Kaum ist der Cottbuser Parteitag ohne provokative Dissonanzen wie in Münster vorbei, kaum hat der Personalwechsel stattgefunden, von dem rechts und links der Partei viele hoffen, er wird die PDS den Wiedereinzug in den Bundestag kosten, schon melden sich die üblichen Scharfrichter zu Wort. Der Bundestagsabgeordnete Winfried Wolf aus Baden-Württemberg meint, eine »deutschtümelnde Argumentation« verschreien zu müssen. Aus Bayern wird assistiert, wer Begriffe wie »Deutschland« und »Nation« benutze, verschrecke den »kritischen Linken im Westen«.
Die deutsche Einheit vor zehn Jahren wurde im Namen der Nation vollzogen, gewollt - neben Kohl und den Alteigentümern im Westen - vor allem von den Arbeitern im Osten. Wenn die Nation nur eine Worthülse wäre und sie nichts mit Geschichte, Kultur, Sprache zu tun hätte, warum kamen die DDR-Menschen damals nicht auf die Idee, sich Frankreich oder Belgien anzuschließen? Aus diesem Vorgang die Frage nach der Nation auszublenden heißt deshalb, auch von »links« auf den Ossi als den ewigen Bananenträger herabzuschauen.
Kurt Tucholsky hatte schon Ende der zwanziger Jahre davor gewarnt, Deutschland den »nationalen Eseln« zu überlassen und nannte zugleich jene umgekehrten Nationalisten »widerwärtig«, die kein gutes Haar an diesem Lande lassen wollten. Wenn »Deutschland« gedacht werde, habe man »uns« zu berücksichtigen, »uns: Kommunisten, junge Sozialisten, Pazifisten, Freiheitsliebende aller Grade ... wie einfach, so zu tun, als bestehe Deutschland nur aus den nationalen Verbänden«. Und deshalb betonte er mit Nachdruck: »Wir pfeifen auf die Fahnen - aber wir lieben dieses Land«. War Tucholsky völkisch? Ist es Gabriele Zimmer, weil sie dem Sinne nach nichts anderes gesagt hat als jener vor über 70 Jahren?
Im Hintergrund der Denunziation steht eine Welt der Wörter, des Stils, der »korrekten« Interpretation, die sich dem Realen längst entzogen hat. Es ist eine Welt, die in den vergangenen Jahrzehnten von einer westeuropäischen Linken geschaffen wurde, die eine eigentümlich liberale politische Klasse geworden ist.
Als die 68er sich im Westen auf ihren Weg machten, hatten sie neben Marx auch Freud entdeckt und suchten sie aufs Neue zu verknüpfen. Am Ende stand eine Psychologisierung der Sprache und des Denkens; Zweifel richteten sich immer weniger auf das Tatsächliche, verstärkt jedoch auf das Selbst. Dies geschah um so mehr, als der »Marsch durch die Institutionen«, wie Hans-Jochen Vogel einst anmerkte, die Marschierer mehr verändert hatte als die Institutionen. Für etliche bedeutete dies: da man den Staat nicht mehr zu erobern können glaubte, lehnte man seine bürgerliche Missgestalt überhaupt ab. Alternative Projekte wanderten ins Private und in die Sprache.
Der westeuropäische linke Diskurs führte zu abstrakten politischen Bildern. Begriffe wie nationale Identität, Patriotismus, Familie, sozialer Zusammenhalt, Moral, Gemeinschaft, Tradition, Gesetz und Ordnung, Disziplin wurden von der westlichen Linken konzeptionell in den Rahmen von Wertvorstellungen gestellt, die als typisch autoritär und »rechts« galten. Dagegen wurde ein politischer Liberalismus gehalten, der so tat, als habe die große gesellschaftliche Wandlung schon stattgefunden oder sei nicht mehr nötig. Letztlich glaubte sie, Gesetz und Ordnung durch Ermahnungen und didaktische Herangehensweisen erfolgreich aufrechterhalten zu können.
Die rot-grüne Bundesregierung ist heute der wesentliche politische Ausdruck dieser politischen Klasse. Doch die »kritischen Linken« aus dem Westen kommen ebenfalls aus diesem Kontext, sind dort sozialisiert und kulturell verortet, beziehen sich selbst in ihren Distinktionen immer noch auf jene Diskursgemeinschaft. Und daher nicht auf die ganze PDS. Das ernsthafte Ost-West-Gespräch hat auch hier noch nicht stattgefunden.
Die Vereinigung Deutschlands, die eigentlich logische Konsequenz des Scheiterns des Realsozialismus als Gesellschaftssystem und als Staatengefüge war, dennoch für viele - zumal Intellektuelle in Ost und West - unverhofft kam und mit Misstrauen beobachtet wurde, hat den dauerhaften Rahmen für politisches Wirken geschaffen. Er ist offenbar ebenso dauerhaft von einer kulturellen Differenz zwischen Ost und West geprägt. Nur die beiden großen Parteien, SPD und CDU, haben vergleichsweise ausgewogene Strukturen und politische Reichweiten in beiden Landesteilen beziehungsweise »Kulturkreisen«, während FDP und Bündnis 90/Die Grünen heute mehr oder weniger eindeutig Westparteien sind und die PDS Probleme mit ihrer Westausdehnung hat. Alle drei Parteien jedoch haben den Anspruch formuliert, gesamtdeutsch politikfähig sein zu wollen, was bedeutet, auch im anderen Teil Einfluss zu gewinnen und zu diesem Zwecke insbesondere die kulturelle Differenz zu bewältigen. Für die PDS bedeutet das, eben nicht nur die antikommunistischen Stereotype in weiten Teilen der westdeutschen Bevölkerung zu berücksichtigen, sondern auch die kulturelle Hegemonie des linksliberalen Diskurses in den Wählerschaften, die die PDS bei der Westausdehnung im Blick hat. Ausläufer dieser Hegemonie reichen bis in die eigenen Reihen.
Damit stellt sich die Frage, ob die PDS ostdeutsche Volkspartei oder gesamtdeutsche linkssozialistische Partei sein will oder soll, als Frage nach der Gemengelage von Bruchlinien dar. Als gesamtdeutsche linkssozialistische Partei muss sie sich an der Konfliktlinie Kapital - Arbeit auf der Seite der Arbeit anlagern und will hier »links« von der SPD sein, was immer dies bedeutet. Zugleich muss sie die »postmoderne« Thematik aufgreifen, schon wegen der kulturellen Disposition der Zielgruppen im Westen. Als ostdeutsche Volkspartei muss sie eine breiter angelegte Interessenvertretung an der Linie Kapital - Arbeit deutlich machen, etwa in Gestalt von Unternehmer-Arbeitskreisen in den ostdeutschen Ländern, für viele im Westen jedoch eine unmögliche Vorstellung.
Die Folgerung kann aber schließlich nur sein: Die PDS ist auf Dauer gesehen dazu verurteilt, eine ostdeutsche Volkspartei und eine gesamtdeutsche linkssozialistische Partei zu sein. Die Herausforderung der nächsten zehn Jahre besteht darin, diese Spannung produktiv zu bewältigen. Die Eigendynamik des westdeutschen Diskursgefüges wird sich dabei als das größere Problem erweisen.
Erhard Crome ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Potsdam.
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