Vielfach war in den letzten Wochen von der „Kohlepartei“ SPD die Rede. Bei einem Blick ins Grundsatzprogramm der SPD kann man sich nur die Augen reiben. Im Hamburger Programm steht: „Unser Ziel ist ein solares Energiezeitalter“ (2007). Und dieser Anspruch ist keine Theorie geblieben. Gerade die Praxis der Energiewende ist sozialdemokratisch geprägt. Die SPD ist die Mutter der dezentralen Energiewende, und zwar mit einer langen Tradition, die bis vor die Gründung der GRÜNEN reicht. In Regierungsverantwortung steht die SPD mit ihrem Vorsitzenden, Energieminister Gabriel, nun vor einer Bewährungsprobe. Sie hat die Chance, die Energiewende zum Erfolg zu führen und die mit ihr verbundenen Chancen zu ergreifen.
Willy Brandt – Vordenker der Energiewende
Ende der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts leitete der damalige SPD-Vorsitzende Willy Brandt die Nord-Süd-Kommission der Vereinten Nationen, an deren Ende der wegweisende „Brandt-Report“ stand. Brandt hat die Abhängigkeit vom Erdöl als eine der größten Gefahren für die Weltwirtschaft bezeichnet. Dass diese Sorge begründet ist, zeigt sich schon heute an der dramatischen Entwicklung des Ölpreises. Ausgaben für fossile Energieimporte betrugen im Jahr 2000 noch 39 Milliarden Euro, im Jahr 2005 schon 60 und im Jahr 2012 93,5 Milliarden Euro. Damit im Zusammenhang steht die Verteuerung des leichten Heizöls von 1992 bis 2012 um das Dreieinhalbfache. Für die wirtschaftliche und soziale Wirklichkeit in Deutschland hat dies gerade für Geringverdiener erhebliche Auswirkungen. Vorausschauend hat es der Brandt-Report für erforderlich gehalten, die hohe Abhängigkeit von zunehmend knapper werdenden, nicht erneuerbaren Energieträgern systematisch abzubauen und auf unerschöpfliche Quellen wie Solar-, Wind- und Bioenergie umzusteigen.
Im Jahr 1980 sah Brandt einige Herausforderungen für diesen Umstieg, vor allem im Hinblick auf Technologien und Kosten. Diese Mission hat die Politik in Deutschland unter maßgeblicher sozialdemokratischer Führung weitgehend erfüllt. Wir finden heute eine fantastische Ausgangslage für die Umsetzung der Energiewende vor. Dadurch konnte es das Land der Ingenieure und der Maschinenbauindustrie schaffen, erneuerbare Technologien zur Marktreife zu bringen und deren Kosten drastisch zu senken. Windkraftanlagen im Binnenland sind technologisch ausgereift und können viel Energie zu günstigen Preisen erzeugen. Im Jahr des Brandt-Reports wäre diese Nachricht genauso eine Sensation gewesen wie der Durchbruch der Solartechnologie. Die Kosten für Solarmodule lagen zu Zeiten des Brandt-Reports bei 30 Dollar pro Watt und heute liegen sie bei 0,75 Dollar pro Watt. Das bedeutet eine Verbilligung um das 40-fache! Der Neubau von Photovoltaikanlagen ist heute günstiger als der Neubau von Kohlekraftwerken.
Die Brücke ins Solarzeitalter bauen
Trotz der schwierigen technologischen und wirtschaftlichen Aussichten für Erneuerbare Technologien sagte Willy Brandt im Jahr 1980, gewendet an seine Politikerkollegen, dass es eine weltweite Herausforderung an ihre Führungsqualitäten sei, langfristige Energiealternativen bereitzustellen. Er könnte stolz sein auf die jüngere Geschichte seiner Partei. Es kommt nicht so oft vor, dass Parteien ihre Wahlversprechen konsequent einhalten. Anders die SPD beim Thema Energiewende. In ihrem Wahlprogramm „Arbeit, Innovation und Gerechtigkeit“ (1998) hat sie markig angekündigt: „Wir wollen die Brücke ins Solarzeitalter bauen. Das ist unsere Vision für das 21. Jahrhundert.“ Damals haben dies nur wenige ernst genommen. Gesagt, getan – versprochen, gehalten: Die SPD-Bundestagsfraktion und die Bundesregierung haben die großen Weichen zur Erfüllung der Wahlversprechen schon in den ersten beiden Regierungsjahren im Jahr 2000 gestellt: das 100.000-Dächer-Solarstrom-Programm und das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Diese Maßnahmen sind bis heute das Fundament für den Erfolg der dezentralen Energiewende. Und sie standen schon im SPD-Wahlprogramm 1998: „Der Anteil der regenerativen Energien an der gesamten Energieversorgung soll schrittweise erhöht werden. Dazu gehören faire Einspeiseregelungen für Strom aus erneuerbaren Energiequellen. Die industrielle Massenfertigung für moderne Solartechnologien muß ausgebaut werden. Wir werden ein 100.000-Dächer-Programm initiieren und den Export der Solartechnologie in Entwicklungsländer besonders unterstützen.“ Innerhalb weniger Jahre hat es die SPD in Parlaments- und Regierungsverantwortung tatsächlich geschafft, Fundamente und Pfeiler der Brücke ins Solarzeitalter zu bauen. Dank ihrer Politik sind die Technologien heute ausgereift und die Kosten massiv gesunken. Nun muss das Bauwerk fertig gestellt werden. Mit anderen Worten: Der vom Brandt-Report 1980 geforderte „Umstieg auf andere Energiequellen in sehr naher Zukunft“ kann nun zügig vollendet werden, weil das Fundament der Energiewende bereits errichtet wurde; marktreife und kostengünstige Technologien stehen zur Verfügung. Nun hat die SPD mit dem neuen Energieminister Sigmar Gabriel und der sozialdemokratischen Führung im Bundesrat alle Mittel in der Hand, das Werk beschleunigt und unumkehrbar zum Erfolg zu führen.
Antreiber Hermann Scheer
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat bei der Gedenkveranstaltung zum einjährigen Todestag von Hermann Scheer im Willy-Brandt-Haus (2011) herausgestellt, dass Scheer die SPD erfolgreich dazu angetrieben hat, die Energiewende zu ihrem Thema zu machen. In den von ihm eingebrachten Meilensteinen wie dem 100.000-Dächer-Programm für Photovoltaik und dem Erneuerbare-Energien-Gesetz lägen „enorme Chancen, die längst wirtschaftliche Früchte tragen“, sagte Sigmar Gabriel in seiner Rede. Und weiter sagte er, dass Hermann Scheer Deutschland als den Beweis anführen würde, „dass die Energiewende eben nicht Verzicht und Verlust bedeuten, sondern die Basis für künftige Prosperität, für Wohlstand ist.“
Als Bundesumweltminister der ersten großen Koalition von Angela Merkel hat Sigmar Gabriel von 2005 bis 2009 selbst dafür gesorgt, die Brücke ins Solarzeitalter tragfähiger zu machen. Im SPD-Wahlprogramm 1998, zu Beginn der über ein Jahrzehnt dauernden sozialdemokratischen Regierungsbeteiligung, stand das Ziel des Ausbaus der „industriellen Massenfertigung für moderne Solartechnologien“. Diesen Sprung hat die Photovoltaik tatsächlich erst in der Amtszeit von Sigmar Gabriel durch eine kluge Fortführung des EEG geschafft. Am Ende seiner Amtszeit stand der Durchbruch: der Grundstoff Silizium wird seither eigens für die Photovoltaik-Industrie hergestellt. Erst dadurch ist die Grundlage dafür gelegt worden, die von Brandt 1980 beschriebene Kostenproblematik zu lösen. Trotz zwischenzeitlicher Fehlsteuerungen der schwarz-gelben Bundesregierung, die gerade zu einem Abwürgen des Ausbaus der Solarenergie führen, ist nun die Bahn frei für eine beschleunigte Energiewende. Denn mit der Windkraft im Binnenland und der Photovoltaik stehen die im Brandt-Report angesprochenen Technologien preiswert zur Verfügung. Warum der neue Energieminister ausgerechnet jetzt auf die Idee kommt, die beiden kostengünstigsten Technologien zu deckeln, ist aus wirtschaftlichen Gründen nicht nachvollziehbar.
Neustart mit Sigmar Gabriel
Ein Neustart ist gewiss erforderlich. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat unter tätiger Mithilfe ihrer unzähligen Energiewende-Minister und nach unzähligen Volten einen völlig sinnentleerten Begriff der Energiewende zurückgelassen. Nicht Gutes für diesen Neustart lassen der Koalitionsvertrag und die Eckpunkte der Bundesregierung für eine EEG-Novelle erahnen. Diese Dokumente sind in vielen Passagen von Lamorianz und Bedenkenträgerei geprägt, anstatt die Chancen der getätigten Zukunftsinvestitionen für Wohlstand, sozialen Zusammenhalt und eine starke Wirtschaft zu begreifen. Einen ganz anderen Geist atmet das Hamburger SPD-Grundsatzprogramm (2007): „Für uns ist die Energiewende, die wir eingeleitet haben, eine Schlüsselaufgabe für das 21. Jahrhundert. Wir treiben den Wechsel von erschöpflichen zu unerschöpflichen und von schadstoffhaltigen zu schadstofffreien Ressourcen konsequent voran. Unser Ziel ist ein solares Energiezeitalter.“
Mit einer Bremsung der Energiewende würde Gabriel den heute möglichen „Umstieg auf andere Energiequellen in sehr naher Zukunft“ (Brandt) gefährden. Auf dem Weg zur Energiewende werden diejenigen Wirtschaftsteilnehmer, deren Geschäftsmodelle durch den Umstieg auf dezentrale Erneuerbare Energien in Frage gestellt werden, alles versuchen, die mit der Energiewende verbundene Systemtransformation zu behindern und auszubremsen. Mit über 350.000 Arbeitsplätzen in der neuen Energiewirtschaft zeigt sich schon heute, dass die Energiewende für die gesamte Volkswirtschaft keine Last, sondern die „größte greifbare soziale und wirtschaftliche Zukunftschance“ ist (Scheer). Wenn Gabriel mit seinem Anfang 2014 verkündeten „Neustart der Energiewende“ die kleinkarierte Verzagtheit beendet und an seine Erfolge als Umweltminister anknüpft, hat der mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattete Energieminister die große Chance, in der Tradition von Willy Brandt als Baumeister der Brücke ins Solarzeitalter in die Geschichte einzugehen.
Dr. Fabio Longo, von Beruf Rechtsanwalt, ist im deutschen Vorstand der gemeinnützigen Europäischen Vereinigung für Erneuerbare Energien EUROSOLAR e.V. aktiv, die der SPD-Bundestagsabgeordnete und Träger des Alternativen Nobelpreises, Dr. Hermann Scheer, im Jahr 1988 gegründet hat. Fabio Longo ist seit dem Todestag von Willy Brandt im Oktober 1992 Mitglied der SPD.
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