Vermeintlich ist heute alles ganz anders als früher: Unternehmerisches Handeln sei global(er), komplex(er) und informiert(er). Doch eigentlich erinnern uns die Ereignisse in Teilen der deutschen Automobilindustrie eher an finsteres Mittelalter als an die postmodern-entnationalisierte Hypertrophierung kapitalistischer Verhältnisse. Der Adel sucht sein Heil in der kriegerischen Ausdehnung des eigenen Herrschaftsbereiches, jede Eroberung wird mit maximalem Einsatz von Mensch und Gewalt forciert, jeder Sieg orgiastisch gefeiert und mit barocken Feier-Festungen und Denkmälern architektonisch verewigt. Wenn es an das Zahlen der Zeche geht, beschwört die brav-beflissene Geistlichkeit okkulte Bedrohungen aus dunklen Reichen des Bösen. Die verängstigten Gläubigen
en dürfen sich - wenn ihre Körper noch unversehrt sind - das Heil ihrer Seelen, die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod gegen Abgabe von Geld oder Fronarbeit erkaufen.Die Automobilindustrie schleppt seit Jahrzehnten riesige Überkapazitäten mit sich herum. Sie verpulvert riesige Energien und Etats, um immer mehr vom Gleichen als vermeintliche Vielfalt zu inszenieren: Produktzyklen werden immer kürzer, die Produkte indes immer ähnlicher. Darunter leiden nicht nur die natürliche Umwelt und die Haushaltskassen derjenigen, die nicht ohne trend-kompatible Automobile leben wollen oder können. Ebenso schwinden Zuverlässigkeit der Produkte und Qualität von Arbeit und Leben derjenigen, die Automobile entwickeln, produzieren und verkaufen. Das betrifft besonders die Beschäftigten, Zulieferer und Kunden der Unternehmen, deren Top-Manager entschieden haben, ihr Heil in der Jagd nach schnellem Wachstum gegen den Markt zu suchen - mittels Akquisition, vermeintlichen Effizienzgewinnen durch schiere Größe und mittels permanenter Kostenreduzierungen.EU-Kommissar Bolkestein fordert in Sachen Volkswagen-Gesetz nichts anderes als Waffengleichheit im Kapitalmarkt: Wer im freien Zugang zu den Kapitalmärkten anderer Länder andere Unternehmen erworben hat, darf Konkurrenten und Investoren das gleiche Zugangsrecht zum eigenen Markt nicht vorenthalten. Insofern ist nicht Bolkestein das Problem. Für die potentielle oder reale Bedrohung unternehmerischer Eigenständigkeit und Wettbewerbsfähigkeit sind andere verantwortlich: Jene Top-Manager in den eigenen Unternehmen, ihre Promotoren in den Aufsichtsräten und ihre Anbeter in den Medien, die anstelle der geduldig-respektvollen und unspektakulären Arbeit an sich selbst, der eigenen Organisation und der eigenen Geschichte, eben selbige auf dem Markt für Unternehmenskontrolle verspielen.Bei DaimlerChrysler, Volkswagen und Opel drohen ihren Belegschaften und Zulieferern nun diejenigen mit der Unabwendbarkeit von Kostenreduktionen in Höhe von jeweils mindestens 500 Millionen Euro, die noch vor wenigen Jahren dem Mythos anhingen, dass ein Autobauer eine Mindestgröße von vier Millionen PKW pro Jahr haben muss, um überleben zu können. Damit haben sie - Gebetsmühlen gleich - die teuren Akquisitionen gerechtfertigt. Größe ist aber nur dann und dort von strategischem Vorteil, wo sie experimentale Vielfalt auf der Suche nach Zukunft ermöglicht. Und als solche braucht unternehmerische Größe selbstkritisches Vertrauen in das Vermögen der eigenen Belegschaft, der lokalen und regionalen Partner, um mit den selbst produzierten Problemen der Gegenwart fertig zu werden.Opel ist die Tochtergesellschaft eines US-Konzerns, dessen Kapitalmarkt-Orientierung in Opel nichts anderes als ein Investment sehen will, das man nur solange fortzusetzen bereit ist, wie es eine akzeptable Rendite abwirft. Daraus folgt um so mehr eine Logik permanenter Kostenreduzierung, als sich die Opel-Autos in erster Linie nur preislich behaupten können und deshalb dort hergestellt werden sollen, wo die Kosten nachhaltig und politisch ungehindert niedriger sind. Volkswagen dagegen hat Kapazitäts- und Kostenprobleme Mitte der neunziger Jahre durch die Kombination von Worksharing (28,8-Stunden-Woche) und Flexibilisierung seiner Fertigung bewältigt - also eher kreativ und eher im Konsens. Daran anknüpfend, hätte der Konzern die Chance gehabt, eine innovative Produktpolitik zu entfalten, seine Wettbewerbsfähigkeit weniger kostensensibel zu gestalten und letztlich die Bindung an seine Stammsitz-Region als Bedingung und Ergebnis einer solchen Orientierung zu entwickeln. Das hat man versäumt, und deshalb geht es bei den aktuellen Verhandlungen im Unternehmen um eine Richtungsentscheidung, die man historisch nennen könnte: die VW-Konsens-Kultur bekräftigen und erneuern oder in die Sackgasse fahren, die nur noch Kosten-Pressing und Preis-Dumping kennt.