Tatjana sitzt vor dem Personalchef. Nervös fingert sie an ihrem Ring herum und beantwortet Fragen über ihren Traumjob Bankkauffrau: Was ihr an dem Job gefallen würde, warum sie gerade bei dieser Bank arbeiten möchte, welche Erfahrungen sie gesammelt hat. Negative vor allem: Neunzig Absagen musste die junge Aussiedlerin bereits hinnehmen. Was bei den Bewerbungen schief gelaufen sein könnte, weiß sie nicht so recht.
Anders als im Ernstfall bekommt sie nach diesem Gespräch ein "Feedback". Denn der Personalchef ist kein Personalchef, sondern Psychologe an der Universität Bremen. Drumherum sitzen zehn Mitschüler der Pestalozzi-Schule, die sagen, was gut und was schlecht war an Tatjanas Auftritt. Das Projekt, an dem sie teilnehmen, soll ihnen bei der J
bei der Jobsuche helfen.Es gibt viele Gründe, warum Jugendliche auf dem angespannten Arbeitsmarkt straucheln: Armut, Sprachprobleme, Lernschwierigkeiten, schlechte Noten, der versiebte Hauptschulabschluss, die abgebrochene Lehre. Dazu gesellen sich nicht selten psychische Schwierigkeiten. Viele verabschieden sich in eine Fantasiewelt voll unrealistischer Vorstellungen.Zwei Jahre lang tüftelten Psychologen am Zentrum für Rehabilitationsforschung der Universität Bremen an einem Ausweg aus dieser Sackgasse. Normalerweise erarbeiten Gert Jugert und seine Kollegen Therapien für verhaltensgestörte Kinder und Jugendliche. Um Jugendlichen den Einstieg ins Berufsleben zu erleichtern, entwickelten sie das Programm Fit For Life, finanziell unterstützt von Bund und EU. Fit For Life soll das Sozial-, Lern- und Arbeitsverhalten der Jugendlichen verbessern und sie damit vor sozialer Desintegration bewahren. Wie das funktioniert, erklärt Projektleiter Jugert: "Die Schüler lernen, die eigenen Fähigkeiten realistisch einzuschätzen, mit Lob und Misserfolg umzugehen und mit anderen zusammenzuarbeiten." Ein stabiles Selbstbild, Initiative und Kooperationsfähigkeit sind die Ziele. Berufliche Schlüsselqualifikationen also, die als "soft skills" in kaum einer Stellenanzeige fehlen. Entsprechend sind die Module des Programms zusammengestellt: Motivation, Selbstsicherheit, Kommunikation, Körpersprache, Lebensplanung, Beruf und Zukunft, Konflikttraining, Lob und Kritik, Einfühlungsvermögen.Damit bekommen die Schüler etwas an die Hand, was für Manager, Politiker und Angestellte vieler Berufe seit Jahren selbstverständlich ist: ein "Coaching", also Beratung und Training.Bis sie allerdings rundum motivierte, offene und kooperative Mitarbeiter sind, müssen die Schüler eine Menge "Psychokacke" mitmachen. So jedenfalls empfinden viele das Training. Über Probleme, Ängste und Versagen zu sprechen, steht bei Jugendlichen nicht besonders hoch im Kurs, klingt nach "Weiberkram". Wie nehmen mich andere wahr? Wo bin ich unsicher, aufbrausend oder verletzend? All diese Diskussionen sind ein Stück Selbstentblößung und "gar nicht cool". Das kostet Überwindung. Meistens reden die Mädchen, die Jungs manipulieren an Handys herum, schauen betreten zu Boden und hüllen sich in hartnäckiges Schweigen."Die brauchen einfach Zeit", sagen die beiden Psychologen, die das Training leiten. "Manche tauen erst nach vielen Wochen auf, wenn sie die Gruppe besser kennen." Sind die anfänglichen Widerstände aber erst einmal abgebaut, reden die Jugendlichen auch über Gefühle, üben mit zunehmendem Interesse, eigenes und fremdes Verhalten wahrzunehmen, zu beurteilen - und zu verändern. Damit vor allem Schulabbrecher, für die alles Schulische "einfach Scheiße" ist, keine Berührungsängste mit dem Training entwickeln, ist das Ganze locker und handlungsorientiert gehalten. Nichts soll an trockene Wissensvermittlung erinnern. Dabei helfen Rollenspiele, Collagen, Zeichnungen und Videoaufnahmen. Die eigene Lebensplanung beispielsweise wird Schritt für Schritt einmal durch den ganzen Raum abgeschritten. Bei jedem Schritt überlegt Marius, wie er sich jetzt fühlt und was er als nächstes erreichen möchte. Selbst der hartnäckigste unter den Schweigern wird bei dem Spiel gesprächig. Immer wieder wird das Erlebte und Beobachtete auf die Arbeitswelt bezogen. Kritik wird ausschließlich konstruktiv geübt. "Viele Jugendliche müssen sich überhaupt erst über ihre Stärken klar werden, bevor sie darüber nachdenken können, wie sie die im Berufsleben einsetzen können", erzählt Jugert. Hier greift die normale Berufsvorbereitung zu kurz, weil sie die Persönlichkeit der Jugendlichen außen vor lässt.An zahlreichen Schulen in Bremen und Niedersachsen wurden im vergangenen Jahr Testkurse gemacht, mit insgesamt fast 400 Schülern. Mit einigem Erfolg, wie Jugert resümiert: "Auch wenn zunächst viele über ihren langen Schatten springen müssen, es lohnt sich." Die Bremer Wirtschafts- und Sozialakademie der Angestelltenkammer setzte den Kurs ein. Ergebnis: Die Schüler bewerteten sich nach dem Training als selbstsicherer und weniger aggressiv - und sie waren es auch in den Augen ihrer Lehrer. Die attestierten ihnen außerdem mehr Initiative und bessere Fähigkeiten bei der Lösung von Problemen. Ingrid Schumann, die arbeitslose Jugendliche ein halbes Jahr lang trainierte: "Unsere Jugendlichen stecken in einer Art Vakuum zwischen Schule und Lehre. Die profitieren sehr von dem Training." Zwei ihrer Kollegen sind bereits zu Trainern ausgebildet.Überdurchschnittlich profitieren übrigens Mädchen von dem Programm. Denn sie sind von Anfang an offener, interessierter und engagierter. Eventuell wird es später für Mädchen und Jungen differenzierte Programme geben, da die Geschlechter unterschiedliche Fähigkeiten mitbringen und mit unterschiedlichen Problemen zu kämpfen haben. Damit Fit For Life möglichst viele erreicht, sollen neben Schulen auch andere Bildungsträger das Training in ihr Angebot einbauen. Über mangelndes Interesse kann Jugert nicht klagen. Angestelltenkammern, Bildungswerke, Arbeitsloseninitiativen, Lehrer und Betriebe, die mit einer zunehmenden Zahl von Abbrechern in der Ausbildung konfrontiert sind, haben bereits Interesse angemeldet. Jugert empfiehlt aber, das Training schon möglichst früh einzusetzen, da Jugendliche, die bereits auf der Straße stehen, schwieriger aufzufangen sind.Die erste und die letzte Runde eines Trainings ist das "Blitzlicht". Dabei halten die Schüler je nach Befindlichkeit eine Karte hoch: Grün für gut, gelb für so lala und rot für mies. Alle roten Karten aus der Anfangsrunde sind verschwunden.Projektleitung und Kontakt: Dr. Gert Jugert, Prof. Dr. Franz Petermann, Tel.: 0421-218 4602.
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