So sehr ich mich dagegen innerlich wehre, das Datum rückt mir mit unausweichlich gleichmäßiger Taktgebung des Sekundenzeigers auf den Leib: der 21. Dezember. Weihnachtsbaum aussuchen, Geschenke kaufen, Umtauschoptionen zum Fest der Liebe offen halten? Firlefanz, an dem Tag geht die Welt unter.
Voraussagen es mittlerweile alle Völker der Welt, die sich der Weisheit der Maya bewusst geworden sind und damit der mathematisch-physikalisch-astronomischen Aussagekraft deren Zeitrechnung. Kalendermäßig stünde demzufolge justament „die“ Zeitenwende an.
Und weil das von den Angehörigen einer ehemaligen Kolonialmacht in Mittelamerika, das nach heutiger Lesart ein Ende per eigenhändiger Zerstörung seiner natürlichen Lebensgrundlagen gefunden hat, quasi als Testament hinterlassen wurde: Wer wäre ich, derart erlittenes wie profundes Erbe an Wissen und Ethik auszuschlagen und nicht zumindest Buße zu tun, statt zu konsumieren?
Ein alter Hut
Nicht, dass das Rezept besonders neu wäre. Schon der antike Johannes hatte das Unausweichliche derart offenbart, dass selbst ein Friedrich Engels dem „die Zeit ist nahe, dies alles wird in Kürze geschehen“ Tribut zollen musste. Herausgekommen ist 1833 „Das Buch der Offenbarung“ und damit ein kaum zu verachtender Beitrag zur Numerologie; für Deuter des Nostradamus ebenso wichtig wie für die Oscar-gekrönten Filmemacher von „Das Omen“.
Apokalyptisch sind auch die „katholischen Nachrichten“ daher gekommen, die in den letzten Jahren, im Netz unter kreuz.net firmierend, alles aufgespießt haben, was ihnen des Teufels ist: Frauen, Homosexuelle und latürnich die, wenn sie nicht ohnehin qua dieser Befindlichkeiten krank, vom rechten Glauben abgefallen sind oder nie an ihm teilgenommen haben.
Dazu zählt unter anderem Gerhard-Ludwig Müller, der im Juli zum Präfekten der Glaubenskongregation berufen worden ist. Mal ist er für die Kreuzzügler der „Glaubensbock des Papstes“, ein anderes Mal der der „dahinter steckt“, nämlich verantwortlich für die Durchsetzung des deutschen Kirchensteuer-Systems ist, „das jedes Jahr zur Exkommunikation von über 100.000 Menschen führt“.
Wunder gibt es immer wieder. Wehe, man glaubt nicht daran
Den Vogel abgeschossen hatten die sich als Sedisvakantisten zu erkennen gebenden Autoren, als sie im August den Erzbischof als „Ketzer“ bezeichnet hatten. Müllers Sünde: Er glaube nicht an Wunder. In einem von ihm verfassten Lehrbuch zur Katholischen Dogmatik hatte er geschrieben, dass die Wunder Jesu „nicht im Rahmen einer Definition“ zu verstehen seien, „wonach es um eine ‘Durchbrechung der Naturgesetze‘ geht.“ Für die Verfechter der „reinen“ Lehre hatte das Schwefelgeruch: „Bei einem Wunder wirkt Gott als Erstursache direkt auf die Welt ein. Er übergeht dabei die Zweitursachen – also die Naturgesetze.“
Wer ein wenig die einschlägigen Bestimmungen des Codex Iuris Canonici kennt und den Willen der Betreiber von kreuz.net, dessen Auslegung samt der Katholischen Kirche auf Jahrhunderte vor das Zweite Vatikanum zurück zu schreiben, wird sich zweierlei bewusst: Wie sehr hinter der archaisch anmutenden Beleidigung als Ketzer oder ganzer Personenkreise in volksverhetzender Weise die handfeste Drohung hervorschaut. Und dass sie sich ebenfalls gegen den Inhaber des Stuhls richtet, der bis zum Zweiten Vatikanischen Konzils auch der der Heiligen Römischen Inquisition war, wozu sie die Glaubenskongregation wieder umfunktionieren wollen. Denn Wunder gibt es immer wieder. Aber wehe, man glaubt nicht daran.
Law & Order
Obwohl kreuz.net derzeit nicht mehr im Netz abrufbar ist, hat die Plattform mehr erreicht, als nur Proseliten des Hasses zu sammeln. Sie hat ihre dezidierten Gegner wie den Theologen David Berger und den mit ihm verbundenen Verleger Bruno Gmünder veranlasst, ihrerseits auf Methoden zurück zu greifen, die mit Wild-West-Manier nur ungenügend beschrieben sind.
Die Auslobung eines auch so bezeichneten „Kopfgelds“ ist nicht mehr Ausdruck eines aufklärerischen Meinungskampfes, sondern trägt den Haut-Gout des unbedingten Law & Order in sich. Zumal Berger selbst, eigenen Angaben zufolge, zumindest eine Zeit lang Zensor in der Glaubenskongregation gewesen ist.
Dass damit das Selbstverständnis von anderen randständigen Plattformen wie das „Netzwerk katholischer Priester“ als „Notwehrgemeinschaft“, wie sie es auf ihrer Homepage unüberlesbar postuliert, befördert wird, steht außer Frage. Und damit auch eine Fama, die zum Gründungsmythos taugt: Klein gegen groß, Aufrechte gegen das System, Aufbegehren gegen herrschende Lehren, gegen unbedingten Gehorsam. Wahrheit und nichts als die eine Wahrheit.
Aber vielleicht täusche ich mich, und die Menschen, die sich derart einfangen lassen sind auch nur von der Sorge vor „der“ Zeitenwende getrieben. Sie hat einst der Malachias vorhergesagt, und seine Deuter sehen in dem sechzehnten Benedikt den letzten Pontifex, bevor „die Sieben-Hügelstadt zerstört werden und der furchtbare Richter … sein Volk richten (wird). Ende“. Wie könnten wir uns dieser geballten Kraft voneinander unabhängiger, aber konvergenter Szenarien entziehen wollen?
Indem wir das Solstitium einfach nicht als astrologische, sondern astronomische Tatsache hinnehmen, nach der die Tage wieder länger werden und der Sommer nicht mehr fern. Das regt dann auch die Vitamin-D-Produktion an. Und den Säugling in der Krippe als Sinnbild für die nehmen, die heute wie damals nicht von den Ihren aufgenommen sind. Das wäre der Mensch, wenn er nicht abergläubisch wäre.
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