Überraschend kam es im US-Kongress während der vergangenen Monate bei Abstimmungen über die Kuba-Politik zu ungewöhnlichen Resultaten. Nachdem 40 Jahre hindurch nur verschärfte Embargo-Bestimmungen dekretiert wurden, votierten im Juli und noch einmal im Oktober über zwei Drittel der Abgeordneten für gelockerte Wirtschaftssanktionen. Was hat den Stimmungswechsel verursacht? Handelt es sich tatsächlich um eine Zäsur für die Kuba-Politik der USA? Das jetzt abgesegnete Gesetz war vor drei Jahren vom Repräsentanten Nethercutt im Entwurf eingebracht worden, um damit den Exportchancen der eigenen Agrarwirtschaft aufzuhelfen, denn nach Schätzungen des US-Landwirtschaftsministeriums führte Kuba 1999 immerhin Nahrungsmittel für ei
eine Milliarde US-Dollar ein. Warum sollten nordamerikanische Erzeuger davon nicht profitieren? Auch wenn die Konservativen im US-Kongress das jüngst verabschiedete Gesetz noch einmal verhindern wollten, sie konnten es lediglich verwässern. So bleiben sowohl Importe aus Kuba wie auch öffentliche Kredite an Kuba verboten. Die Regierung in Havanna hat schon erklärt, dass sie bei derartigen Reglementierungen keine Produkte in den USA kaufen wolle. Zudem bleiben Reiseerleichterungen für US-Bürger mit dem Ziel Kuba auch weiterhin verboten - dies gelte, solange sich Fidel Castro noch in Führungsämtern befände. Allerdings sollen US-Unternehmer aus geschäftlichen Gründen nun ungehindert nach Kuba fliegen dürfen.Ohne Zweifel haben sich die Rahmenbedingungen verändert, so dass die traditionell konfrontative Kuba-Politik Washingtons zwischenzeitlich mehr als nur ein Hauch von Anachronismus umweht. Nach dem Zusammenbruch der realsozialistischen Staatenwelt wirkt die Angst vor einer vermeintlichen Bedrohung durch den kubanischen Kommunismus eher lächerlich. Bis 1990/91 galten die (alternativlosen) Beziehungen Havannas zu Moskau für jede US-Administration als eklatanter Verstoß gegen die Monroe-Doktrin (»Amerika den Amerikanern«) - heute lässt sich davon absolut nichts aufrecht erhalten.Seriöse US-Studien gehen längst davon aus, dass die Boykottpolitik der USA gegenüber Kuba nicht erfolgreich sein kann. Immer mehr US-Unternehmen drängen daher auf einen Wandel, da wegen des Embargos Verkaufschancen ausgespart bleiben (Geschäfte via Drittländer werden inzwischen toleriert!), während Firmen aus Kanada oder der EU bereits »verdienen«. Das Plädoyer für eine entspanntere Kuba-Politik ist unüberhörbar. Befürworter finden sich selbst in der starken Community der Exilkubaner, die sich seit den neunziger Jahren erkennbar differenzierter artikuliert. So gibt es zwar noch viele Castro-Gegner, doch die Zahl der Moderaten oder gar Progressiven wächst. Die junge Generation in Florida hegt keinen blinden Hass mehr gegen Castro und die Revolution. Nicht ohne Einfluss darauf war der Tod des ultrakonservativen Präsidenten der mächtigen Cuban-American National Foundation (CANF), Mas Canosa. Sein schwacher Nachfolger verfügt über keine adäquate Strategie. In diese prekäre Situation platzte der Fall des Jungen Elian, dessen Mutter auf ihrer waghalsigen Flucht aus Kuba neben ihrem Sohn ertrunken war. Als die konservativen Exilkubaner in Miami den Jungen aggressiv zu instrumentalisieren suchten und ihre eigenen Interessen rücksichtslos über die der US-Regierung (und das Völkerrecht!) stellten, bescherte ihnen das einen eklatanten Sympathieverlust.US-Sanktionen gegen KubaErstes Embargo (1960)Washington verhängt Handelssanktionen gegen Kuba, die den Ankauf kubanischen Rohzuckers und die Ausfuhr von Konsumgütern betreffen.Zweites Embargo (1962)Der Handel USA - Kuba wird vollständig eingefroren. Zugleich verfügt die Regierung Kennedy, jegliche Finanzhilfe für jene Länder einzustellen, die Wirtschaftsbeziehungen mit Kuba aufrecht erhalten.Cuban Democracy Act (1992)Das von Senator Robert Toricelli im Kongress eingebrachte Gesetz dehnt das Handelsverbot auf US-Tochtergesellschaften im Ausland aus. Deren Warenverkehr mit Kuba liegt zu diesem Zeitpunkt bei einem Wert von 800 Millionen Dollar und umfasst vorrangig Medikamente und Nahrungsmittel. Kubas Mehraufwand, um diese Güter anderweitig zu beschaffen, liegen bei 100 Millionen Dollar.Cuba Liberty and Democratic Act (1996)Das Gesetz verfügt Sanktionen der USA gegen Unternehmen aus Drittländern, sofern sie Handels- oder Finanzbeziehungen mit kubanischen Firmen unterhalten, die nach 1960 verstaatlicht wurden. Der Schlag richtet sich gegen Unternehmen in Kanada, Mexiko, Brasilien und in Westeuropa. Eine EU-Klage vor der Welthandelsorganisation (WTO) führt zu einem Agreement: Wer die Unrechtmäßigkeit der Enteignung nach 1960 ausdrücklich anerkennt, kann weiter Kontakte mit kubanischen Partner pflegen und bleibt von Restriktionen in den USA verschont.So stehen die Zeichen in Washington auf Pragmatismus, der allerdings zu keinerlei Toleranz gegenüber Fidel Castro und dem Sozialismus auf Kuba neigen wird. Wie alle seine Vorgänger seit der kubanischen Revolution von 1959/60 - ob sie nun Kennedy, Johnson, Nixon, Ford, Carter, Reagan oder Bush hießen - hat auch Bill Clinton versucht, »Kapitalismus und Materialismus wie einen Krankheitserreger auf die Karibikinsel kriechen zu lassen« (Newsweek), aber einen durchschlagenden Erfolg blieb er schuldig. Es gab zum einen die durch das so genannte Helms-Burton-Gesetz 1996 (s. Kasten) forcierte Embargopolitik, zugleich aber auch Anflüge von Konzilianz, wenn das Weiße Haus gegen den Kongress Erleichterungen für den Postverkehr, für Charterflüge oder Geldüberweisungen durchsetzte. Kein Gesinnungswechsel, eher ein Changieren zwischen Umgangsformen. Bei einem Statement des einflussreichen Senators Jesse Helms wurde das besonders augenfällig, als er jüngst -auf Kuba und andere »Schurkenstaaten« gemünzt - dozierte: »Jeder Dollar, den diese Länder für Agrarprodukte aus den USA ausgeben, ist ein Dollar, den sie nicht in Terror und Repression fließen lassen ... « Und sein Parteifreund Sanford erklärte, immerhin habe der frühere US-Präsident Reagan US-Rucksacktouristen zu Reisen nach Osteuropa ermuntert, das habe »zum Ende der Berliner Mauer beigetragen.«Es bleibt dabei, dass die Kuba-Politik in Washington noch immer von ehernen Ressentiments zehren kann: Die Insel stellt eine unmissverständliche Herausforderung des »American way of life« dar - nicht zuletzt deshalb, weil sich die Kubaner nach dem Kollaps Anfang der neunziger Jahre am eigenen Schopf aus dem Sumpf zogen, ohne die Prinzipien des Sozialismus pauschal über Bord zu werfen wie in Osteuropa. Sie leisten es sich auch weiterhin, die US-Hegemonie offen zu kritisieren. Insofern gibt es mit dem taktischen Wandel keine Zäsur in der Strategie der USA - die Zerstörung des Socialismo Cubano bleibt das Ziel, doch ein subtileres Vorgehen vor allem mit medialen Mitteln scheint angeraten - CNN ist bereits in Havanna. Die traditionelle Politik der Nadelstiche dürfte künftig häufiger durch »attraktive Angebote« an die kubanische Führung ergänzt werden - unabhängig davon, wer ab Januar 2001 im Weißen Haus residiert. Die jüngste Entwicklung in Belgrad scheint Anlass genug, das grobkörnige Raster einer verschlissenen Kuba-Politik zur Disposition zu stellen.