Auf Wiedersehen im nächsten Krieg

DIE NATO, DIE USA, SLOBODAN MILOSEVIC, DIE UCK, DIE ZIVILBEVÖLKERUNG Über Sieger und Verlierer eines blutigen Video-Games

Ende 1998 schrieb Shkelsen Maliqui, einer der prominentesten albanischen Intellektuellen aus dem Kosovo, die geplante militärische Intervention in seiner Heimat würde ein geopolitisches Experiment darstellen, dafür gebe es keine völkerrechtliche Grundlage. Kaum war dieses elfwöchige Experiment nun vorüber, begannen die Hauptakteure auf den politischen Bühnen in Brüssel, Moskau, Washington, Tirana und Belgrad, wie in einem riesigen Experimentiertheater ihre Siegesgesänge anzustimmen. In diesem Jubellichte schien vergessen zu sein, wer aus dem Versuchsergebnis Profit schlagen wird und wer letztendlich draufzahlen muß. Die Frage nach eventuellen Gewinnern und Verlierern dieses blutbefleckten Videogames ist zugleich die Frage nach den gewinnbringenden Strategien der am Spiel Beteiligten, die jenseits von Medienfloskeln und Kriegspropaganda standen.

Unter den Gewinnern sind zu vermuten: a) Die NATO/die USA, b) Milosevic und/oder seine radikalisierten Nachfolger, c) die UÇK. - Auf der Verliererliste stehen: a) Die Zivilbevölkerung des Kosovo und Serbiens, b) die UNO, c) die EU, d) die demokratischen Kräfte in Serbien, Montenegro, im Kosovo und - mittelfristig - in Rußland. Warum die USA auf der Gewinnerliste stehen, ist klar - die Bomben trugen die Inschrift: »Nichts funktioniert gegen uns, mit uns ist alles möglich.« Diese Inschrift war nicht nur in Belgrad und Bagdad, sondern auch in Moskau und Peking lesbar. Die NATO als Instrument der USA ist aus der Sinnkrise heraus, in die sie nach dem plötzlichen Verschwinden des Feindes Anfang der Neunziger geraten war. Der Prozeß der Selbstfindung am Himmel über dem Balkan ist vollendet. Die Aufgabe der Allianz wird es ab sofort sein, die eigene Glaubwürdigkeit, sprich: beliebige Wiederholbarkeit dieser Bomben-Botschaft zu unterstreichen. Auf ideologischer Ebene zeichnet sich eine neue Breshnew-Doktrin der Menschenrechtler ab, gepaart mit der globalen Logik des Konzernkapitals.

Milosevic geht vorübergehend gestärkt aus dem Krieg hervor. Sein Ziel ist es nicht, sich in Den Haag beliebt zu machen, sondern in Serbien (mit oder ohne Kosovo) die Macht zu behalten. Er regiert zuerst ein zerstörtes Land, dem der Westen nicht helfen wird, solange er es regiert. Selbst wenn ihn der Volkszorn oder eine Verschwörung wegfegt, sein Nachfolger wird weniger selbstmörderisch-machiavellistisch, dafür aber genauso machtgeil denken. Jede postsozialistische »Demokratur« auf dem Balkan erwies sich bisher als präsidial-parlamentarische Verwaltung von Elend. Ein solches System bringt nicht unbedingt die klassischen Diktatoren hervor, eher eine ganze Schicht von »Demokratoren«, die vielleicht nicht Milosevics kriminelle Energie entfalten, aber ebenso ethno-demokratisch argumentieren und mafios handeln.

Die militanten UÇK-Guerilleros werden an Einfluß gewinnen. Die führenden »Che-Romantiker« sollten nur rechtzeitig die Kalaschnikows abgeben und ihre NATO-Handies behalten, um sich ihrem pan-albanischen Ziel zu nähern. Wenn die Jungs aus Little Rock, wie Clinton und Clark, oder Balkan-Urgestalten wie Milosevic und Taci, zu den Gewinnern zählen, liegt es denn dann nicht auf der Hand, daß alle anderen verlieren müssen?

Die internationale Arbeitsteilung steht fest: US-Konzerne werden die verbrauchten Marschflugkörper konjunkturfördernd nachproduzieren. Die EU, deren Beziehungen zu den Balkan-Ländern und Rußland durch die zunehmende Skepsis der dortigen Bevölkerung schwer belastet sind, wird sich mit dem komplizierten Wiederaufbau der Region befassen dürfen. Das »Zuckerbrot« der Integration des Balkans wird aus dem bundesdeutschen Entwicklungsfonds mitfinanziert. Der Haken ist, daß die »Peitsche« in Washington bleibt. Zumindest solange die Föderation Europa nicht zur Realität wird. Zum zweiten Mal in diesem Jahrzehnt schlägt die »Stunde Europas« auf dem Balkan, aber die Menschen vor Ort sind gut beraten, sich sofort zu fragen, wem diese Stunde schlägt.

Darüber hinaus muß sich jeder Herrscher in dieser Welt eine brisante Frage stellen: Wie kann einer, der dem Westen nicht nach dem Sinn steht, das Aufbrennen eines Belgrader Target-Zeichens auf seine Stirn vermeiden? Er hat die Wahl zwischen »mehr Menschenrechten« und »mehr Rüstung«. Wir dürfen raten, wie die Entscheidung schließlich ausfallen wird. Es könnte passieren, daß weltweit immer billigere Menschenleben mit immer teueren Waffen »geschützt« werden.

Gehört nun Deutschland zu den Gewinnern oder Verlierern?

Je nach Betrachtungsweise könnte man sich beides vorstellen. Als Verlierer teilt Deutschland das Schicksal der EU, doch gehört man zu den moralischen Kriegsprofiteuren. Die deutsche politische Klasse besteht bekanntlich aus lauter Liebhabern von Legitimität und moralischer Sauberkeit. Ein eleganter völkerrechtlicher UN-Smoking, wenn auch über den Tarnanzug gestreift, steht dieser Klasse gut. Jede neue ausgegrabene Kosovo-Leiche verschiebt hierzulande die öffentlich geführte moralische Buchführung zugunsten der gestrigen Mitproduzenten von »kollateralen Leichen«. Und die militärische Feuertaufe der deutschen Soldaten avanciert so zu dem moralischen Fegefeuer der Nation. Auf dem Amselfeld dürfen deutsche Militärs endlich für die gerechte Sache scharfschießen. Martin Walser wird nicht mehr den TV-Kanal wechseln müssen, wenn er eine deutsche Uniform neben einem Erschossenen ins Wohnzimmer übertragen bekommt.

Ein weiteres Denkmodell, wonach Deutschland bei den geopolitischen Gewinnern des Krieges sein könnte, beruht auf der Tatsache, daß es sich (mit Hilfe der EU) seit der Wiedervereinigung zur Weltmacht entwickeln müsse.

Für den Autor Wolfgang Michel gehören zu den Insignien einer Weltmacht: Ein ständiger Sitz im Weltsicherheitsrat, eine global einsetzbare Armee, das Verfügen über Atomwaffen, das Gewicht einer Weltsprache und die Anziehungskraft einer Weltstadt. Michels behauptete, daß all diese Insignien in den kommenden 20 Jahren für Deutschland erreichbar wären. Diese Entwicklung kann sich durch den Kosovo-Krieg beschleunigen, der ständige Sitz im Sicherheitsrat könnte bald bedeutungsloser erscheinen als der Sitz im NATO-Rat. Denn deutsche Steuergelder wurden in letzter Zeit sowohl in das Berliner Weltstadt-Flair als auch in die Bomben über Belgrad gesteckt. Somit rücken eine global einsetzbare Armee und eine weltstädtische Anziehungskraft in greifbare Nähe. Die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Sprache im Vergleich zur englischen hat sich in den vergangenen zehn Jahren rapide verbessert, besonders im Bogen vom Baltikum bis zum Balkan.

Mit der Beschaffung von ABC-Waffen wird es nicht so einfach sein. Deshalb sind militärisch die NATO und politisch die EU ideale Übergangslösungen - bis die Zeit reif wird. In der Symbiose mit diesen Organisationen kann sich Deutschland einen geräumigen Hinterhof - den Balkan - nach eigenem Geschmack einrichten sowie an dem weltweiten Kampf um Einflußzonen, vorübergehend unter amerikanischer Führung, teilnehmen. In diesem Konzept ist Rußland willkommen, allerdings in Form eines sibirischen Rohstoff-Lagers.

Nach der erkennbaren geopolitischen Logik wird - durch die vorhersehbare Abtrennung Montenegros und des Kosovo von Serbien - der »Kosovo-Sieg« die letzte Lücke zwischen Griechenland und Österreich schließen, in die der geschlagene russische Bär seine Plüschtatzen in Richtung Mittelmeer ausstrecken könnte.

Bleibt zu hoffen, das Ganze sollte eine Science-Fiction-Story nach dem musealen Drehbuch aus wilhelminischer Zeit sein. War dieser Krieg vielleicht nur ein »geschichtlicher Betriebsunfall« auf dem Weg zu einem gemeinsamen europäischen Haus, in dem Wohlstand, Solidarität und Menschenrechte herrschen?

Trotz aller Gläubigkeit und verlautbarter Bekenntnisse zum Happy-End lehrt uns ausgerechnet das Beispiel Bosnien, daß Abwesenheit des Krieges auch Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln bedeuten kann. In jedem herbeigebombten Friedensabkommen auf dem Balkan steht eine unsichtbare Zusatzklausel. Sie ist einem Filmtitel des im vergangenen Jahr verstorbenen serbischen Regisseurs Zivojin Pavlovic entnommen und lautet: Auf Wiedersehen im nächsten Krieg. Der Balkan ist zwar ein Teil Europas, aber für diese Zone südlich von Wien gilt nach wie vor die orientale Weisheit des Hodschas Nasr-eddin:

»Wenn du reingehest, wirst du das bereuen. Wenn du nicht reingehest, wirst du das bereuen.«

Unser Autor, 1963 in Zemun geboren, arbeitete während der achtziger Jahre in Sarajevo als freier Journalist für verschiedene Medien Ex-Jugoslawiens. Seit 1992 Exil in Deutschland. Zuvor Chefredakteur eines Verlages in Tuzla. 1994/1995 Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung.
Buchpublikationen: Izadjlmo u polje, Lyrik, Sarajevo 1988; Cirkus Evropa, Lyrik, Tuzla 1990; Von edlen Mördern und gedungenen Humanisten, 44 Gedichte 1 Essay, Klagenfurt 1997; Auswahl zeitgenössischer Erzählungen von Autoren aus Bosnien-Herzegowina (Hrsg.), erscheint im Herbst als deutsche Übersetzung in Klagenfurt.

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