Zwei mal fünf gleich null

Paradoxie links von Rot-Grün Die Wahlalternative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) und die PDS treten gegeneinander statt miteinander an

Nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai sind möglicherweise gleich zwei Nekrologe fällig. Der eine auf das rot-grüne Projekt, das schon seit 1999 von den Protagonisten zu Schanden geritten wurde. Der andere wäre auf zwei Linksparteien zu halten, die es nicht in den Landtag schaffen.

In NRW wäre das so schlimm nicht. Aus Experimenten und deren Scheitern wird man bekanntlich klug. Doch wie ist es um die Lernfähigkeit von PDS und Wahlalternative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) bestellt? Fatal wäre die Wiederholung des Kampfs um ein kleines Marktsegment bei den Bundestagswahlen, die spätestens 2006 stattfinden. André Brie hat völlig Recht, dass zwei mal fünf Prozent für zwei Parteien der Linken nicht denkbar sind. Die Hoffnung, dass enttäuschte Wähler der SPD und der Grünen das Kreuz bei den Linksparteien machen und nicht Abstinenz üben oder zur CDU, FDP und zu Parteien der radikalen Rechten wechseln, ist allzu unrealistisch, als dass sie zum Prinzip erhoben werden könnte. Diese eigentlich triviale Erkenntnis wird aber behandelt wie eine Kröte, die niemand schlucken will.

Dabei müsste der erste Anlauf der WASG ihrem programmatischen Namen gerecht werden: Wahlalternative. Damit sie dies werden kann, darf man nicht nur auf enttäuschte Sozialdemokraten zielen, sondern sollte die Alternative breit fassen und als offenes Angebot behandeln. Wenn die NRW-Wahl keine der beiden Linksparteien ins Parlament befördert und abzusehen ist, dass sich daran bis zu den Bundestagswahlen nichts ändert, muss ein Projekt des "gemeinsamen Dritten" in Angriff genommen werden. "In Angriff" - das Wort spricht den Konflikt an, ohne den das Projekt nicht reifen kann. Denn auf begeisterte Zustimmung stößt der Vorschlag weder in der PDS noch in der WASG. Für letztere hat einer der Sprecher entsprechende Überlegungen bereits brüsk zurückgewiesen. Lieber auf einem Maulwurfhaufen obenauf als sich gemeinsam zur Bergbesteigung rüsten.

Können SPD und Grüne erleichtert aufatmen? Natürlich werden sie den paar Prozenten nachjammern, die auf die Linksparteien entfallen, und die Linke insgesamt beschuldigen, der Rechten zugespielt zu haben. Doch der Balken der geringen rot-grünen Bindungskraft ist im rot-grünen Auge zu suchen.

Die Regierungsparteien haben nicht nur den Bürgern insgesamt, sondern besonders ihrer Klientel viel zugemutet. Die Kriege gegen Jugoslawien und Afghanistan sorgten weder für Demokratie und Menschenrechte noch für soziale und menschliche Sicherheit - allenfalls für militärische Dominanz. Doch ist dies im öffentlichen Diskurs derzeit weniger präsent als die Wirtschaftspolitik mit rot-grünem Markenzeichen. Mehrfache Steuergeschenke in der Größenordnung von weit mehr als 100 Milliarden Euro an die Reichen im Lande zeichnen sich durch eine blamable Folgenlosigkeit aus. Es wirkt lächerlich, wenn der Kanzler als Gegenleistung erwartet, dass nicht immer von Abwandern "geredet" wird.

Die Bundesregierung hat in neoliberalem Überschwang, bei dem sich die rot-grünen Partner wechselseitig und dann noch die Opposition zu übertrumpfen trachteten, so viel dereguliert, dass sie nun wie der Kaiser ohne Kleider dasteht. Die Unternehmen sind wie das unschuldige Kind in Andersens Märchen und sehen, dass der Kaiser nackt ist. Sie hauen also ab, wenn es ihnen passt und fordern weitere Steuergeschenke und weitere Umverteilungen von Lasten auf die Schultern der Arbeitnehmer. Beispielsweise wollen sich die Unternehmen nicht mehr an der Finanzierung der Unfallversicherung beteiligen.

Warum dienern die rot-grünen Parteien vor dem Kapital? Offenbar in der illusionären Erwartung, niedrige Steuern würden irgendwann doch zu Investitionen führen. Doch einem Investor geht es um Renditen für die Anleger. Die erwarten heute 20 Prozent und mehr, und die sind mit Investitionen in Arbeitsplätze nicht zu erzielen, wohl aber durch Spekulation auf den globalen Märkten.

Die Zumutungen der Hartz-Gesetze werden zwar als ungerechte und einseitige Belastung der sozial sowieso Benachteiligten wahrgenommen, aber selbst in der tageszeitung gelten sie als "notwendige Reformen". Folglich wird man davon ausgehen müssen, dass noch ein gewisses Potenzial da ist, aus dem Rot-Grün schöpfen kann. Es ist daher nicht auszuschließen, dass nach Auszählung der Stimmen in Düsseldorf ähnlich wie 2002 eine rot-grüne Überraschungsmehrheit vermeldet wird.

Immerhin hat die Opposition zu verstehen gegeben, die rot-grünen Einschnitte ins Sozialsystem zugunsten des Kapital brutalisieren zu wollen: Noch weniger sozialer Schutz für die Bedürftigen, noch weniger Rechte in den Betrieben, noch niedrigere Löhne, noch längere Arbeitszeiten. Das kommt den rot-grünen Wahlstrategen gerade recht. Dass Rot-Grün ein Übel ist, versuchen sie gar nicht erst zu widerlegen. Aber kann nicht auch das kleinere Übel in trüben Zeiten als Lichtlein leuchten? Für alle kleinmütigen SPD-Ratsherren, für die gebeutelten, vor einer linken Alternative schreckenden Gewerkschafter, für die grünen, postmodernen Leichtintellektuellen, die ihren Opportunismus nicht bis zur Identitätskrise überziehen müssen.

Sollte es an Rhein und Ruhr noch einmal für vier Jahre reichen, es wäre vor allem das Resultat von Perspektivlosigkeit, weil der Wechsel zu Schwarz-Gelb als mindestens ebenso trostlos empfunden wird wie die Fortsetzung des Bisherigen. Gerade deshalb hätte eine linke Partei eine Chance, wäre sie als Alternative glaubwürdig. Tritt sie jedoch in zweifacher Gestalt an, wird gerade diese Bedingung nicht erfüllt. Jeder kann sich ausrechnen, die Voraussetzung eines Erfolgs wären zwei mal fünf Prozent, mit denen nicht zu rechnen ist, so dass null Sitze im Parlament herauskämen. Keine attraktive Einladung, links von Rot-Grün zu wählen.

Siehe auch das Interview mit Thomas Händel (WASG) in dieser Ausgabe

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