Ausstellung Warum ich Ekkehart heiße: Eine große Ausstellung über die unbekannten Naumburger Meister spiegelt deutsche Geschichte und die Tragweite zeitgeistiger Namensgebung wider
Es ist, um persönlich einzusteigen, auch meine eigene Geschichte, der ich auf die Spur kommen wollte, als ich den Zug nach Naumburg an der Saale bestieg, um dort die überregional angekündigte Uta-Ausstellung zu sehen, korrekt unter dem Titel Der Naumburger Meister. Bildhauer und Architekt im Europa der Kathedralen. „Uta von Naumburg“ ist hier der Star – aber gleich neben ihr steht, wie sie fest in die Architektur des Domes integriert, ihr Ehemann, der Markgraf Ekkehard – genauer gesagt: Ekkehard II. Und der ist mein Namenspatron.
Dazu muss ich erklären, dass ich Jahrgang 1934 bin, nur wenig mehr als ein Jahr nach der „Machtergreifung“ geboren und im benachbarten Eisenach auf den Namen Ekkehart getauft. Die Namen, die wir unseren Kinder
wir unseren Kindern geben, sind immer Ausdruck des jeweiligen Zeitgeistes, sie erzählen, wie wir auf diesen reagieren. Meine Eltern – bürgerlicher Mittelstand, sie hatten während der großen Inflation geheiratet und waren politisch kaum interessiert – erlebten den Anfang des Dritten Reiches als eine Epoche der Hoffnung und des Optimismus: Es würde aufwärts gehen mit Deutschland, die Arbeitslosigkeit war beseitigt, überall wurde gebaut und investiert, Adolf Hitler, dem „Führer“, schien alles zu gelingen – und meine Eltern wollten dabei sein.Schönheitsideal des NeuenZu der neuen Ära gehörte auch eine ästhetische Neuorientierung: Germania und Germanisches entstanden als Zeitgeist des Neuen – und dazu gehörten die Namen, die man seinen Kindern gab. Mein älterer Bruder, 1932 geboren, wurde (gewissermaßen neutral) noch Klaus genannt, ich zwei Jahre später eben Ekkehart. Mit deutscher Mystik und Geistesgeschichte hatten meine Eltern gewiss nichts zu tun; es war also nicht der häretische Dominikaner des 14. Jahrhunderts, Meister Eckart (in verschiedenen Schreibweisen), den sie zu meinem Namensgeber machten, sondern jene Stifterfigur des Naumburger Domes, die zusammen mit Gemahlin Uta und dem stilistisch verwandten Bamberger Reiter das Schönheitsideal des neuen Deutschland verkörpern sollte. Vier Jahre später, auf dem Höhepunkt nationalsozialistischer Machtentfaltung und Popularität, wurde meine Schwester geboren und erhielt, wie konnte es anders sein, den Namen Ute.Eine eindrucksvolle Grafik der Münchener Geburtenjahrgänge 1919 bis 1963 mit dem Namen Uta (in verschiedenen Schreibweisen) belegt, dass der Name so gut wie unbekannt war, bis er sich 1933 vervielfältigte und zwischen 1939 und 1944 einen Gipfel erklomm, um 1947 wieder dramatisch abzustürzen. Der Ausstellungskatalog, der diese Kurve zeigt, interpretiert die Popularität dieses in Naumburg geborenen Namens (die DDR führte den Uta-Kult unreflektiert weiter und spielte zeitweise mit dem Namen „Stadt der Uta“) als Kombination widersprüchlicher Motive: Die einen wollten damit ihre völkische Gesinnung demonstrieren, andere hatten bildungsbürgerliche Motive, dritte wollten sich mit dem germanischen Namen von der Kirche distanzieren, für vierte war Uta eine neue Heilige.Ikone des deutschen SchönheitsidealsWarum meine Eltern sich für Ute statt Uta entschieden, ist schwer auszumachen. Ein Jahr zuvor, 1937, war die Ausstellung Entartete Kunst gezeigt worden, und dort wurde die im 13. Jahrhundert von dem biografisch unbekannten Naumburger Meister geschaffene Markgräfin Ute als Ikone des deutschen Schönheitsideals propagiert und denunziatorisch mit Frauenporträts der Moderne konfrontiert. Soweit zu den Namen Ekkehard und Uta – und wenn es nicht langweilt, so sei noch hinzugefügt, dass meine Eltern anscheinend mich damals gar nicht „teutsch“ genug taufen konnten, indem sie das eher übliche „d“ am Ende durch das härtere „t“ ersetzten: Ekkehart heißt im Althochdeutschen „der Schwertstarke“. Viele Eltern wissen nicht, was sie ihren Kindern mit zeitgeistig modischen Namen fürs Leben antun.Man kann diese bemerkenswerte und mit größter wissenschaftlicher Umsicht kuratierte Ausstellung auf verschiedene Weise „lesen“. Mein Vorschlag wäre, dies vom Ende her zu tun, das heißt vom dritten der über drei Schauplätze in der Stadt verteilten Schau, unter dem Titel „Fortgesetzte Spiegelungen“. Der Name ist durchaus wörtlich zu nehmen, findet man hier doch in hervorragenden Kopien die berühmten Stifterfiguren vor einer Spiegelwand und kann ihnen auf Augenhöhe gegenübertreten und sich beeindrucken lassen von der Ausdruckskraft und den lebendig differenzierten Physiognomien dieser Figuren der hochmittelalterlichen Adelsgesellschaft – so wie man die Originale im Westchor des Domes, wo sie hoch oben stehen, nicht wirklich würdigen kann. Da erhält die geradezu inflationär reproduzierte Uta eine rätselhaft vielsagende Aura, die sie vergleichbar macht mit Leonardos Mona Lisa – während Ekkehard zu meinem persönlichen Leidwesen eine eher sauertöpfische Miene macht; kein Wunder, dass die zahlreichen Gedichte, Bühnenstücke, Filme und Romane über das hochgotische Paar eine an unerfüllter Liebe Erkrankte zeigen, die sich mit hochgehaltenem Mantelkragen von ihrem groben Ehegatten abwendet.Wie Goethe anno 1813Eigentlich hat es bis ins frühe 19. Jahrhundert gedauert, bis die Stifterfiguren des anonymen Naumburger Meisters von der deutsch-nationalen Öffentlichkeit entdeckt und das markgräfliche Paar zu Kultfiguren wurden, wozu die Fotografie wesentlich beitrug. Höhepunkt des Kultes war, wie angedeutet, das Dritte Reich, wo den Uta-Reproduktionen (wir hatten eine Gips-Kopie an der Wand hängen) auch die Aufgabe zufiel, der seit 1924 in Berlin ausgestellten Nofretete-Büste den Rang als Schönheitskönigin abzulaufen – und dann der Tiefpunkt, als sie 1944 einer Göttin gleich über stürmenden deutschen Frontkämpfern schwebte („Um die Kultur Europas“), als Illustration zu einem philosophischen Aufsatz Was ist der Mensch? von Hans-Georg Gadamer. Hier sind in der Tat viele, auch weniger düstere und dafür kitschigere Entdeckungen zu machen.Der zweite Teil der Ausstellung geht der besonders für Kunsthistoriker interessanten Frage nach stilistischen Gemeinsamkeiten und Unterschieden gotischer Skulpturen der großen Kathedralen-Baukunst auf beiden Seiten des Rheins nach, und ob es nur einen Naumburger Meister oder eine Mehrzahl, eine ganze Werkstatt gegeben habe, die gewissermaßen von Baustelle zu Baustelle gezogen war. Auch über einige Techniken der Baukunst wird dort unterrichtet, und nicht zuletzt können die sehr genauen Zeichnungen, nach denen die Bauhandwerker gearbeitet haben, faszinieren. Ein Bild des Mittelalters entsteht da aber nicht – es den Besuchern nahezubringen, hat man einem Kurzführer überantwortet.Das Kernstück der Ausstellung ist natürlich der Dom, in dessen Westchor die echten Stifterfiguren hinabschauen. Das Kirchenschiff wird hier zur großen Ausstellungshalle für Skulpturen, Fragmente, Reliefs, für gotische Steinmetzkunst und allerlei Objekte, die schön choreografiert über den ganzen Raum verteilt sind und an denen das Publikum vorbeigehen oder Schrifttafeln lesend auch stehenbleiben kann. Eine nur annähernd atmosphärische Einfühlung in das ferne Mittelalter vermag sich auch hier nicht einzustellen – es soll wohl durch Kopfarbeit oder objektbegleitende und -erläuternde Lektüre kompensiert werden, was aber nicht funktioniert. Allenfalls musikalisch wäre eine solche atmosphärische Rekonstruktion vielleicht möglich gewesen; auch das findet hier nicht statt.Kalter EmpfangVergleichbares hatte Goethe 1813 während seines Besuchs erfahren: Der Dom empfing ihn so kalt wie die Besucher heute, weshalb er „aus dem Heiligtume eilte, wo es aus mehr als einer Ursache feucht, kalt und unfreundlich war“ – so rasch, dass er nicht einmal die Stifterfiguren in Augenschein nahm. Ein religiöser Raum, zur Ausstellungshalle degradiert, kann sakrale Gegenstände nicht zum Sprechen bringen. Dabei besteht das Aufregende dieser mittelalterlichen Präsenz gerade darin, dass hier weltliche historische Persönlichkeiten die Rolle der sonst üblichen biblischen Figuren einnehmen – und trotzdem ihre Individualität behalten, weshalb sie uns heute näherstehen als ihre ferne Zeit.Sie aus der sterilen interpretatorischen Umarmung durch die Kunsthistoriker zu befreien, ist zumindest im Ausstellungs-Kirchenraum nicht gelungen. „Lassen wir diese historischen Erklärungen“, seufzt der Tonbandführer an einer Stelle, „und wenden wir uns lieber wieder der Kunst zu.“ Vielleicht erklärt das den bisher weit unter allen Erwartungen gebliebenen Besuch, worüber die Ausstellungsmacher verständlicherweise enttäuscht sind. Goethe hatte an seine eigene Enttäuschung über den Dombesuch eine allgemeine Feststellung geknüpft, die auf diese säkularisierte Ausstellung des Sakralen zutrifft: „Solche Räume, wenn sie nicht durch Messopfer erwärmt werden, sind höchst unerfreulich.“ Aber das sollte, um an den Ausgangspunkt zurückzukehren, niemand hindern, eigene Fragen an das in Naumburg reichhaltig ausgebreitete Material zu stellen und sich zum Beispiel exemplarisch belehren zu lassen über die ideologische Manipulation großer Kunstwerke – mit dem tröstlichen Schluss, dass alle Versuche der Vereinnahmung letztlich an deren zeitübergreifender Größe scheitern.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.