Die teure Maschinerie der Geldindustrie braucht ständig neue (alte) Themen. Denn Geld muss bewegt werden. Nur so können Provisionen verdient, Kurse bewegt und Profite aus Kauf und Verkauf realisiert werden. Seit einiger Zeit ist nun Japan wieder angesagt und soll sich als Anlage lohnen. Die anderen Traum-Geschichten sind aufgebraucht: In den USA steigen die Risiken einer Zinserhöhung und einer implosiven Korrektur des überhitzten Immobilienmarktes. Das Portfolio sollte also, so wird geraten, umgeschichtet werden. Dazu passen jene optimistischen Wirtschaftsdaten, die Japans Regierung den Medien in die Tastaturen diktiert. So werden die bekannten und immer wieder geglaubten Geschichten neu aufgelegt: Jene vom Aufstieg des Phoenix aus der Asche, diese vom Comeback des für tot erklärten Ex-Champions. Aber gibt es in Japan tatsächlich ein strahlendes Licht am Ende des Tunnels?
In den Zeiten des kalten Krieges waren auch Statistiken Waffen im Kampf um Köpfe und Herzen der Menschen. Damals galten in der UN-Statistik-Kommission immer wieder dieselben zwei Staaten als besonders unglaubwürdig: DDR und Japan. Die DDR gibt es nicht mehr, und in Japan hat sich an der Praxis geschönter Daten nicht viel geändert. Sie zu erkennen, ist nicht leicht, denn sie verstecken sich hinter methodischen Details und sind dem unkontrollierten Zu-, Ein- und Rückgriff von Beamten und Regierungspolitikern unterworfen. Hinzu kommt: Kritisch-kompetente Öffentlichkeit ist in Japan besonders rar, folglich die manipulative Zone besonders grau und groß.
Wenn die Stories der Analysten die Wahrnehmung trüben
Oft wird behauptet, Japan habe bis dato mehr als zehn Jahre Krise und Stagnation durchlebt. Genau das macht das Land derzeit als positive Geschichte attraktiv. Es hat indes nach 1990 bis heute mindestens zweimal konjunkturelle Erholungen gegeben: Jene von 1996/97, die dann mit restriktiver Zins- und Steuerpolitik sowie durch die Asienkrise abgewürgt worden ist. Und die von 2000, die mit gewaltiger Staatsverschuldung und öffentlichen Konjunkturprogrammen angeheizt und dann durch den politischen Kurswechsel von Premierminister Koizumi (mehr Markt, weniger Staat) beendet worden ist. Es gibt also einen relativ stabilen Zyklus von drei bis vier Jahren.
Wenn im Moment die konjunkturelle Belebung etwas stärker ausfällt als erwartet, dann ist dafür vor allem die vom Staat finanzierte Ablösung und Abschreibung fauler Spekulationskredite verantwortlich - ein Sondereffekt und kaum die Ouvertüre zu einem neuen Wirtschaftswunder. Angebotsseitig sind Produktion, Auslieferungen und Lagerinvestitionen zwar gestiegen, aber im Rahmen der bereits 1996/97 und im Jahr 2000 zu beobachtenden Wachstumsraten. Die Nachfrage wird primär außenwirtschaftlich stimuliert. In China und in den USA machen japanische Unternehmen gute Gewinne, nicht zuletzt weil die Regierung Japans, aller Marktrhetorik zum Trotz, von Januar 2003 bis Ende März 2004 mit 34,6 Billionen Yen (262 Milliarden Euro) an den Devisenmärkten interveniert, US-Dollar gekauft und damit den Yen relativ billig gehalten hat. Davon profitieren die internationalisierten Großunternehmen. Die durchschnittliche Eigenkapitalrendite der börsennotierten Unternehmen ist mit etwa acht Prozent wieder auf das historische Standard-Niveau gestiegen. Außen vor bleiben jedoch - ähnlich wie in Deutschland - die abhängig Beschäftigten und die vielen Klein- und Mittelunternehmen. Das begrenzt die Inlandskaufkraft, und so bleibt fraglich, ob die Großunternehmen ihre akkumulierten Gewinne produktiv im Lande investieren.
Eher skeptisch zu beurteilen sind auch die Effekte, die von den sogenannten Produktzyklen ausgehen. Die japanische Elektronikindustrie könnte - so behaupten Analysten, die positive Stories brauchen - für die Wiedergeburt eines produkttechnologisch getriebenen Booms sorgen, indem sie die Welt mit digitalisierter und vernetzter Haushaltselektronik versorgt. In diesem Feld sind die Zyklen jedoch genau so kurz wie in der Computerelektronik, und die internationale Konkurrenz ist - bei allen zeitweiligen relativen Vorteilen japanischer Hersteller - genau so scharf wie in anderen Branchen. Kapazitäten und Überkapazitäten sind schnell aufgebaut, und genau so schnell sind die Margen wieder im Keller. Hier bläst also eher eine heftige Böe und kein lang anhaltender Rückenwind.
Wenn der soziale Ausgleich in die Familien zurückwandert
Die Sparquote der Japaner ist dramatisch von einst 15 auf deutlich unter fünf Prozent gesunken. Das hat zwei Gründe: Der Anteil der Älteren und mit ihnen die Tendenz der konsumtiven Liquidierung ihrer Ersparnisse wächst. Andererseits können immer mehr Haushalte bei sinkenden Einkommen weniger sparen und den Mindest-Konsum teilweise nur noch mit Krediten finanzieren. Hier reproduziert sich das aus den USA bekannte Muster radikaler Polarisierung bei den Einkommen wie beim Vermögen. Selbst die offizielle Statistik kommt nicht umhin, das zu registrieren, auch wenn man vorsichtshalber derartige Statistiken nur alle drei Jahre erhebt und veröffentlicht: Der so genannte Gini-Koeffizient (Verteilung der Einkommen zwischen totaler Gleichheit bei null und totaler Ungleichheit bei eins) erreichte im Jahre 2002 mit 0,4983 einen historischen Höchststand, nachdem man 1981 mit 0,3491 den niedrigsten Wert ausgewiesen hatte.
In den kommenden Jahren werden die Baby-Boomer der Jahrgänge 1947 bis 1949 in Rente gehen und damit verlassen teure Beschäftigte die Unternehmen. Selbst wenn deren Stellen teilweise aufgefüllt werden sollten, kann dies mit jungen Beschäftigten und damit kostengünstiger geschehen. Eine deutliche Entlastung der Arbeitskosten wird erwartet und als Grund dafür angegeben, dass die Gewinne weiter wachsen können. Gleichzeitig hofft man, dass die neue Rentner-Generation agil bleiben und ihre Ersparnisse eher qualitäts- denn preisbewusst konsumieren wird. Angesichts der Desillusionierung dieser Generation, der zukünftigen Erhöhungen der Steuern und Sozialabgaben und angesichts der rundum deutlich geminderten Chancen ihrer Kinder wird es wohl nicht so kommen: Eher werden die Baby-Boomer (anstelle öffentlicher Sozialpolitik) ihre Vermögen in den innerfamiliären Transfer einbringen.
Wenn die nackte Umverteilung die nachhaltige Wertschöpfung ersetzt
Wiederum ähnlich wie in Deutschland ist in Japan die Lohnquote, also der Anteil der abhängig Beschäftigten am Sozialprodukt, in den vergangenen Jahren gesunken. Hüben wie drüben resultiert die Erholung der Profite im Kern aus der Umverteilung von der Arbeit zum Kapital, nicht aus einer höheren, ausgleichend verteilten und deshalb nachhaltigen Wertschöpfung. Die Masse der japanischen Beschäftigten erlebt diese Erholung nicht bei sich selbst, und gleichzeitig ist das Vertrauen zerbrochen, das man früher sowohl in den Staat als auch in die Unternehmen setzte. Japan registrierte im vergangenen Jahr 35.000 Selbstmorde, davon mindestens ein Drittel, so schätzt man, wirtschaftlich motiviert. Das entspricht in etwa der Zahl von Verkehrstoten in Japan Anfang der siebziger Jahre, als man noch vom "Krieg auf den Straßen" sprach. Heute werden die Opfer ignoriert. Der neue Zeitgeist gibt sich konfliktscheu und risikosensibel. Ideologisch geklammert wird das Ganze doppelt: nach innen mit nationalistischer Entmündigung und blödelndem Medien-Populismus, nach außen mit der Unterwerfung unter die aggressive US-Machtpolitik.
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