Was kann Theater, wenn ihm ein Sachtext unterkommt? Emotionen stiften. Laut ausgesprochen und in Figurenrede übertragen, klingen die Details, die das Recherchenetzwerk Correctiv vergangene Woche über ein Treffen rechtsextremer Influencer mit AfD- und CDU-Mitgliedern in Potsdam veröffentlichte, noch erschreckender als beim Lesen. Ein „Masterplan“, um deutsche Staatsbürger ausweisen oder vielmehr: deportieren zu können? Unglaublich, aber wahr, das belegen die Recherchen. Die enge organisationelle Verflechtung des AfD-Bundesvorstands und der CDU-Werteunion mit der Identitären Bewegung? Lange schon ein offenes Geheimnis, aber erschütternd, mit welcher Selbstverständlichkeit die Nähe bei dem konspirativen Treffen von knapp 30 Personen im
itären Bewegung? Lange schon ein offenes Geheimnis, aber erschütternd, mit welcher Selbstverständlichkeit die Nähe bei dem konspirativen Treffen von knapp 30 Personen im Hotel „Landhaus Adlon“ bei Potsdam ausgelebt wurde. Ganz zu schweigen von der geradezu körperlich wirkenden Erkenntnis, wie akut die Bedrohung für den Rechtsstaat und die Demokratie in Deutschland durch Umsturzpläne von Rechts ist.Auf der großen Bühne des Berliner Ensembles stellte Correctiv gemeinsam mit dem Regisseur und Intendanten Kay Voges vom Volkstheater Wien die Recherchen jetzt als szenische Lesung vor. In dicken Trauben standen die knapp 7.000 Zuschauer*innen vor dem Einlass vor dem Theater, die Polizei war vor Ort. Live wurde gestreamt, auch in andere Theaterhäusern im deutschsprachigen Raum.Eingebetteter Medieninhalt„Correctiv enthüllt“, stand in allen Ankündigungen. Versprochen waren neue Details – und die lieferte das journalistische Netzwerk. Mario Müller, Mitglied der Identitären Bewegung, mehrfach wegen Körperverletzung verurteilt und dennoch Wissenschaftlicher Mitarbeiter des AfD-Bundestags-Abgeordneten Jan Wenzel Schmidt, soll beim Potsdamer Treffen im November 2023 damit geprahlt haben, „erlebnisorientierte Fußballkreise“ in Polen auf einen linksautonomen Aussteiger aufmerksam gemacht zu haben. Die Hooligans hätten den Mann dann „sehr handfest“ konfrontiert – und er hätte, eine pikante Information, daraufhin als Kronzeuge im Prozess gegen Lina E. ausgesagt. Die Leipziger Studentin war im Mai letzten Jahres wegen Angriffen auf Neonazis und als Mitglied einer „kriminellen Vereinigung“ zu fünf Jahren Haft verurteilt worden.Brisant im Hinblick auf ein AfD-VerbotsverfahrenBesonders brisant wäre, auch in Hinblick auf das derzeit verstärkt geforderte Verbotsverfahren gegen die AfD, wenn Müller die Informationen über den Aussteiger durch seine Tätigkeit als Bundestagsmitarbeiter erlangt hätte. Das legt die Theaterfassung nahe. Verhaltener formuliert es der neue Correctiv-Text, „Geheimtreffen in Potsdam: AfD-Mitarbeiter brüstet sich mit Gewalt“, der zeitgleich mit der Lesung veröffentlicht wurde und diesen Zusammenhang zwischen Müllers Angestelltentätigkeit und der Gewalttat nicht eindeutig herstellt. Alles, was Müller in Potsdam über seinen „Kampf gegen die Linke“ gesagt haben soll, hat er auf Anfrage von Correctiv hin nachträglich dementiert. Ein Angriff auf die Person, Johannes D., soll allerdings dokumentiert sein.Nutzen Rechtsextreme demokratische Institutionen, um die Gewaltenteilung abzuschaffen? Diese Frage steht mit der neuen Correctiv-Recherche deutlicher denn je im Raum. In Potsdam soll Müller auch von einer Zusammenlegung von Exekutive und Judikative schwadroniert haben: „Ermitteln und Verfolgen“, wie die Gestapo, das ist offenbar sein Traum. Der Unglauben über diese Äußerungen ist den Schauspieler*innen hier ins Gesicht geschrieben. So viel Distanzierung von ihren Rollen als AfD-Funktionäre und vermögende Neurechte muss sein.Strategien, mit denen sich demokratische Wahlen anfechten lassenIhren Text haben die Autor*innen – Lolita Lax, der Correctiv-Journalist und Aktivist Jean Peters sowie der Regisseur Kay Voges – in der Lücke zwischen dem faktisch verdeckt Recherchierten und dem insgeheim ideologisch Intendierten verortet. Manches ist zur Überdeutlichkeit fiktionalisiert, etwa wenn Max Gindorff als Jurist Ulrich Vosgerau in die Runde fragt, mit welchen Strategien man demokratische Wahlen anfechten könne. Drangsalieren von Wahlhelfern, Musterbriefe für den Einspruch gegen die Ergebnisse, neue Narrative, die die freiheitliche demokratische Grundordnung verächtlich machen: es kommen etliche unappetitliche Vorschläge zusammen.Aufklären soll so das Event am Berliner Ensemble. Und mobilisieren. Dass die bislang oft schweigende Mitte derzeit so massiv für die Demokratie demonstriert, ist ein ermutigendes Ergebnis des journalistisch-aktivistischen Scoops vom 10. Januar. Dafür lassen sich auch die Ausreißer ins Pathetische verschmerzen, die der Theatertext immer wieder unternimmt. Dramatisieren ist ja schließlich die Aufgabe von Theater. Im Tonfall klingt das bisweilen wie ein Mix aus einer Spiegel-Reportage und Antifa-Jargon, wenn aus der Juniorsuite im Hotel „ein leichtes Fernsehflackern“ dringt oder von „Faschos“ die Rede ist. Der Schluss lobt die Correctiv-Mitarbeiter*innen, „die ihre Leben aufs Spiel setzen, um unsere Demokratie zu stärken“. So ist es in der Realität nicht, sagt der Correctiv-Chefredakteur Justus von Daniels auf Nachfrage. Todesdrohungen oder Übergriffe (jenseits der leider üblichen Hassmails und -posts) sind nicht erfolgt. Damit das so bleibt, ist die große Öffentlichkeit, die Correctiv mit den Publikationen und dem Theaterabend erreicht hat, der beste Schutz für unabhängigen Journalismus.Was also können Investigativrecherche und Theater gemeinsam bewirken? Erkenntnis durch Emotion. Nun muss im Alltag das zivilgesellschaftliche Handeln folgen, damit es nicht bei einem gratismutigen Erregungs-Event bleibt. Hoffnung gibt es: Im Parkett des Berliner Ensembles ruft eine Gruppe beim Applaus „Alle – Zusammen – Gegen den Faschismus“. Und etliche Zuschauer*innen stimmen ein.