Der nikaraguanische Dichter und Priester Ernesto Cardenal - er war nach dem Sturz des Diktators Somoza 1979 viele Jahre Kulturminister des Landes - hat in einem Artikel für die in Managua erscheinende Zeitung El Nuevo Diario einige Fragen zur Politik Kubas und der Debatte darüber formuliert. Gemäß unserer Ankündigung aus der Vorwoche eröffnen wir damit eine Folge von Artikeln, die sich nicht nur der Lage des Karibikstaates widmen, sondern auch dessen Wahrnehmung unter Sympathisanten und Gegnern.
Niemand kann abstreiten, dass auf Kuba eine hohe Zahl von Gefangenen unter extrem harten Haftbedingungen leidet. Für die Gefangenen gibt es weder Tag noch Nacht, sie leben in vollständiger Finsternis, denn ihre Augen sind die ganze Zeit verbunden. Auch ihre Ohren wurden zugestopft, sie werden nun in einer fast absoluten Geräuschlosigkeit und in tiefem Schweigen gehalten. Ihnen wird jegliche Wahrnehmung über den Tastsinn verwehrt, denn ihre Hände sind mit einer Art von Handschuhen umhüllt. Es handelt sich um Hunderte von Gefangenen, deren Namen nicht bekannt gegeben wurden. Man weiß nicht, was ihnen vorgeworfen wird, sie sind nicht einmal vor Gericht gestellt, geschweige denn verurteilt worden - sie haben keinen Verteidiger und sitzen eine fristlose Strafe ab. Es handelt sich um Gefangene auf Kuba, die nicht auf Anordnung Fidel Castros festgehalten werden, es sind die Gefangenen vom Präsident Bush. Sie befinden sich in individuellen Käfigen, sind in rot gekleidet, wie wir alle gesehen haben, aber man weiß nichts über sie. Da sie die Gefangenen von Bush und nicht von Castro sind, schweigt die US-amerikanische Presse über sie. Ich frage mich, ob die Europäische Union wegen dieser Gefangenen auf Guantanamo protestierte. Haben die Europäer die USA dringend aufgefordert, diese Gefangenen frei zu lassen, wie sie von Kuba die sofortige Freilassung von 75 Gefangenen gefordert haben? Ich frage mich auch, ob man auf Kuba den Terrorismus schützt - und ich antworte mit einem eindeutigen ja. Auf Kuba schützt George Bush den Terrorismus durch ein Gesetz, das Ajuste Cubano - "Kubanische Anpassung" - heißt. Es handelt sich um ein Gesetz, das nicht kubanisch, sondern US-amerikanisch ist und ausschließlich auf Kuba Anwendung findet. Nach diesem Gesetz wird jemandem, der in den USA eintrifft, nachdem er/sie ein Flugzeug oder ein Schiff entführt hat, ipso facto eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt und sofort ein Job besorgt. Normalerweise wird Kubanern kein Visum für eine Einreise in die USA gewährt, aber wenn sie es illegal versuchen, bekommen sie sogar eine Belohnung. Handelt es sich dabei um nicht eine Förderung des Terrorismus auf Kuba? Eine gängige Praxis der USA besteht darin, die Sprache zu manipulieren, indem bestimmte Wörter durch andere ersetzt werden. Das ist in der Tat eine dreiste Art zu lügen. So benutzen sie - zum Beispiel - das Wort libertar (befreien) anstatt des Wortes conquistar (erobern). Vor kurzem wurde ein Wörtchen ausgedacht, das nur für Kubaner Anwendung findet: disidentes (Dissidenten). Die eigentliche Bedeutung eines solchen Wortes ist disentir - anderer Meinung, nicht einverstanden sein. Aber das Wort disidentes verwenden die Amerikaner für diejenigen, die Verschwörungen organisieren, sich für Aufstände einsetzen und auf den Sturz der kubanischen Regierung zielen. Promover la transición - den Übergang zur Demokratie fördern - nennen sie es auch. Ich frage: Wer protestiert, wenn in irgendeinem anderen Land der Welt, das nicht Kuba ist, diejenigen gefangen genommen werden, die ihre Regierung stürzen wollen? Jüngst habe ich in einer Zeitung die Kritik an einer Entscheidung der kubanischen Regierung gelesen: Zwei chilenische Abgeordnete wollten sich im Rahmen eines offiziellen Besuches mit Dissidenten treffen. Man teilte ihnen mit, dass sie zu diesem Zweck als Touristen ins Land kommen könnten, aber nicht als offizielle Besucher. Ich frage: Würden die USA jemandem ein Visum erteilen, der es mit dem Anliegen beantragt, sich mit Dissidenten zu treffen? Ich habe auch gelesen, dass Präsident Bush einem der 75 dicidentes, die auf Kuba inhaftiert sind, einen Brief geschrieben hat, mit dem er ihm zu seinen Heldentaten gratulierte. Ist dies nicht eine Bestätigung der verbrecherischen Umsturzabsichten, die dem Kubaner vorgeworfen werden, wenn Kubas Feind Nummer 1 ihm gratuliert, obwohl er doch gerade schwer beschäftigt war, weil der Irak-Krieg auf Hochtouren lief? Etwas Unglaubliches kam in diesem Fall dazu: Der amerikanische Präsident teilte dem Kubaner mit, er und seine Ehefrau würden ihn in ihr Gebet einschließen - "Laura und ich beten weiter für Sie". Ich frage mich, wie es ankäme, wollte Fidel Castro jemandem, der in einem anderen Land wegen einer Verschwörung in Haft genommen ist, schreiben: er hätte für ihn gebetet. Mein Kommentar dazu: Wenn es um Gebete geht, würde ich eher dem Gebet von Castro als dem von Bush trauen. Meine erste Bemerkung zu dem ethischen Problem der Todesstrafe ist folgende: Es stimmt, dass in der Bibel das Gebot: DU SOLLST NICHT TÖTEN steht. Aber es stimmt auch, dass in derselben Bibel, in der dieses Gebot steht, minutiös beschrieben wird, wie die Todesstrafe angewendet werden muss bei demjenigen, der gegen das Gebot des Nichttötens verstoßen hat. Ich gehöre zu denen, die gegen die Todesstrafe sind oder genauer gesagt - ich gehöre zu denen, die es vorziehen, dass sie nicht angewendet wird. Und Fidel gehört zu denen, die so denken, wie er das in seiner Rede am 25. April erklärte, als er darstellte, warum die Todesstrafe ausnahmsweise gegen drei Kubaner verhängt wurde. Meine weitere Frage lautet: Wenn jemand - es könnte auch ein aufrichtiger Intellektueller aus der Europäischen Union sein - gegen die Hinrichtung dreier Menschen auf Kuba protestiert, die eine Entführung geplant hatten, sollte er nicht noch stärker gegen die 165 Hinrichtungen protestieren, die es in Texas gegeben hat, während Bush dort Gouverneur war? Ist es überhaupt ethisch, dass man vehement protestiert, wenn es um Kuba geht, aber überhaupt nicht protestiert, wenn es um die USA geht? Im Falle der USA kommt erschwerend hinzu, dass dort die allermeisten Hingerichteten Schwarze und in vielen Fällen sogar Minderjährige und psychisch Kranke sind. Nach dem Bericht von amnesty international gab es 2002 auf der Welt insgesamt 1.560 Hinrichtungen. Keine einzige auf Kuba. Wie viel Protest gab es wegen dieser 1.560 Hinrichtungen? Die drei Exekutionen auf Kuba und die Inhaftierung von 75 Menschen fanden unter sehr spezifischen Umständen statt und diejenigen, die ehrlich genug sind, können sie nicht ignorieren. Es handelt sich um ein Land, dem eine Invasion droht. Die Bush-Regierung hat in der Zeit, als sie Krieg gegen den Irak führte, vor der Presse erklärt, sie habe Kuba auf der Liste ihrer militärischen Ziele. Und die Kubaner, die gegen Castro sind, haben die Losung ausgegeben: Heute Irak, morgen Kuba.
Fidel Castro hat in der erwähnten Rede erklärt, in welcher gefährlichen Lage Kuba sei, und weshalb sich die Regierung gezwungen sah, drastische Maßnahmen zu ergreifen. Ich wollte gern die Rede in Managua hören, doch war das unmöglich. Sie wurde per Satellit aus Havanna übertragen, aber von jemandem gestört. Können wir vermuten, dass es die nikaraguanische Regierung war, die jene Übertragung interferierte? Ist es nicht verwerflich, einem Menschen, der weltweit Schuldzuweisungen ausgesetzt ist, nicht zu erlauben, sich im internationalen Rundfunk zu verteidigen? Dieselben, die Kuba wegen fehlender Meinungsfreiheit verurteilen, haben die Satelliten-Übertragung der Rede seines Regierungschefs gestört. Und dieselben, die Kuba der Menschenrechtsverletzungen beschuldigen, haben zu jener Zeit im Irak eine der größten Menschenrechtsverletzung begangenen, die es in der Welt seit Hitlers Zeiten gegeben hat. Diejenigen, die Kuba wegen drei Hinrichtungen verurteilen, zerstören Bagdad, wie es seit der Invasion der Mongolen im 13. Jahrhundert nicht zerstört wurde. Sie erklären sogar, notfalls Gleiches anderen Ländern - einschließlich Kuba - anzutun. Meine Fragen sind einfach die eines Zeitungslesers.
Übersetzung: Margarita Bonilla Lück
Leicht gekürzte Fassung aus El Nuevo Diario, 25. Juni 2003
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