Zeichen in Richtung Hrubesch hob, raunte ihm ein Journalist zu: „Horst, das heißt: Du sollst zwei Dinger machen.“ Nach dem darauffolgenden 0:0 gegen Griechenland meckerte der Reporter: „Nicht mal auf den Papst kann man sich verlassen." Doch dann erzielte Hrubesch seine ersten beiden Tore des Turniers ausgerechnet im Finale und schoss die deutsche Mannschaft zum 2:1 gegen Belgien. Nach dem Titelgewinn gab sich der Zeitungsmann geläutert: "Siehste Horst! Der Papst hat sich doch nicht geirrt. Er hat das Finale gemeint."

Eingebetteter Medieninhalt

Ohne Deutschland

Erst bei der vierten Ausgabe der Europameisterschaft war eine deutsche Mannschaft dabei. Das erste Turnier 1960 in Frankreich, das noch als „Europokal der Nationen“ firmierte, nahmen nur wenige Nationen ernst, die Anmeldefrist für Teilnehmer musste verlängert werden, bis genug Zusagen kamen. Der damalige Bundestrainer Sepp Herbeger winkte ab, er wolle die Zeit zwischen den Weltmeisterschaften „nicht verschwenden“. Erst als der europäische Verband den Wettbewerb offiziell zur Europameisterschaft aufwertete, wollten auch die Westdeutschen 1968 mitspielen. Aber zum ersten und bis heute einzigen Mal verpasste eine DFB-Elf die Qualfikation für ein großes Fußball-Turnier. Im letzten Spiel hätte ein Sieg in Albanien genügt, doch kam in Tirana nicht über ein 0:0 hinaus. „Eine Katastrophe“, stöhnte Spielmacher Günter Netzer.

Nicht in der Frontstadt

„Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!“, singen Fußballfans heutzutage, wenn sie vom DFB-Pokalfinale in der Haupstadt träumen. 1988 wollte aber niemand nach West-Berlin. Als die Bundesrepublik im Frühjahr 1985 den Zuschlag als Ausrichter der Europameisterschaft drei Jahre später bekam und die EM-Spielorte verkündete, fehlte Berlin überraschend. Mit dem Verzicht auf die Frontstadt hatte man die Zustimmung der Verbände aus dem Ostblock erkauft. Die Proteste des Berliner Senats blieben vergeblich, im Olympiastadion wurde nicht gekickt. Als kleine Entschädigung fand dort im April 1988 ein Vier-Länder-Turnier mit der BRD, der UdSSR, Argentinien und Schweden statt. Und seit 1985 ist das DFB-Pokalfinale fest an Berlin vergeben. Das ist, trotz anderslautender Gerüchte, sicher nur ein Zufall.

Hasen, Löwen und Zwillinge

Das offizielle EM-Maskottchen 2016 heißt „Super Victor“. Ein 3D-animierter Junge mit Cape und Superkräften. So weit, so unkreativ. Da war das allererste EM-Maskottchen noch aus dem anderen Holz geschnitzt: 1980 in Italien stand die Puppe Pinocchio Pate, samt grün-weiß-roter Nase. 1984 in Frankreich folgte Hahn „Peno“ (gähn), vier Jahre später in Deutschland Hase „Bernie“, der den Schweden offenbar derart gut gefiel, dass sie 1992 eine verblüffend ähnliches Maskottchen ins Rennen schickten, ein namenloses Plagiat. Nach zwei Hasen kamen zwei Löwen (1996 „Goaliath“ in England, 2000 „Benelucky“ in Belgien und Holland). Als Vorfahre von Victor firmierte 2004 der portugiesische Junge „Kinas“. Zuletzt dann zweimal zwei Zwillinge: "Trix" und "Flix" vertraten 2008 die Gastgeber Österreich und die Schweiz, „Slavek“ und „Slavko“ 2012 Polen und die Ukraine.

Eingebetteter Medieninhalt

Mit Cola und Big Macs

Dänemark ist der einzige Europameister, der nicht für die EM qualifiziert war, weder als Gastgeber noch sportlich. In ihrer Qualifikationsgruppe waren sie nur Zweite geworden, also verabschiedeten sich die Spieler 1992 in den Sommerurlaub. Doch zehn Tage vor EM-Beginn wurde Jugoslawien wegen des Balkankrieges und eines UN-Embargos vom Turnier ausgeschlossen. Der Legende nach hörteDänemarks Trainer Richard Möller-Nielsen beim Renovieren seiner Küche im Radio, dass seine Mannschaft nachrücken sollte. Beim Turnier in Schweden kultivierten die Dänen dann ihr Image als Ferienfußballer, erzählten den Medien, sie würden sich von Cola und Big Macs ernähren und Minigolf-Wettbewerbe abhalten. Offenbar eine gute Vorbereitung für den 2:0-Finalsieg gegen Weltmeister Deutschland. Die Geschichte stimmt aber nur halb: Die meisten Dänen waren noch nicht im Urlaub, sondern Sparringspartner der „Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS)“, der Mannschaft der zerfallenen Sowjetunion.

Eingebetteter Medieninhalt

Früher Ferien

Uli Hoeneß ist für viele Dinge berühmt. Dafür, dass er als Stürmer den FC Bayern München zu Meisterschaften schoss und später als Manager Erfolg einkaufte. Und für eine kleinere Steuer-Lappalie, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. EM-Geschichte hat Hoeneß aber mit seinem Fehlschuss im Finale 1976 gemacht, als er den Ball im Elfmeterschießen über das Tor und in den Nachthimmel von Belgrad drosch. Gefunden wurde der Ball bis heute nicht. Was die wenigsten wissen: Dass es überhaupt dazu kam, war die Schuld des deutschen Verbandes. Ursprünglich war bei einem Unentschieden nach der Verlängerung ein Wiederholungsspiel zwei Tage später vorgesehen. Doch der DFB hatte sich kurzfristig für ein Elfmeterschießen eingesetzt, damit die deutschen Spieler rechtzeitig in den Urlaub kämen. Die verdutzten Spieler erfuhren erst beim Aufwärmen davon. Uli Hoeneß war in Gedanken wohl schon in Ferien, als er den Ball auf eine lange Reise schickte.

Eingebetteter Medieninhalt

Verblasster Ruhm

Die ewige EM-Torschützenliste führt Michel Platini an. Praktischerweise hat der Franzose alle seine neun Treffer bei einem einzigen Turnier erzielt, der Europameisterschaft 1984. Zum Vergleich: Der beste deutsche EM-Torschütze Jürgen Klinsmann brauchte drei Turniere für seine fünf Tore. Der überragende Spielmacher Platini führte Frankreich damals im eigenen Land zum ersten Fußball-Titel überhaupt und traf auch im Finale. Da wäre es nur passend, wenn der heute 65-Jährige bei der EM 2016 den Pokal übergeben würde. Schließlich war er bis Mai Präsident des europäischen Verbandes Uefa. Doch als Funktionär war Platini nicht ganz so erfolgreich wie als Spieler. Weil er zwei Millionen Franken vom Fifa-Präsidenten Joseph Blatter angenommen hatte und dies nicht so richtig begründen konnte, wurde Platini gesperrt und trat als Uefa-Chef zurück. Vielleicht war das Geld ja nur eine verspätete Torprämie für 1984.

Lothar ist der Beste

Der älteste Spieler der EM-Geschichte ist Lothar Matthäus. Bei seinem letzten Spiel, 2000 in der Vorrunde gegen Portugal – auch das letzte Spiel der Deutschen bei diesem Turnier – war er 39 Jahre alt. Insgesamt spielte der deutsche Rekordnationalspieler bei vier Europameisterschaften mit, 20 Jahre liegen zwischen seinem ersten und letzten EM-Spiel, auch das sind alles Bestmarken. Doch nach einer derart glanzvollen Karriere sah es zu Beginn gar nicht aus. Vor seinem ersten Turnier 1980 fand ihn Mitspieler Bernard Dietz weinend im Mannschaftbus vor. „Was ist denn los?“, fragte Dietz. „Der Herr Derwall hat mir gesagt, dass ich im Kader für die Europameisterschaft bin“, antwortete der damals 19-jährige Matthäus. „Das ist doch klasse.“, engegnete Dietz. „Aber ich habe meiner Freundin doch versprochen, dass wir zusammen in Urlaub fahren.“

Elf Kuntz müsst ihr sein

Der offizielle Song zur EM 1996 in England war… „We’re in This Together“ von Simply Red. Das weiß nur keiner, denn die inoffizielle Hymne „Three Lions“ von The Lightning Seeds ist bis heute eines der populärsten Fußballlieder aller Zeiten. Den Refrain „Football’s Coming home“ sangen auch Fans hierzulande mit Inbrunst. Dabei machte sich die Komikertruppe auch über Deutsche lustig: Zur WM 1998 wurde der Song neu aufgelegt, im Musikvideo dazu treffen sich deutsche und englische Fans zum Kicken auf einem Parkplatz. Während auf der englischen Seite auch Robbie Williams mitspielt, tragen alle Deutschen den Namen Kuntz auf dem Rücken. Nicht etwa, weil die Musiker große Fans des Stürmers Stefan Kuntz waren. Sondern weil der Name für Briten eine gewisse Doppeldeutigkeit besitzt.

Eingebetteter Medieninhalt

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Dominik Bardow

Autor des Freitag

Avatar

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden