Der Zeitungleser

KOLUMNE Die Süddeutsche Zeitung vom Wochenende hat auf der Seite zwei einen ausführlichen Bericht über ein deutsches Kriegsverbrechen auf der griechischen ...

Die Süddeutsche Zeitung vom Wochenende hat auf der Seite zwei einen ausführlichen Bericht über ein deutsches Kriegsverbrechen auf der griechischen Insel Kephallonia veröffentlicht, den sie leider mit "NS-Kriegsverbrechen" betitelt hat. Nicht nur für diese Zeitung, sondern für spätgeborene Deutsche schlechthin, ist offenbar die Bevölkerung des "Dritten Reiches" eine vom Mars eingeflogene Menschenrasse, während sie in Wahrheit die deutschesten Deutschen gewesen sind, die sich einer Regierung verschrieben hatten, unter der sie sich wohler gefühlt haben als jemals zuvor oder danach.

Der Artikel beschreibt also ein deutsches Kriegsverbrechen, eines von zahllosen, begangen von Gebirgsjägern auf der griechischen Insel Kephallonia im Herbst 1943, dessen Opfer nicht etwa Griechen waren, sondern Italiener. Sie hatten genug vom Krieg, auch genug von dem einzigen Italiener, den Hitler seiner Komplizenschaft für würdig hielt. Deshalb waren sie über Nacht aus Verbündeten zu Feinden geworden und wurden dementsprechend behandelt.

Kamen italienische Soldaten auf jener Insel mit weißen Fahnen einen Hügel herunter, wähnend, sie hätten nun den Krieg hinter sich, hatten sie nicht einmal mehr Zeit zu begreifen, dass sie sich geirrt hatten, denn sie wurden mit Maschinengewehren, wie sagte man, hingemäht.

Auf jener Insel waren es schätzungsweise 5.000 der Bundesgenossen von gestern, die mit ihrem Leben dafür bezahlen mussten, dass sie ihre Waffen ablegten und zu ihren Familien nach Hause gehen wollten. Soweit italienische Frauen und Kinder auf der Insel waren, wurden sie ebenfalls ermordet. Die Kinder dadurch, dass man ihnen benzingetränkte Watte in den Mund stopfte und anzündete.

Die Verbrechen auf Kephallonia seien durchaus nicht, schreibt die SZ, die erste Bluttat der Gebirgsjäger gewesen. "Vermutlich seien sie als Kriegsverbrecher einzustufen" - auch dieser erstaunliche Satz steht in der SZ.

Nach dem Krieg ist das große Schweigen über Verbrechen ausgebrochen, die zuvor als Heldentaten angesehen worden waren. Es wurde zur Taktik der öffentlichen Moral.

Der SZ-Artikel "Ermordete Frauen, verbrannte Kinder", der erstmalig in Deutschland das Wüten der Wehrmacht auf Kephallonia schilderte, war für den Berliner Korrespondenten der römischen Tageszeitung Repubblica Anlass, mich anzurufen. Ich sagte ihm, dass der Artikel in der SZ ein atypisches Ereignis im aktuellen deutschen Journalismus ist.

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