Lawinen hält kein Schneemann auf

Börsen Die Finanzmärkte sind nicht nur in Bewegung, sondern bewirken auch große Wertverluste. Wird weiter viel Geld verbrannt, kann das in eine zer­störerische Inflation münden

Die Finanzlawine, die schon einmal, am 15. September 2008 mit der Lehman-Pleite, losgetreten wurde, nimmt wieder Fahrt auf. Gewaltige Rettungspakete mit Hunderten von Milliarden Euro sind geschnürt worden, um sie zu stoppen. Doch mit viel Geld in Rettungsfonds lässt sich eine derartige Lawine so wirksam aufhalten wie ein herabstürzendes Schneebrett von am Hang postierten Schneemännern.

In der Süddeutschen Zeitung findet sich am 6. August 2011 eine aufschlussreiche Grafik. Sie zeigt die Zinsentwicklung der zehnjährigen Staatsanleihen für die wichtigsten Euroländer. Dabei fällt auf, dass von 1999 bis zur Lehman-Pleite 2008 die Zinsen in der Eurozone fast parallel verliefen. Der Abstand zwischen den Euroländern war so gering, dass er vernachlässigt werden konnte. Euroland schien zu funktionieren. Wie im Maastricht-Vertrag vorgesehen, waren die Zinsdifferenzen in der Währungsunion gering. Seit Ausbruch der Finanzkrise aber sind die Abstände extrem – Tendenz steigend. Griechenland wurden Mitte 2011 mehr als 16 Prozent auf seine Staatsanleihen abverlangt, Deutschland kam mit knapp zwei Prozent gut weg.

Barroso wundert sich

Ab sieben Prozent Zinsen – so lautet eine Faustregel für die Banken, den IWF und die Finanzminister des Euroraums – ist ein Land pleite. Die Refinanzierung überlastet auch kurzfristig den Staatshaushalt. Also hat man auf dem jüngsten EU-Gipfel am 22. Juli reagiert und Griechenland die Aufnahme neuer Kredite aus dem Rettungsfonds von EU und IWF zu 3,5 Prozent Zinsen zugesagt. Es gab ein Aufatmen von Athen bis Frankfurt und Brüssel. Doch nun entstehen neue Schwierigkeiten, andere Euroländer müssen zu höheren Zinssätzen Kredite aufnehmen, als sie von Griechenland zurückerhalten, sodass Italien oder Spanien veranlasst sein könnten, aus dem Rettungsfonds auszusteigen – sie zahlen nicht mehr ein. Das bedeutet, die Zahl der Scheemänner, die sich der Lawine entgegenstemmen sollten, schmilzt dahin. Obendrein kann es passieren, dass die Staatsschulden dieser Länder die Schneemassen der Lawine auffüllen und ebenfalls zu Tal donnern. Fazit: Mit Geld aus dem Rettungsfonds kann man genauso wenig eine Schuldenlawine aufhalten wie mit einer Garde von Scheemännern eine Schneelawine im Hochgebirge.

Wie konnte es zu dieser fatalen Lage kommen? Nachdem die Bush-Regierung Lehman Brothers 2008 hat hopsgehen lassen, wurde ein Geldhaufen – also ein Rettungspaket nach dem anderen – auf der Rutschbahn der Finanzlawine postiert. Das Geld haben sich die Staaten oft von eben den Banken geliehen, deren Abrutschen sie zu verhindern suchten. Der Lawinenwarndienst – in der Finanzwelt die Rating-Agenturen – misst die Bonität von Staaten am Grad ihrer Verschuldung und am Insolvenzrisiko. Verschlechtern sich die Rating-Noten, steigt der Spread, der Risikoaufschlag. Das hat zur Folge, dass die Neuverschuldung teurer wird, ein neuer Rettungskredit hermuss, ein neuer Schneemann gegen den Lawinenabgang gebaut wird. Bei einem möglichen Kreditausfall helfen Kreditausfallversicherungen, so genannte CDS, mit denen es möglich ist, auf die Pleite eines Landes zu spekulieren und viel Geld zu verdienen, wenn ein ganzes Volk in den Bankrott getrieben und von der Lawine überrollt wird. Solange dies nur in und mit Griechenland geschieht, kann man die Politik einer Kombination aus Hilfe von außen und harter Austerity im Inneren fortsetzen. Auch gegen militanten Protest. Wenn aber größere EU-Kaliber wie Spanien und Italien ins Rutschen geraten, reichen die Geldhaufen nicht, auch wenn sie 440 Milliarden Euro groß sind wie derzeit der Rettungsfonds. Dem Präsidenten der EU-Kommission José Manuel Barroso fällt dann nichts anderes ein, als den gerade beschlossenen Fonds vorsichtshalber schon aufzustocken, bevor die Milliarden überhaupt eingesammelt sind. Er will mehr Schneemänner und wundert sich über das Geschrei, das ihm aus Berlin und Brüssel entgegenschallt.

Dass es offenbar nicht viel bringt, immer mehr gutes Geld schlechtem hinterherzuwerfen, demonstrieren gerade die USA. Nachdem sie die Schuldengrenze von 13,4 Billionen US-Dollar um ein Haar gerissen hätten, mussten sie etwa 2.000 Milliarden Dollar einsetzen, die vorzugsweise bei der Zentralbank geliehen sind. Im Gegenzug werden Staatsausgaben über die Jahre verteilt gestrichen. Vorrangig im Sozialbudget, nicht bei den Etatposten, die den Reichen zugutekommen. Noch nicht einmal die Vermögens- und Einkommenssteuern sind auf den Status quo ante der Ära Bush gebracht worden. Die Tea-Party-Bewegung hat all jenen gezeigt, die in der modernen Kreativgesellschaft den Klassenkampf für einen Begriff von vorgestern halten, dass Klassenkämpfer von oben keinerlei Skrupel haben, die Dinge wenn schon nicht beim Namen zu nennen, so doch ihren Sinngehalt praktisch zu realisieren.

Rücksichtslose Hegemonie

Im finanzgetriebenen Kapitalismus unserer Tage äußern sich die Krisen zuallererst als Finanzkrisen, bevor sie die „reale“ Wirtschaft erreichen. Also wird man das Anschwellen der Finanzlawine verhindern müssen. Am besten gelingt dies, wenn große Vermögen und Einkommen durch Steuern abgeschöpft werden, um das Geld in Schulen, Hospitäler und Gesundheitsdienste zu stecken, die dem Strukturwandel der Bevölkerung Rechnung tragen. Finanztransaktionssteuern müssen her, um die Spekulation zu verteuern. Da das Gegenteil geschieht, rutscht die Lawine weiter.

Entscheidend ist es, die Macht von Rating-Agenturen zu beschränken. Wenn Medienleute respektvoll von den Märkten reden, die irgendetwas nicht goutieren, meinen sie die Meinungsmacher der Märkte, darunter die Rating-Agenturen. Der Stress, unter den das EU-Integrationsprojekt gesetzt worden ist und unter dem die Währungsunion zu zersprengen droht, kann nur abgebaut werden, wenn die Märkte nicht mehr Rating-Agenturen und Bankmanagern überlassen bleiben und wenn mit Eurobonds für einen einheitlichen Zinssatz im Euroraum gesorgt wird. Die Schäden der Finanzlawine sind bereits gewaltig. Doch lauert als neue Gefahr eine Wiederkehr der Inflation. China versucht fieberhaft, sich vor den Verlusten in Sicherheit zu bringen und den Dollar gegen andere Währungen loszuwerden. Ob dies gelingt, ist nicht sicher. Vor Jahren hat die britische Ökonomin Susan Strange die USA eine „rücksichtslose Hegemonialmacht“ genannt. Ein predatory hegemon sind die USA auch in der jetzigen Finanzkrise.

Elmar Altvater ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut

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