„Er ist halt instabil“

Provinz-Krimi Nach einem Ausraster wurde Johannes Schäfer aus Wien strafversetzt in die Provinz, treu folgen ihm die Leser. Was macht Georg Haderers Kommissar so beliebt?
Ausgabe 47/2014
Alle Bilder dieses Spezials stammen aus der Fotoserie „Vele“ von Tobias Zielony*
Alle Bilder dieses Spezials stammen aus der Fotoserie „Vele“ von Tobias Zielony*

Foto: Tobias Zielony

Mit dem Karikaturisten Gerhard Haderer ist Georg Haderer weder verwandt noch verschwägert. Er ist aber auch so einer von der Sorte Österreicher, die den galligen Humor als Markenzeichen pflegt.

Georg Haderer zeichnet Gesellschaftsporträts in seinen Kriminalromanen. Sein Held ist der schwermütige Polizeimajor Johannes Schäfer, der im Mühlviertel auf ganz eigenwillige Weise für Gerechtigkeit sorgt. Vor kurzem ist Georg Haderers Sterben und sterben lassen erschienen, davor schrieb er Es wird Tote geben. Für einen Kriminalroman, in dem es ja immer Tote geben muss, der optimale Titel, findet der 41-Jährige im Gespräch. Am liebsten hätte er einfach so weitergemacht: „Es wird Tote geben 2, Es wird wieder Tote geben, Es wird noch mehr Tote geben, Es wird Tote geben reloaded.“

Vollgepumpt mit Pilzen

Sterben und sterben lassen beginnt mit einem morgendlichen Schuss in den Wald, abgefeuert von einem stocknüchternen Jäger, der einen Jogger für ein Wildschwein hält. Die Witwe, eine ehrgeizige Politikerin, trauert nicht wirklich. Ihr Onkel ist Luis Strommer, der örtliche Großunternehmer, der auch Geschäfte mit dem hoch verschuldeten Todesschützen gemacht hat. Tatort: das fiktive Provinznest Schaching, über Jagdunfälle regt man sich hier nicht weiter auf. Über geklaute Hortensien und brennende Papiercontainer auch nicht, dass die Friedhofsmauer mit Hakenkreuzen beschmiert wurde, wird zur Kenntnis genommen. „Der größte Aufreger in diesem besinnlichen Dorfleben ist aber“, sagt Georg Haderer, „dass ein Mörder, der 20 Jahre im Gefängnis gesessen ist und ein Mädchen umgebracht hat, aus dem Gefängnis entlassen wird und sich grad da wieder ansiedelt.“ Der Entlassene heißt Frederik Bosch und kann sich an nichts erinnern, weil er damals mit halluzinogenen Pilzen vollgepumpt war. Er hat den Mord nie gestanden, seine Revisionsverhandlung wurde von Luis Strommer hintertrieben. Strommer wohnt ganz in der Nähe des damaligen Tatorts und hat einen Sohn mit Down-Syndrom, der damals ein Teenager war. Wer jetzt denkt, er höre die Nachtigall singen und wisse schon Bescheid, der irrt. Nichts ist, wie es scheint, sondern viel schlimmer, weil bitterböse lebensecht verwoben und verschroben. Georg Haderer sagt: „Mein Ziel ist es, das Böse in das Innenleben der Bevölkerung zu legen, also die Aggression, die in der Familie stattfindet. Also eigentlich die klassischen Gegenwartsspannungsfelder, die Hass erzeugen.“ Wobei dem Autor schwarz-weiß als Krimistruktur viel zu einfach ist. Spannend sind die Grauzonen.

Stichwort Nachtigall. Es ist die Amsel, die in Major Schäfers vernachlässigtem Garten hüpft wie überhaupt allerlei Tiere – ein Teil davon gehört ins Reich der Fabel, weil Autor Haderer auf La Fontaine und Aesop steht. Überhaupt stecken im Text viele, durchaus hochklassige literarische Anspielungen. Sein Handwerk beschreibt Haderer auf die klassische Art: „Ein guter Krimi hat einen klassischen Spannungsbogen wie im griechischen Drama, der ist ja schon bei Aristoteles beschrieben worden. Erst tritt der Konflikt auf, beim Krimi ein Verbrechen, dann kommt eine kleine Verzögerung, wo die Gegend und die Figuren inszeniert werden, dann muss die Spannung langsam aufgebaut werden, dann kommt’s zum Höhepunkt, dann zur Auflösung, Katharsis.“ Und genauso klassisch spielt sich das unter anderem in Schäfers Garten ab, für den ehemaligen Landschaftsgärtner Haderer mitnichten ein Nebenschauplatz: „Der Garten mit dem Lagerfeuer ist ja eigentlich ein Kultplatz. In dem passiert was.“ Und beinahe hätte es auch Tote gegeben in diesem weihevollen Garten.

Für Polizeimajor Schäfer ist er aber auch ein Rückzugsort, das Landleben tut ihm gut. Er ist Ende 40 und wirkt auf den ersten Blick eher bieder. Georg Haderer beschreibt seinen Helden so: „Medizinisch würde man sagen, er hat einen Hang zur Sucht. In Österreich sagt man, er trinkt ganz gern. Aber als Trinker ist er in Österreich Durchschnitt.“ Nach einem Ausraster im Dienst und anschließendem Burn-out in einem vergangenen Band wurde er von Wien nach Schaching strafversetzt. „Er ist ein Zerrissener, ein Maniker und psychisch instabil.“ Seine größte Stärke aber ist „sein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn“, weiß der Autor, „wenn er eine Spur findet, ist er wie ein Bluthund, aber manchmal reagiert er zu emotional und geht dann nicht den normalen Dienstweg“. Der Weg, den er dann geht, gestaltet sich unterhaltsam, weil er eben nicht zertrampelt wurde, sondern Wendungen hat. Viele treue Leser haben auch gelitten mit Johannes Schäfer, der so sehr mit seinem Sosein hadert, aber nun scheint ja Besserung in Sicht zu sein.

Seit 2009 erfindet Georg Haderer die Fälle für seinen Ermittler, Sterben und sterben lassen ist der sechste Fall. Zum Schreiben kam Haderer über Umwege, er brauchte wohl erst eine bestimmte Dosis Berufs - und Lebenserfahrung, um Glaubwürdiges zu verfassen. Als Teenager wollte er Polizist werden, fiel aber bei der Musterung durch.

Stärker im Abgang

Danach lernte er Schuhmacher und wäre auch fast dabei geblieben. Denn von allen Jobs, die er auf dem Weg zum Krimiautor ausgeübt hat, Barmann, Landschaftsgärtner, Skilehrer, Werbetexter, war ihm Schuster der liebste: „Das hat etwas Künstlerisches, wo am Ende des Tages was mehr oder weniger schön Erzeugtes dasteht.“ Wobei Georg Haderers Bücher ja unbedingt auch etwas künstlerisch schön Erzeugtes sind, allerdings braucht er pro Buch ungefähr ein Jahr.

Das mit dem Werbetexter hat Georg Haderer mit seinem berühmtesten österreichischen Krimikollegen Wolf Haas gemeinsam. Doch während der Salzburger Haas, dem der Tiroler Haderer übrigens erstaunlich ähnlich sieht, für griffige Slogans wie „Ö1 gehört gehört“ zuständig war, gab Georg Haderer den Spezialisten für den Fließtext. „Ich habe für Folder, wie man in der Werbung sagt, die sogenannten Longcopies geschrieben.“ Auf die Kriminalromane übertragen sind die Haas’schen Bücher um den Expolizisten Simon Brenner zwar griffiger und lustiger, der künstliche Jargon ermüdet aber auch schnell und wurde zu oft ziemlich schlecht kopiert. Georg Haderer bleibt sprachlich ohne Schnörkel. Mit dem trockenem Humor wirkt das im Abgang stärker.

Heute sieht Georg Haderer in sich den Ordnungshüter: „Als Schriftsteller sucht man halt über eine erzählte Geschichte Ordnung in eine chaotische Welt zu bringen. Als Ordnungshüter im weltlichen Sinne, der schaut, dass alles beim Rechten bleibt, dass die Bösen gefasst werden. Das ist ein idealistisches Prinzip. Gerechtigkeit gibt’s nur im Krimi.“

*Vele - Am Ort des Verbrechens

Tobias Zielony studierte im englischen Newport Dokumentarfotografie, als ihm die Idee kam, Jugendliche in Jogginganzügen aufzunehmen. „Damals, 1999, hatte ich das Gefühl, alle jungen Leute tragen diese Kleidung“, erzählt Zielony. Beim „Guardian“ fragte man: „Was ist jetzt die Geschichte?“ Und Zielony antwortete: „Na, die Jungs, die da rumhängen, nichts zu tun haben und Jogginganzüge tragen.“ Meint: Tobias Zielony ist kein Künstler, der seine Bilder auf eine stereotype Erzählung reduzieren will, auf Arbeitslosigkeit, Gewalt, das Übliche.

Über „Schrumpfende Städte“ (2004) sagt er, er habe für das Projekt in Halle/Saale fotografiert, ohne etwas von den Problemen zu wissen: Zielony findet es spannend, dass man eigentlich nie genau weiß, wo die Bilder aufgenommen wurden. Unser Krimi-Spezial illustrieren Fotografien aus Tobias Zielonys Buch „Vele“ (Spector Books 2014, 576 Seiten, 40 €) über Vele di Scampia, eine Wohnsiedlung im Norden von Neapel. In den 80er Jahren Schauplatz des Camorrakriegs, gehört der Gebäudekomplex heute zu den größten Drogenumschlagplätzen Europas und symbolisiert die Macht der Mafia in der Region.

Erla Bartmann lebt als freie Autorin für Hörfunk und Print in Landshut

Sterben und sterben lassen Georg Haderer Haymon 2014, 373 S., 19,90 €

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