Ulrich Seidl hat nicht nur, wie es sich für einen Autorenfilmer gehört, eine eigene Handschrift. Er hat, was viel seltener ist, sogar so etwas wie eine Methode, also Prinzipien, nach denen er seine Filme und in diesen Filmen einzelne Einstellungen und Bilder organisiert. Diese Methode ist rigide, sie ist wiedererkennbar, sie sorgt dafür, dass man einen Seidl-Film auf Anhieb erkennt – was jedenfalls für die Dokumentarfilme gilt. Bei den Spielfilmen, die darum der interessantere Teil des Werks sind, sind größere Abweichungen möglich.
Dass Ulrich Seidl eine Methode hat, heißt nicht, dass das Ergebnis im einen Fall dem in einem anderen Fall unbedingt gleicht. Seidls Methode ist eine des Stellens: Er stellt die Menschen von diesem oder jenem Rand der Gesellschaft in seine Bilder hinein. In aller Regel stellt (oder setzt) er sie in die Mitte und symmetrisiert so das Bild, in dem die Menschen die sein dürfen oder, und hier beginnen die ethischen Probleme des Ganzen: die sein sollen, die sie sind.
Er lässt sie reden, und er lässt sie schweigen. Er stellt sie, er stellt sie hinein, und er stellt sie aus. Er gibt ihnen einen Rahmen, aber er springt ihnen nicht bei. Alles bleibt äußerlich ungerührt, aber die Neutralität der Methode ist Schein. Mit den Affekten, die das Reden, Schweigen, Sitzen, Stehen der Menschen in den unbewegten Bildern auslösen muss, lässt Seidl nicht nur diese, sondern auch die Zuschauer ganz allein.
Safari ist einerseits geradezu der Inbegriff eines Seidl-Films. Sein Gegenstand sind österreichische Menschen, Männer und Frauen, deren Leidenschaft die Großwildjagd in Afrika ist. Er folgt ihnen auf der Jagd. Und zwar, eher Seidl-untypisch, mit der Handkamera. Wobei aber diese Kamera, der Kameramann, der Regisseur abwesend bleiben. Die Bilder von der Jagd sind in ihrer Ungerührtheit sehr hart. Die Jäger pirschen sich an die Opfer heran; zum Opfer sagen sie in der sehr eigenen Sprache, die sie verwenden, nicht Opfer und auch nicht Tier, sondern: Stück. Sie sagen erlegen, nicht: töten. Sie sagen Schweiß und nicht: Blut. Sie sagen Zeichnen für die Reaktion des Stücks auf den Schuss. Sackt es auf der Stelle zusammen, läuft es noch weiter, hat man es getroffen und wo?
Die Jäger sehen das Tier als Partner, sie klopfen dem von ihnen getöteten Stück den Hals, wie es der Springreiter nach einem erfolgreichen Umlauf bei seinem Pferd tut. Anders als das Pferd hat das Stück zu Stolz keinen Grund. Sie schießen Fotos von sich und der Leiche. Weil sie immer zu zweit sind, oder zu dritt, sagen sie Waidmannsheil, wenn es geglückt ist, wenn der Treffer gut saß, umarmen sich oder küssen sich, es sind vor allem Paare, die wir sehen. Männer wie Frauen lieben die Jagd. Sie sprechen darüber, sie respektieren das Tier, das sie töten.
Bei den Tieren ist es für Respekt leider zu spät. Die Giraffe ist zusammengesackt, Hals, Beine, Körper liegen, wie sie fielen, außer aller Kontrolle. Was stolz stand, ist Unform im Tode. Die Giraffe blickt nicht mehr, flieht nicht mehr, sucht nicht mehr Nahrung. Ein guter Schuss. Nicht gut genug: Denn da ist noch Leben. Sie zuckt, sie hat nicht mehr die Kraft, den Kopf zu heben, aber der Bogen des Halses mit dem Kopf und dem Maul, in das der Jäger fürs Foto schon Blätter geschoben hat, damit es aussieht wie aus dem Leben gerissen, der Hals, der Kopf, er schwingt noch einmal auf die andere Seite. Es war die letzte Äußerung des Lebens im Tier, es war noch nicht ganz über die Schwelle. Es war nicht tot, sondern starb. Dann nichts mehr, dann ist es tot.
Verdopplung des Blicks
So ist das mit der Jagd in Ulrich Seidls Safari. Dann setzt er die Jäger mitten ins Bild. Dort reden sie sich um Kopf und Kragen. So weit reicht die Seidl-Methode, die Menschen stellt, hinstellt, hineinstellt, ihnen Platz einräumt und auf explizites Erklären, Empathie und Urteil verzichtet. Es kommt jedoch etwas hinzu. Es sind andere Menschen im Bild. Immer gibt es auf der Jagd schwarze Begleiter. Schwarze zerlegen die Tiere. Sie sprechen dabei, aber was sie sagen, wird nicht übersetzt.
Den Schwarzen folgt Seidl in ihre Häuser, auch sie stellt er und setzt sie ins Bild. Aber sie reden nicht, sondern schweigen. Sie essen vom Fleisch der getöteten Tiere. Falls das eine Anklage ist, bleibt sie stumm. Die schwarzen Männer und Frauen bleiben, so scheint es, außer Reichweite des Seidl-Verstehens der Welt. Das ist nicht nur hilflos, sondern fatal: eine Verdopplung des kolonialistischen Blicks. Wie überhaupt Seidls Methode der Methode der Jäger nah ist. Man hat freilich nie den Eindruck, dass er das reflektiert. Ulrich Seidl ist ein Regisseur mit einer Methode. Das heißt aber noch lange nicht, dass er auch weiß, was er tut.
Info
Safari Ulrich Seidl Österreich 2016, 91 Minuten
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