Der Glaube unter Generalverdacht

Contra Kelek Necla Kelek unterschlägt, dass in Deutschland eine Generation modern denkender Muslime herangewachsen ist – eine Polemik

Necla Kelek inszeniert sich seit einigen Jahren erfolgreich als Befreierin der unterdrückten muslimischen Frau. Begriffe wie Freiheit, Aufklärung und Gleichberechtigung gehören zu ihrem Stammvokabular. Aber in der letzten Zeit bröckelt ihr Heldenstatus. Ihre Behauptungen werden nicht mehr so kritiklos hingenommen wie noch vor einigen Jahren.

Kelek will das islamische Leben erkunden, aber bei der Lektüre von Himmelsreise fällt es einem schwer zu glauben, dass sie auch nur eine Moschee von innen gesehen hat. Geschweige, dass sie mit gläubigen Muslimen auf Augenhöhe gesprochen hat. Zunächst betont sie, dass die große Mehrheit der Muslime in Deutschland integriert sei, und schlägt sich auf die Seite der „schweigenden Mehrheit“. Den Verbänden und Moschee-Vereinen, in denen die Muslime organisiert sind, erklärt sie jedoch den Krieg. Der Grund: Sie betrieben eine „Abgrenzung von den Ungläubigen“ und wollten insgeheim die Scharia einführen. Das zeugt entweder von grober Unkenntnis der Lebenswirklichkeit der in Deutschland lebenden Muslime, oder aber Kelek versucht bewusst ein falsches Bild von der Lage zu vermitteln.

Damit brüskiert sie all die Muslime, die sich in der Gesellschaft engagieren und eben nicht diesem Zerrbild entsprechen. Wer eine Brückenfunktion zwischen den traditionellen Glaubensgrundlagen und der westlichen Gesellschaft einnehmem will, wird mit dem Begriff Takiyya gebrandmarkt. Das bedeutet: Verheimlichung der wahren Absichten (aus taktischen Gründen). Damit versucht die „Meisterin der unbelegten Behauptung“ (Hilal Sezgin) alle engagierten Muslime per se als Islamisten abzustempeln.

Für Kelek ist der Islam in Deutschland „eine Religion der Migranten“. Fakt ist aber, dass eine wachsende Zahl von Muslimen hier geboren und aufgewachsen ist. Die meisten dieser jungen Muslime haben einen deutschen Pass, sind nicht selten Akademiker und engagieren sich in der deutschen Gesellschaft. Natürlich gibt es auch nicht zu verharmlosende Probleme, die man ansprechen muss. Aber diesen immer größer werdenden Teil der Muslime in Deutschland zu ignorieren, und den Islam als eine bloße Religion der Migranten darzustellen, ist schlichtweg falsch.

Gerade nach traditionell-islamischem Verständnis macht die Sprache die Identität aus. Der große Gelehrte des Islam Ibn al-Arabi betont, dass die Identität eines Menschen allein an sein Sprachvermögen gekoppelt ist. Keleks Verständnis des Islam ähnelt dagegen der einer extremistische Minderheit, der Salafisten. Wie diese denkt auch Kelek, dass der Islam der Ausdruck einer singulären Kultur (dort der arabischen) ist. Aber ein Blick in die Geschichte genügt, um zu erkennen, dass der Islam eben nicht an eine spezifische Kultur gebunden ist. Wie Abu Bakr Rieger, deutscher Muslim und Anwalt, es so schön ausdrückt: „Man kann Muslim sein und Beethoven lieben, Krawatte tragen und den Weimarer Genius Goethe schätzen.“ Interessanterweise kommen weder Kelek noch religiöse Fanatiker mit so einem deutschen Muslim klar.

Kelek lässt keine Gelegenheit aus, antiislamische Klischees zu bedienen. Sex und Gewalt prägen bei ihr den Alltag der Muslime, ihren Glauben stellt sie als etwas Primitives dar. Die Person Mohammeds wird wie der Islam selbst dämonisiert; weil der die Kreuzigung Jesus ablehne, sei er auf „Blutopfer“ angewiesen. Nach guter alter christlich-mittelalterlichen Tradition bezeichnet Kelek den Koran als „geistigen Diebstahl“. Der Koran sei eine „Vereinnahmung des mythischen Materials von der Genesis über die Thora bis zum Neuen Testament.“ Muslime zu sein. Ist damit etwa die von ihr intendierte „spirituelle Rehabilitierung“ gemeint? Es klingt eher nach Missionierung.

Sie strebe die Integration der Muslime an. Ihr Buch lässt aber keinen anderen Schluss zu, als dass die Muslime in unsere westlichen, säkularisierten Gesellschaften nicht integriert werden können. Anders gesagt, die Integration der Muslime kann anscheinend nur gelingen, wenn sie aufhören Muslime zu sein. Schon am aggressiven Ton ist das Ressentiment zu erkennen. Dabei geht es nicht um eine berechtigte kritische Haltung gegen einige muslimische Funktionäre, die politische Absichten verfolgen.

Wenn man die Doktorarbeit von Kelek zum Thema „Islam und Alltag“ mit ihrem aktuellen Buch vergleicht, sieht man den eklatanten Unterschied zwischen ihrem wissenschaftlichen Werk und ihren effekthascherischen Büchern. 2002 schrieb sie noch folgendes: „Ist die Annahme berechtigt, wonach die islamische Herkunftskultur der Migranten und die christlich-westliche Moderne des Einwanderungslandes kaum vereinbar sind? Ist die muslimische Religiosität ein Integrationshindernis? Die Ergebnisse dieser Untersuchung [...] erweisen Gegenteiliges. [...] Ihr Muslim-Sein ist nicht als traditionale Orientierung, sondern als Traditionsbewusstsein zu verstehen. [...] Es zeigt sich, dass ihr Muslim-Sein die Integrationsfähigkeit der Jugendlichen nicht hemmt, sondern als gelebtes Beispiel kulturellen Wandels fördern kann.“ Kurze Zeit später schwenkte sie in das andere Extrem um und verkaufte in ihrem Bestseller Die fremde Braut andere Wahrheiten.

In jüngster Zeit drängen zunehmend Autoren auf den Markt, die für sich in Anspruch nehmen, für die „schweigende Mehrheit“ der Muslime zu sprechen und sich für einen „zeitgemäßen Islam“ einzusetzen. Was zunächst begrüßenswert klingt, entpuppt sich mit ihrer Hau-den-Muslim-Argumentation als klischiert. Die aufgeklärten Damen und Herren haben keine Ahnung von der Lebenswirklichkeit der einfachen, gläubigen Muslime hier in Deutschland.

Wer sich diese Wirklichkeit anschaut, merkt schnell, dass sie keine selbst ernannten Fürsprecher brauchen, die sie angeblich von einer wie auch immer gearteten Unterjochung befreien wollen. Gerade die jungen Muslime, die hier geboren und aufgewachsen sind, leben bereits ein selbstbewusstes Leben und sehen sich als Deutsche, die sich kritisch mit der Tradition auseinandersetzen. Für sie bedeutet das aber nicht, ihre Religion als Ganzes über Bord zu werfen. Diese jungen und selbstbewussten Muslime sind Kelek ein Dorn im Auge; sie führen durch ihre bloße Existenz ihre Behauptungen und Diffamierungen ad absurdum. Deswegen beleidigt sie selbst junge, selbstbewusste Musliminnen, die sich sexy mit engen Jeans kleiden in ihrem Buch als „Islam-Bitches“. Geht es Frau Kelek also doch nicht um die „Befreiung der muslimischen Frau“?

Die Frage muss erlaubt sein, ob Necla Kelek nicht vielleicht selbst Takiyya betreibt. Um ihrer Kritik einen glaubwürdigen Anschein zu geben, bezeichnet sie sich zwar als kritische Muslimin. Andererseits stellt sie wesentliche Glaubensmerkmale des Islam, den Koran und den Propheten Muhammed so radikal in Frage, dass man sich als kritischer Leser fragt, ob Frau Kelek nicht selber ihre wahren Absichten verheimlicht? „Die ‚frohe Botschaft‘ des Christentums half mir, Zutrauen zu mir selbst zu fassen, Verantwortung für mich und andere zu übernehmen. Sie half mir, mich von dem ‚Wir‘ zu lösen und ein ‚Ich‘ zu werden.“ schrieb sie in ihrem Buch Die verlorenen Söhne.

Eren Güvercin ist ein verbandsunabhängiger, gläubiger Muslim, der als freier Journalist die Islamdebatte begleitet

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