Vermauerte Türen in Ghom

Iran Die Fatwa von Groß­ayatollah Montazeri vertieft die Spaltung des Klerus: sie ist nichts anderes als eine Aufforderung, die herrschende Diktatur zu stürzen

Eine Obrigkeit, die auf Knüppeln, Ungerechtigkeit und Rechtsverletzungen basiert, die sich der Wahlstimmen bemächtigt, die mordet, verhaftet und mit stalinistischen Mitteln foltert, die ein Klima der Unterdrückung schafft, Zeitungen zensiert, die gebildete Elite der Gesellschaft unter absurden Vorwänden verhaftet und falsche Geständnisse erpresst, eine solche Obrigkeit ist aus religiöser Sicht … zu verurteilen und besitzt keinen Wert.“ Dieses Statement, das Großayatollah Montazeri am 13. Juli 2009 veröffentlicht, ist nichts anderes als eine Aufforderung, die herrschende Diktatur zu stürzen und den obersten geistlichen Führer, Ali Chamenei, zu entmachten.

Einst war Montazeri der einzige bedeutende Geistliche mit Ausnahme des Revolutionsführers Chomeini, der sich voll und ganz hinter die Herrschaft der Rechtsgelehrten stellte. Die anderen Großayatollahs zögerten, ob es richtig sei, die Religion so stark zu politisieren. 1985 – noch zu Lebzeiten von Imam Chomeini – wählt die „Versammlung der Experten“ Großayatollah Montazeri zu seinem Nachfolger. Doch dann trennen sich ihre Wege. Montazeri will politische Parteien legalisieren. Seine Kritik an den Erschießungen politischer Gefangener 1988 artikuliert er über BBC. Im gleichen Sender kritisiert er Chomeinis Fatwa gegen Salman Rushdie, den Autor der Satanischen Verse. „Die Verweigerung von Menschenrechten und die Missachtung der wahren Werte der Revolution sind Schläge gegen die Revolution“, erklärt er 1989. Der Satz besiegelt die Trennung von Chomeini. Montazeri, die „Säule des Islam“, wird ausrangiert, sein Foto von der Wand genommen, sein Lehrinstitut geschleift.

Doch der Gemaßregelte hört nicht auf, sich einzumischen. In der von ihm selbst formulierten islamischen Verfassung sieht er Ende der neunziger Jahre ein gefährliches Ungleichgewicht von Verantwortung und Macht am Werk: Der oberste geistliche Führer hätte zu viel Macht, ohne dass er dem Volk gegenüber Rechenschaft ablegen müsse. Ein direkter Angriff auf Ali Chamenei, der statt Montazeri Nachfolger von Imam Chomeini geworden ist. Vor Montazeris Haus demonstrieren daraufhin militante Bassidsch-Milizen. Und Ali Chamenei lässt alle Türen von Montazeris Haus in Ghom bis auf eine zumauern, der einzige Zugang wird Tag und Nacht überwacht. Fünf Jahre sollte es dauern, bis der Reformpräsident Chatami 2003 Montazeris Hausarrest aufhebt.

Montazeri bleibt hartnäckig. Und während sich der einstmals zweite Mann im Staat zum Verfechter von Rechtsstaatlichkeit wandelt, nimmt das Regime unter Ali Chamenei und Mahmud Ahmadinedschad den umgekehrten Weg: Von „Islamischer Republik“ ist immer weniger die Rede, vom „Islamischen Staat“ desto mehr. Lange Zeit hat Montazeri ein Leben am Rande geführt. Er wird geachtet, aber nicht erhört: Für die einen ist er trotz allen persönlichen Mutes nur ein Repräsentant des Mullah-Regimes, für die anderen ein Ruhestörer, dessen Nähe Gefahr verheißt.

Jetzt, im Juli 2009, bekommt seine Stimme erneut Gewicht. Er spricht aus, was inzwischen viele Kleriker wie Akbar Haschemi Rafsandschani, die einst die Revolution anführten, denken: „Gott hat mit den Gelehrten einen festen Bund geschlossen, dass sie niemals im Angesicht der Tyrannei schweigen dürfen“, zitiert Montazeri den Imam Ali. Und so entsteht das Paradox: Wenn die Geistlichen sich Montazeris Forderung gemäß verhalten, ist der alte Mullah-Staat tot. Was danach kommt, braucht einen anderen Namen.

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