Abschied vom Objekt

Blickwechsel Die Kategorien der Feministischen Filmtheorie orientieren sich an klassischen Geschlechterbildern. Ein Plädoyer für neue Perspektiven

Mit einem Paukenschlag beginnt das aktuelle Heft von Frauen und Film, wenn im Editorial gefragt wird, »ob Feminismus tatsächlich baden gegangen ist.« Im Kontext der 1974 gegründeten, dezidiert feministischen Filmzeitschrift wirkt die Frage eher verbittert als offen gestellt, und man muss nicht weit lesen, um die Wurzel des Übels zu finden: Feminismus sei Geschichte, Frau eine historische Kategorie, eine klare Ausrichtung auf die Praxis der Kritik sei nicht mehr gegeben. Zeitgemäß könne man vielmehr Weiblichkeitskonstruktionen analysieren oder Gender Studies betreiben. Wer feministische Diskussionen verfolgt hat, mag sich bei diesen Stichworten an bereits zehn Jahre zurückliegende Debatten erinnert fühlen, die mit dem Aufkommen eines (de)konstruktiven Feminismus das Verständnis von Sex und Gender neu austarierten. Während sich Judith Butlers Gender Trouble in Lichtgeschwindigkeit einen Platz auf den Leselisten von StudentInnen eroberte, sahen andere ihr feministisches Projekt in Gefahr. Der Kampf gegen die Unterdrückung von Frauen schien untergraben, weil der Referenzpunkt Frau(en) seiner Natürlichkeit enthoben war. Doch mittlerweile haben viele Feministinnen ihren Frieden mit (de)konstruktiven Ansätzen geschlossen. So verwundert es umso mehr, dass die Debatte auf dem Feld feministischer Filmtheorie scheinbar neu eröffnet wird - zumal neuere feministische Denkmöglichkeiten bislang kaum ihren Weg dorthin gefunden haben.

Blick auf das Geschlecht

Wenn sich feministische Filmtheorie seit ihrem Bestehen deutlich ausdifferenziert hat, so teilen doch viele Ansätze die Grundannahme, Kino und Filme lenkten das Begehren der ZuschauerInnen und verfestigten in dieser Funktion ungleiche Geschlechterverhältnisse. Psychoanalytisch orientierte Theorien - im Gegensatz zu Ansätzen der Cultural Studies, die konkrete Reaktionen der ZuschauerInnen untersuchen - gehen dabei von der Annahme aus, das Kino sei ein Apparat, der ZuschauerInnen innerhalb seines Arrangements eine Subjektposition zuweist. Für diese Sichtweise war Laura Mulveys Aufsatz Visual Pleasure and Narrative Cinema (1975) wegweisend, der vielen Texten als Referenzpunkt dient. Für Mulvey ist das Kino ein Apparat, der eine gesellschaftlich vorgegebene männliche Dominanz über Frauen durch die Konstruktion von Seh- und Sichtweisen bestätigt. Weibliche Figuren werden für sie innerhalb der Erzählhandlung als erotische Objekte inszeniert; ihr Bild zirkuliere zwischen ZuschauerInnen, männlichen Protagonisten und der Kamera. Der Blick, der sich auf die Bilder von Frauen richte, sei entweder von einem fetischistischen oder sadistischen Verlangen geprägt, den sie als männliches Begehren gegenüber Frauen kennzeichnet. Somit ist für Mulvey der Kamerablick keineswegs geschlechtsneutral, sondern geht im Gegenteil ein Bündnis mit dem männlichen Blick ein. Mulveys Hinwendung zu geschlechtsspezifischen Begehrensmustern ist in den Folgejahren von feministischen Theorien übernommen worden - gleichwohl haben sich wichtige Theoretikerinnen wie Mary Anne Doane, Elizabeth Cowie, Gaylyn Studlar und Kaja Silverman darum bemüht, in ihren Texten Modelle divergenter Begehrensweisen von ZuschauerInnen zu entwickeln. Für Doane (Film and the Masquerade, 1982) ist die Zuschauerin in der Lage, sich vom Zur-Schau-Stellen von Weiblichkeit zu distanzieren: ein Vorgang, der jede »weibliche« Darstellung als Maskerade durchschauen kann. In ihrem Aufsatz Fantasia (1984) verschiebt Elizabeth Cowie den - von Mulvey postulierten - Fokus von Erzählstrategien auf die mise-en-scène, die sie hinsichtlich ihrer Phantasieszenarien untersucht. Gaylyn Studlar (Schaulust und masochistische Ästhetik 1985) geht so weit, dem Kino ein potenziell subversives Potenzial zuzuschreiben: Da die Zuschauerin weiß, dass filmische Bilder das Phantasieprodukt eines/einer Anderen sind, kann sie ungestraft gesellschaftlich wenig akzeptierte Wünsche wie bisexuelles Begehren oder Fetischismus ausleben. Kaja Silverman (Male Subjectivity at the Margins, 1992) wiederum erweitert die Mulvey´sche These, der männliche Blick symbolisiere Kontrolle, Autorität und Gesetzeskraft. Der begehrende Blick männlicher Protagonisten sei nicht per se in der Lage, das Objekt seines Blickes zu kontrollieren, sondern müsse erst durch den weiteren Handlungsverlauf als sinngebend ratifiziert werden. Somit zeichnen sich innerhalb psychoanalytisch orientierter Filmtheorie insbesondere Cowies, Studlars und Silvermans Denkansätze dadurch aus, dass sie Interaktion zwischen Film und ZuschauerInnen entlang von Modellen beschreiben, die in sich bereits eine Vielfalt möglicher Identifikationen und Begehrensstrukturen voraussetzen. Trotz dieser vielversprechenden analytischen Möglichkeiten ist es den Texten gemeinsam, dass Begehren in ihnen einzig im Zusammenhang mit Sexualität und Geschlecht gefasst wird. Durch die Hintertür führen sie auf der Beschreibungsebene immer wieder die Norm der Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität ein, ohne sie zu problematisieren. Wenn es weiterhin darum gehen soll, die Wirkungsweise von Ästhetiken im Film zu beschreiben, stellt sich daher die Frage, ob es Möglichkeiten gibt, Unterdrückungsverhältnisse zu thematisieren, ohne auf festschreibende Konzeptionen zurückzugreifen. Möglicherweise ließe sich so ein Begehren entwerfen, das sich unstillbar und unvorhersehbar der eindeutigen Festlegung entziehen kann.

Bewegliches Begehren

Zu diesem Zweck könnte man den einen Text heranziehen, der selbst nicht aus der Filmtheorie stammt. In Queer Belongings. Eine Politik der Aufbruchs von Elspeth Probyn (1995) geht es darum, Konzeptionen des Begehrens neu zu fassen, das Begehren aus dem Räderwerk psychoanalytischer Interpretationen zu lösen, ohne den Begriff ganz aufgeben zu müssen. Probyns fast schon lyrisch anmutender Text versucht, neue Zusammenhänge zwischen den Begriffen »Sehnsucht, Fortgehen, Sein, Körper, Bilder, Bewegung« zu (er)finden. Immer wieder Bilder von Reisen, Aufbrüchen, Ankünften und sich bewegenden Körpern aufrufend, vermittelt der Text einen Begriff von einem Begehren, das immer schon in Bewegung ist. Das Begehren ist eine Bewegung, eine Bewegung zwischen Körpern, in Körpern, als Sehnsucht spürbar, als Erinnerung, als Zwischenraum, als Milieu. Für Probyn sind es gerade Bilder, die das Begehren einfangen und nachvollziehen können: »...Bilder, die sich wiederum mit dem Begehren durch Körper bewegen.« Dies wäre ein interessanter Anknüpfungspunkt für die Filmtheorie, die sich ja mit bewegten Bildern beschäftigt.

Wie denkt sich also Probyn die Beziehung zwischen Bild und Körper (der z. B. der Körper der Zuschauerin sein könnte)? - Es ist ein relationales Bild, das Probyn für diese Beziehung entwirft; weniger als eine Repräsentation funktionierend, stehen »Bilder nicht im Verhältnis zu irgendeinem angenommenen Bezugspunkt, sondern funktionieren durch ihre Bewegung, durch die Art, wie sie Linien des Begehrens ziehen.«

Mit anderen Worten: Bilder funktionieren nicht durch ihre Abbildfunktion, sondern durch die Verknüpfungen, die sie ermöglichen oder herstellen. Das bedeutet, dass andere »materielle Beziehungen« herangezogen werden müssen als die Darstellung jener - männlichen oder weiblichen - Objekte, welche bislang den Fokus feministischer Filmtheorie bildeten: ein Vorhaben, das Probyn mit Nachdruck unterstreicht. Denn sie will sich von einer Konzeption des Begehrens lösen, die das Begehren in einem »Objekt einkapselt«, die Begehren als »Mangel, als Sehnsucht nach einem unmöglichen Objekt« im Objekt und mit dem Objekt verortet. Damit verabschiedet sie sich vom Konzept einer Begehrens- und Liebesweise, die als »Objektwahl« in die Geschichte eingegangen ist. Dieser von Freud in Zur Einführung in den Narzißmus´ verwandte Begriff dient herkömmlich zur Erklärung von Liebesgefühlen. Freud unterscheidet zwei verschiedene Typen der Objektwahl: im »Anlehnungstypus« werden die Objekte der Liebe in Anlehnung an die Elternimago gewählt, während die »narzisstische Objektwahl« die Objekte der Liebe in Anlehnung an eine existierende, vergangene oder idealisierte Beziehung zu sich selbst sucht. Beide Typen unterscheiden sich aber nicht in ihrer Vorstellung, dass Liebe sich an ein Objekt bindet und von ihm ausgelöst wird. Probyn hingegen plädiert für eine Konzeption des Begehrens, die sich an den »Beziehungen des Bewirkens« orientiert. Folglich ist es nicht das Objekt, das intensive Gefühle auslöst, sondern der gemeinsam eingegangene Prozess.

Queere Perspektive

Die Übertragung eines solchen Begriffs beweglichen Begehrens auf die feministische Filmtheorie könnte weitreichende und produktive Folgen haben. Zum einen wäre es möglich, eine Beziehung zwischen Zuschauerin und Film zu beschreiben, die sich nicht nach herkömmlichen Beziehungsrastern vollzieht, sondern das Begehren beweglich und veränderbar hält. Nach Probyn wäre es gar nicht notwendig, das ausgelöste Begehren zu beschreiben. Das Begehren als Bewegung und Produzentin verstanden, äußert sich vor allem in der ausgelösten Umsetzung: Welche Gefühle produziert ein Film? Was passiert mit dem Film, entlang des Filmes in anderen gesellschaftlichen Feldern? Zudem wäre eine feministische Sichtweise auf Filme möglich, die sich nicht entlang der Darstellung von Personen, sondern an »materiellen Umsetzungen« orientiert. Bei einem Film wie Wong Kar-Wais In the mood for love beispielsweise könnte die Analyse von Szenen und Bildfeld, von Farben, Räumen und Geräuschen sehr viel über die Intensität einer Beziehung aussagen, die beim alleinigen Blick auf die dargestellten Personen nicht herausgearbeitet werden kann. Solche »materiellen« Aspekte als Bezugspunkt zu nehmen, heißt keinesfalls in Beliebigkeit zu fallen: der Ort der Differenzierung liegt dann nicht im dargestelltem Objekt, an der sich das Begehren anknüpft, sondern in der Art und Weise der Darstellung und den dargestellten Verknüpfungen. Mit Probyn könnte das Begehren ein Wunsch sein, der neue Verbindungen ermöglicht. Und sich ganz »verqueer« jenseits der Geschlechtergrenzen ansiedelt.

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