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Isabella Kroth:
Am Anfang bin ich oft auf Skepsis gestoßen, ob es mir gelingen wird, mit den Männern zu sprechen – als Frau und aus einem anderen Kulturkreis stammend. Dann habe ich den Psychologen Kazim Erdogan in Berlin-Neukölln getroffen. Einmal in der Woche versammeln sich bei ihm türkischstämmige Männer und sprechen über das, was sie im Alltag belastet: das Auseinanderfallen ihrer Familien, Erwartungen, die auf ihnen lasten, etwa Ernährer der Großfamilie und Sittenwächter zu sein, also die Ehre der Familie zu verteidigen. In der Gruppe gestehen die Männer Fehler ein. Ich habe gemerkt, wie groß auch bei ihnen das Bedürfnis ist, über Probleme zu sprechen.
Oft bestimmen Klischees die Debatte. Was war Ihr persönlicher Eindruck von diesen Männern? Ist das wirklich eine Parallelgesellschaft?
Ich habe erlebt, dass sich die Türen der angeblich so hermetisch ‚geschlossenen Gesellschaft‘ aufstoßen lassen. Wenn man will, wenn man mit Interesse aufeinander zugeht, ist der Zutritt leicht möglich. Die Männer, die ich getroffen habe, haben sich gefreut, dass ihnen jemand vorurteilsfrei zuhört und sie nicht von vornhinein in die Kategorien Opfer oder Täter eingeteilt werden. Es ist aber immer einfacher zu sagen: Diese oder jene reden nicht, die schotten sich ab, als den Versuch zu wagen, die Barrieren zu durchbrechen. Nur auch hier gilt es, jede Verallgemeinerung zu vermeiden.
Also alles nicht so schlimm?
Bei einigen der Männer hatte ich tatsächlich das Gefühl, dass sie sich selbst in einer Art Parallelgesellschaft gefangen fühlen, aus der sie nicht herausfinden. Etwa, wenn für einige von ihnen der einzige Zufluchtsort die Moschee ist. In anderen Fällen fühlen sich die Männer in Deutschland als Ausländer ausgegrenzt. Es ist nicht immer leicht für sie, Freundschaften außerhalb des bereits bestehenden Verwandtschafts- und Freundeskreises zu schließen. Die Segregation beginnt früh, etwa in der Schule, durch die Hochzeit mit einem Partner aus der Türkei, später im Berufsleben. So bleiben soziale Kreise zwangsläufig weitgehend geschlossen.
Sie haben Männer aus verschiedenen Milieus und Generationen interviewt. Was sind die charakteristischen Probleme?
Die erste Generation wollte sich hier ihre Träume erfüllen – genug Geld verdienen, um sich ein Häuschen in der Türkei zu bauen, ein Auto zu kaufen oder die Eltern zu unterstützen. Nach nur wenigen Jahren hatten sie vor, wieder in die Heimat zurückzukehren. Sie wollten das Beste für ihre Familie – und haben diese durch das Auswandern nicht selten zerrissen. Denn ihre Kinder haben sie oft erst spät zu sich geholt. In Deutschland saß die zweite Generation dann wie auf einem Schleudersitz. Die Eltern haben den Kindern immer wieder vermittelt, dass es jederzeit in die Heimat zurückgehen könnte, dass das Abenteuer Deutschland bald vorbei sein könnte. Das hatte Auswirkungen, etwa auf die Leistungen in der Schule und auf das Gefühl, in der neuen Heimat überhaupt ankommen zu können.
Gibt es weitere Unterschiede zwischen den Generationen?
Noch einen großen Unterschied zwischen erster und nachfolgenden Generationen gibt es. Viele ehemalige sogenannte Gastarbeiter haben sich mit ihrer Isolation abgefunden – sie wollten ja sowieso nie in Deutschland bleiben. Anders ist das für die Kinder und Kindeskinder. Wenn sie – obwohl zum Teil hier geboren – das Gefühl haben, nicht in die Mitte der Gesellschaft zu gehören, ist das tragisch. Wenn sie die Türkei, die sie nur aus dem Urlaub kennen, als eigentliche Heimat ansehen und es bevorzugen würden, dort zu leben, ist das ein Problem für die Zukunft Deutschlands.
Sie haben auch mit sogenannten ‚Importbräutigamen‘ gesprochen. Gelingt es diesen, sich in der deutschen Gesellschaft zu orientieren?
Für diese Männer ist das Leben in Deutschland besonders schwierig. Sie kommen hierher, weil sie eine Frau geheiratet haben, die schon lange in Deutschland lebt, sich hier auskennt und die Sprache beherrscht. In meinem Buch porträtiere ich etwa Ahmet. Er fühlte sich in Berlin orientierungslos. Er sprach kein Deutsch und weil er keinen Job besaß, bekam er von seiner Frau ein Taschengeld. Mit seiner Ehre war das nicht zu vereinbaren. Er spürte die Erwartungshaltung seiner Eltern: Als Mann galt er schließlich als Familienoberhaupt und damit als derjenige, der das Geld heranzuschaffen hat.
Kein Einzelfall.
Nein, so wie Ahmet geht es vielen Männern, die hierher als ‚Quereinsteiger‘ kommen. Immer stark sein zu müssen, kann eine große Bürde sein, die für manche dieser ‚Importbräutigame‘ zu einer enormen Belastung wird. Das kann dann wiederum auch für die Frauen zum Problem werden.
Inwiefern?
Je größer der Frust, desto höher ist auch das Gewaltpotenzial – ganz egal aus welcher Kultur man stammt. Auf Ahmet lastete der Druck, nach außen der starke Mann zu sein. Weil ihm das aber nicht gelang und er sich von seiner Frau nicht genügend unterstützt fühlte, war das ein großes Beziehungsproblem. Das zeigte sich dann auch in der Art und Weise, wie die Streitigkeiten des Paares verliefen.
Der Mann als der eigentlich Schwache in der Beziehung?
Anders als Frauen können sich Männer schon mehr Freiheiten nehmen. Ein Mann, der in einer Zwangsehe lebt, kann sich auf die Straße flüchten, feiern und flirten ohne große Konsequenzen fürchten zu müssen. Die Frauen bleiben daheim bei der Familie und ertragen – oft auch bedingt durch finanzielle Abhängigkeit – die Eskapaden ihrer Männer.
Das Gespräch führte Eren Güvercin
Isabella Kroth, geboren 1980, arbeitet als Journalistin in München. Ihr Buch Halbmondwahrheiten. Türkische Männer in Deutschland erscheint am 9. August im Diederichs Verlag.
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