Durchsuchung bei Radio Dreyeckland: Freie Radios sind nicht genug geschützt
Gastkommentar Die Durchsuchung bei Radio Dreyeckland in Freiburg ist ein Eingriff in die Rundfunkfreiheit. Ehrenamtliche Journalisten fühlen sich in ihrer Arbeit bedroht
An die 500 Menschen protestieren in Berlin Kreuzberg unter dem Motto „Wir sind alle linksunten“ gegen das Verbot der linksradikalen Internetplattform linksunten.indymedia.org (Archivbild, 27.08.2017)
Foto: Christian Mang/Imago Images
Und wieder einmal steht die Polizei in Redaktionsräumen. Am Dienstag durchsuchte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe zwei Privatwohnungen von Redakteuren und betrat auch die Redaktionsräume der Kolleg*innen von Radio Dreyeckland (RDL), dem Freien Radio in Freiburg im Breisgau. Ihnen wird zur Last gelegt, auf der Homepage des Senders einen Artikel veröffentlicht zu haben, „der eine Verlinkung eines Archivs der verbotenen Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ enthält“, wie das Polizeipräsidium Freiburg mitteilte.
Einer Beschlagnahmung der Studio-Rechner und somit die aktive Gefährdung der Aufrechterhaltung der Sendefähigkeit des Senders konnte dank der Selbstbezichtigung eines Redakteurs verhindert werden. Der Autor des Nachrichten-Artikels
ichtigung eines Redakteurs verhindert werden. Der Autor des Nachrichten-Artikels „Ermittlungsverfahren nach Indymedia Linksunten Verbot wegen ‚Bildung krimineller Vereinigung‘ eingestellt“ hatte erklärt, dass er diesen Beitrag auf seinem eigenen Rechner, der ebenfalls beschlagnahmt wurde, verfasst hat.Dieser Nachrichten-Artikel reiht sich ein in die Vielzahl von Artikeln, die sich mit linksunten.indymedia befasst haben. Vor nicht ganz einem halben Jahr ging er online, ein kurzer Text, der genau das aussagt, was die Überschrift andeutet. Bebildert ist er, wie so viele andere Artikel zu dem Thema, mit einem Foto, das den Schriftzug „Wir sind alle linksunten.indymedia“ als Graffiti auf einer Freiburger Hauswand zeigt. Wie es sich für eine Nachricht gehört, die sich um eine Internetseite dreht, ist sie mit einer Verlinkung zum Archiv dieser Seite ausgestattet. Nicht aus dem Darknet, nicht irgendwo abgegriffen, sondern das gleiche Ergebnis, was jede und jeder, der einmal nach dieser Seite im Internet sucht, als erstes angezeigt bekommt.Insgesamt ist kein großer Unterschied zu Artikeln großer Medienhäuser oder auf öffentlich-rechtlichen Webseiten zu erkennen. Doch anscheinend muss es einen großen Unterschied geben, denn von Hausdurchsuchungen bei Redakteur*innen und Redaktionsräumen anderer Medien ist bisher nichts zu lesen. Sie konnten über die zweifelhafte juristische Einordnung von linksunten.indymedia als Verein mit dem Zweck, diesen zu verbieten, berichten, ohne von der Staatsanwaltschaft als „verlängerter Arm“ des verbotenen „Vereins“ bezichtigt zu werden.Angriff auf alle ehrenamtlichen Journalist*innenIn Freien Radios arbeiten Ehrenamtliche, die aus eigenem Willen, eigener Neugierde und eigenem Verantwortungsgefühl heraus die Rundfunklandschaft mit ihren Stimmen, ihren Recherchen und ihrer Arbeit bereichern. Und das tun sie nicht in irgendwelchen Chatgruppen oder auf sogenannten sozialen Medien für ein direktes Feedback in Form von Daumen hoch oder runter, sondern öffentlich, im Radio. In guten Zeiten dient ihre Arbeit als bestes Beispiel für die Rundfunk- und Zensurfreiheit in Deutschland. In schlechten Zeiten werden sie einfach in Mithaftung genommen, für die Nachrichten, über die sie berichten, so wie jetzt in Freiburg geschehen.Das ist einerseits ein klarer Eingriff in die Rundfunkfreiheit. Redaktionsräume wurden betreten, die Behörden haben sich Einblick in Arbeitsabläufe und die Identität der Mitarbeiter*innen verschafft. Es ist aber auch als Einschüchterung zu verstehen – gegen die freien Mitarbeiter*innen, die die juristische Aufarbeitung des Falls linksunten.indymedia auch weiterhin nicht in Vergessenheit geraten lassen. Und gegen alle, die sich in Freien Radios betätigen, wenn nicht sogar gegen alle Journalist*innen.Denn Hausdurchsuchungen sind auch als Strafe zu verstehen. Ein Eingriff in die Privatsphäre. Die Beschlagnahmung von Smartphones und Computern ist in einer digitalen Gesellschaft eine Strafe in sich, ein Entzug des digitalen Ichs. In großen Medienhäusern mit schlagkräftigen Rechtsabteilungen und bereitgestellten Arbeitsrechnern und -Smartphones ist dieser Eingriff schon massiv, in Freien Radios ist er als Angriff auf alle ehrenamtlichen Journalist*innen zu verstehen.Wir sind nicht hinreichend geschützt!Wir, die wir meist mit unseren persönlichen Geräten arbeiten, die wir nebenberuflich und ehrenamtlich unsere Zeit für eine bessere mediale Ausleuchtung der Gesellschaft opfern, wir alle wissen jetzt: Wir sind nicht hinreichend geschützt!Wenn wir Pech haben, reicht ein vager Vorwurf aus und wir verlieren den Zugriff auf unsere Geräte, auf denen unser Leben gespeichert ist, auf denen wir unseren Hauptjobs oder unserem Studium nachgehen. Unsere journalistische Arbeit mag zwar gelobt werden, aber sie kann zu einem unkalkulierbaren Risiko für unser berufliches und privates Leben werden.Was sollen wir also denjenigen sagen, die in unsere Radios kommen, um sich zu beteiligen? Denjenigen Journalist*innen, die vor Zensur und Verfolgung in ihren Ländern geflohen sind und in Freien Radios die ersten niedrigschwelligen Anknüpfungsversuche in der deutschen Medienlandschaft wagen? Den Menschen aus allen gesellschaftlichen und Bildungs-Milieus, die das Ehrenamt im Radio wählen, um die mediale Verengung auf Kontroversen mit ihren Perspektiven aufzubrechen? Sollen wir sie ermuntern, sich selbst ins Risiko zu bringen?Aufgeben werden wir nicht. Wir haben gesehen, wie es den Freien Radios in Ungarn erging, wie die Rundfunkfreiheit in vielen Ländern der Welt eingeschränkt wurde und wird. Wir wissen, dass unsere Arbeit wichtig ist. Wer ein Problem damit hat, dass über Probleme berichtet wird, ist meist selbst das Problem. Daher fordern wir:Die sofortige Einstellung des Ermittlungsverfahrens, das zur Hausdurchsuchung geführt hatDie sofortige Herausgabe aller beschlagnahmten GegenständeDie Löschung aller bereits kopierten Daten im Beisein von durch den BFR zu benennenden FachleutenDie vollumfängliche Entschuldigung seitens der Staatsanwaltschaft Karlsruhe
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