Statur und Charisma

Monopol An Fidel Castros faszinierender Persönlichkeit kommt kein Biograf vorbei. Eine Sammelrezension

Nur selten in der Geschichte hat ein einziger Politiker ein Land so gründlich umgekrempelt wie Fidel Castro: Kuba kehrte der Hegemonialmacht USA den Rücken, integrierte sich bis zu dessen Zusammenbruch in den sozialistischen Block, und es wurde zum Einparteienstaat ohne bürgerliche Freiheitsrechte, in dem Privateigentum und -initiative auf ein Minimum reduziert sind. Schulbildung und Gesundheitsversorgung für alle Bürger können nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Kuba nicht etwa eine Umverteilung des Reichtums stattgefunden hat, sondern vielmehr die Mangelwirtschaft auf sämtliche Bevölkerungsteile ausgedehnt worden ist.

Dies gilt zumindest, seit die Sowjetunion die Insel von ihrem Tropf abklemmte, der die Menschen über lange Jahre vor Mangel, aber auch vor der Erkenntnis bewahrt hat, dass Castros Wirtschaftspolitik gescheitert ist. Zwar regte sich danach kurzfristig Unmut, doch es gelang Castro, wieder Ruhe herzustellen. Und die herrscht bis heute, obwohl er inzwischen nur noch einfacher Parlamentsabgeordneter ist und, inzwischen fast 82 Jahre alt und weitgehend ans Krankenbett gefesselt, seinem Bruder Raúl die Macht übertragen hat.

Opposition ist Subversion

Nicht er, sondern die Revolution hat Kuba verändert, betonte Castro selbst immer wieder. Und für eine kurze Zeit nach dem Sturz des Diktators Fulgencio Batista in der Silvesternacht 1959 mag dies auch stimmen, als viele der Männer und Frauen, die mit Fidel Castro in der Sierra Maestra gekämpft oder für Unterstützung seiner Guerillatruppe gesorgt hatten, noch an seiner Seite standen und teilhatten an den Veränderungen. Bevor Camilo Cienfuegos unter ungeklärten Umständen mit einem Flugzeug abstürzte und Ernesto "Che" Guevara das Land verließ. Bevor so mancher einstige Mitstreiter - wie Huber Matos, Eloy Gutiérrez Menoyo oder die Arcos-Brüder - hinter Gittern verschwand, weil sie eine andere Meinung vertraten.

Die kubanische Revolution - das war sehr bald nur noch Fidel Castro. "Opposition ist Subversion. Wer die Revolution verrät, verrät das Land. Seine Position an der Spitze des Staates ist unangreifbar. Die Richtigkeit seines politischen Handelns wird mit einem Wahrheitsmonopol verbunden und zum Führerkult ausgebaut", schreibt Jeanette Erazo Heufelder in ihrem Buch Fidel. Ein privater Blick auf den Máximo Líder.

Bis zu seiner Erkrankung im Juli 2006 war Fidel Castro auf Kuba omnipräsent. Bei Hochwasser fasste er in Gummistiefeln mit an, er schnitt Zuckerrohr, kümmerte sich um die Zucht von Milchkühen oder um die Einführung von Hydrokulturen in der Landwirtschaft. Er vermittelte den Menschen das Gefühl, dass er ihnen bei Problemen zur Seite stand. Und immer war er Experte. Wo er sich einmischte, zogen sich die Fachleute schnell auf die hinteren Ränge zurück, oft nicht zum Wohle des Landes. Aber was der Comandante en Jefe sagte, war Gesetz. Es war nicht unbedingt richtig, aber wahr. Niemand muckte auf, wenn er behauptete, sein Land ernähre nicht nur sich selbst, sondern versorge vierzig Millionen Menschen in der Welt mit Lebensmitteln, obwohl den Kubanern der Magen knurrte. Warum versagten sie Castro nicht die Gefolgschaft? Warum gestanden sie ihm Irrtum über Irrtum zu, obwohl sie dies teuer zu stehen kam?

In den letzten Jahren ist eine Vielzahl von Büchern erschienen, die das Leben oder einzelne Lebensabschnitte des langjährigen kubanischen Staatschefs beleuchten, und die diesen Fragen nachgehen. Monokausale Antworten gibt es nicht, doch selbst kritische Autoren wie Bernd Wulffen (Eiszeit in den Tropen. Botschafter bei Fidel Castro) bescheinigen ihm, dass er "Statur und Charisma" besitzt. Erazo Heufelder zitiert eine frühere Freundin Castros: "Wenn Fidel eine Reise um Mars plant und Sie keine Lust haben zum Mars zu fahren, halten Sie sich von ihm fern! Sonst kann es passieren, dass Sie sich bald auf dem Weg zum Mars wiederfinden."

Das Drama um Elían

Normalerweise fürchten Politiker Krisen, nicht so Fidel Castro, er wuchs daran. Krisen gaben ihm die Gelegenheit, sein Charisma auszuspielen, so Heufelder. Das Drama um den kleinen Elían González ist nur ein Beispiel dafür. Als der Junge im Jahr 2000 von seinen Verwandten in Miami festgehalten wurde, stellte sich Castro an die Spitze der Kampagne zur Rückgabe Elíans an den Vater auf Kuba, das Volk schloss hinter ihm die Reihen, und selbst die internationale Presse vergas zumindest zeitweilig, dass das Drama um Elían lediglich eine Folge Castro´scher Politik war: Die Mutter des Jungen war mit ihm gemeinsam auf einem Floß aus Kuba geflohen und dabei ertrunken, der Junge war heil in Miami gelandet.

Der Umgang mit Niederlagen entscheidet ebenfalls über die Fortune eines Politikers. "Er wird die Niederlage einfach nicht zugeben, und er wird keine Ruhe finden, solange er es nicht schafft, die Begriffe umzukehren und die Niederlage in einen Sieg zu verwandeln", zitieren Waltraud Hagen und Peter Jacobs (Fidel Castro. Eine Chronik) den kolumbianischen Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez über seinen langjährigen Freund Castro. Meist gelingt dies dem Comandante en Jefe, denn er versteht es brillant, Schuldige für seine Niederlagen zu finden. An der Notwendigkeit der Einführung der Lebensmittelrationierungen 1963 trug nicht seine Agrarreform die Schuld, sondern der Hurrikan Flora. Findet er keinen Schuldigen, tritt er die Flucht nach vorn an. "Als Tausende von Arbeitern ihre Stellen verloren, weil der Plan, ein Kraftwerk zu bauen, scheiterte, sprach Castro zweimal mit ihnen an ihrem Arbeitsplatz, womit er ihnen das Gefühl gab, ihre Wut und Frustration zu teilen", so Leycester Coltman (Der wahre Fidel Castro), der zweimal als britischer Botschafter auf Kuba Dienst getan hat. Castro verstand es laut Coltman zudem, den Menschen das Gefühl zu vermitteln, als könnten sie sich politisch beteiligen.

Hagen/Jacobs vermuten, dass die Angst vor dem Eingeständnis der endgültigen Niederlage seines Sozialismus Castros wirtschaftlichen Reformunwillen erklärt, und er lieber zur innenpolitischen Repression griff, als vom eingeschlagenen, sozialistischen Weg abzuweichen, denn "in seinem Selbstverständnis ist er immer auf der Siegerstraße geblieben."

Bernd Wulffen führt einen weiteren, vielleicht einen der wichtigsten Gründe dafür an, warum sich so wenig Widerspruch regte gegen Castro: "Die Blockadepolitik der USA gegenüber Kuba gab Castro das Argument, notwendige Veränderungen im Innern auszuschließen und sein Auslaufmodell immer neu zu rechtfertigen. Die USA haben es ihm leicht gemacht, seinem Volk ein Feindbild zu präsentieren, mit dem er die Massen hinter sich bringen konnte - auch nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch der UdSSR." Doch nicht nur das: Selbst Kubaner, die des Regimes längst überdrüssig sind, haben Angst vor einem neuerlichen, starken Einfluss der USA und der Rückkehr der dort lebenden 1,7 Millionen Exilkubaner. Sie fürchten, ihr Dach über dem Kopf zu verlieren, weil die ehemaligen Besitzer und heutigen US-Bürger es für sich reklamieren könnten.

Der große Manipulator

Doch vor allem fürchten sie eine Rückkehr zu den politischen Verhältnissen vor der Revolution, als Schwarze diskriminiert wurden, Kleinbauern sich von paramilitärischen Banden der Großgrundbesitzer tyrannisieren lassen mussten und Gesundheit und Bildung für Arme unbezahlbar waren. Vom CIA unterstützte Terroranschläge rechtsextremer Exilkubaner wie der gegen eine kubanische Linienmaschine, bei der 1976 73 Menschen starben, schüren diese Befürchtungen nur, und auch die Tatsache, dass der Verantwortliche, Luis Posada Carriles, unbehelligt in den USA lebt, nimmt die Kubaner weder für die Exilgemeinde in Florida, noch für den großen Nachbarn im Norden ein, schreibt Jeanette Erazo Heufelder. Und Castro, der große Manipulator, wusste auch diese Ängste für sich auszunutzen.

Castro trifft keine Vorsorge für die Zeit nach ihm, lautete immer die Vermutung, und kaum jemand traute seinem Bruder Raúl zu, dass er von der Bevölkerung akzeptiert werden könnte. Doch inzwischen stellt sich heraus, dass Fidel sehr wohl an ein Danach gedacht hat - indem er dem Militär immer mehr Macht zukommen ließ. Er berief zunehmend Offiziere auf einflussreiche Posten und übertrug den Streitkräften enorme Macht, denn sie kontrollieren heute mindestens 65 Prozent der kubanischen Wirtschaft. In den weit über 300 von ihnen geführten, großen Unternehmen arbeiten rund zwei Millionen Menschen. Die Fuerzas Armadas Revolucionarias wickeln über ihre Unternehmen laut Schätzungen rund neunzig Prozent der Ausfuhren ab und streichen mehr als die Hälfte der Gewinne aus dem Tourismus ein. Mit anderen Worten: Castro hat dem Militär eine solide Basis dafür geschaffen, um auch die politische Macht zu übernehmen, wenn es erforderlich ist. Auch Raúl Castro gehört dem Militär an.

Ein Fall für die Historiker

"Es ist Zeit für eine neue Ära", fordert Bernd Wulffen mit Blick auf die USA, und ruft diese dazu auf, die fast fünfzigjährige Konfrontation zu durchbrechen. Zweifellos würde eine Neudefinition der US-Politik die Entwicklung in Kuba beeinflussen. Doch dass eine Demokratisierung Kubas die Folge sein wird, bleibt fraglich und hängt nicht zuletzt von den wirtschaftlichen Interessen der Militärs ab. Auch China steht heute als einflussreicher Handelspartner zur Verfügung. "Das Volk sehnt sich nach einem Ende der Mangelwirtschaft und wird empfänglich sein für alles, was Konsumbedürfnisse zu decken verspricht", vermuten Hagen/Jacobs und könnten damit Recht haben. Dass es allerdings nur Castros Charisma war, wie sie schreiben, das die Gesellschaft zusammenhielt, haben die letzten achtzehn Monate bereits wiederlegt. "Sehr wenige Menschen werden sich an mich erinnern", zitiert Coltman den Máximo Líder, und was kokett gemeint war, könnte sich als richtig erweisen: Es spricht heute kaum noch jemand von ihm in Havanna, seinen Zeitungskolumnen zu globalen Fragen fiebert niemand mehr entgegen. Fidel ist für die Kubaner bereits Vergangenheit, ein Fall für die Historiker.

Während Bernd Wulffen, der ab 2001 deutscher Botschafter auf Kuba war und seine Beobachtungen aus jener Zeit in einem persönlichen Essay-Tagebuch über Castro und Kuba niedergeschrieben hat, haben Coltman sowie Hagen/Jacobs klassische, gut lesbare Biographien vorgelegt. Coltman liefert eine nüchtern-sachliche, faktenreiche Darstellung. Hagen und Jacobs gehen durchaus kritisch mit Fidel um, doch in ihrer Kritik schwingt immer die Enttäuschung mit, dass sein Experiment gescheitert ist. Mit Neuigkeiten warten beide Bücher nicht auf, vielmehr stützen sie sich beide auf längst bekannte Quellen und auf ältere Biographien. Das gilt zwar auch für Jeanette Erazo Heufelder, doch sie hat eine originelle Vorgehensweise gewählt: Sie hat Castros Leben nicht durchweg chronologisch nachgezeichnet, sondern nach Stichwörtern wie Überzeugungen, Feinde oder Santería geordnet, was das Buch leicht lesbar macht. Bleibt zu erwähnen, dass kürzlich ein von Valeria Manferto de Fabianis zusammengestellter, ausführlicher Bildband erschienen ist, dessen ausgezeichnete Fotos Castros Leben wiederspiegeln, die vor allem von einem zeugen: Ganz gleich, wo Fidel Castro auftrat - er verstand es, alle Augen auf sich zu lenken.

Leycester Coltman Der wahre Fidel Castro: Biographie" target="_blank">Der wahre Fidel Castro. Biographie. Aus dem Englischen von Jens Knipp. Artemis Winkler, Düsseldorf/Zürich 2005, 464 S., 14,95 EUR

Jeanette Erazo Heufelder Fidel - Ein privater Blick auf den Maximo Lider(!)." target="_blank">Fidel Fidel - Ein privater Blick auf den Maximo Lider(!)." target="_blank">Ein privater Blick auf den Máximo Líder. Eichborn, Frankfurt a.M. 2004, 394 S. (vergriffen)

Waltraud Hagen/Peter Jacobs Fidel Castro. Eine Chronik" target="_blank">Fidel Castro. Eine Chronik. Verlag Neues Leben, Berlin 2006, 192 S., 12,90 EUR

Valeria Manferto de Fabianis (Hrsg.) Fidel Castro. Ein Bildportrait des Máximo Líder. White Star Verlag Wiesbaden 2007, 271 S., 29,95 E EUR

Bernd Wulffen Eiszeit in den Tropen. Botschafter bei Fidel Castro" target="_blank">Eiszeit in den Tropen. Botschafter bei Fidel Castro, Ch. Links, Berlin 2006, 320 S., 19,90 EUR

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