Ach ja, die Rache

Fatalismus Zülfü Livanelis Roman trauriger Roman "Katze, Mann und Tod"

Hoffnung ist ein Fremdwort für Sami Baran, die Hauptfigur des jüngsten Romans des türkischen Autors Zülfü Livaneli. Es gab sie nie in seinem Leben. Nicht einmal als er sich jung, gesund und temperamentvoll in seiner Heimatstadt Istanbul, durchs Leben schlug. Sie gibt es jetzt auch nicht, wo er sich alt, krank und erschöpft im kalten schwedischen Exil in einem Krankenhaus aufhält. Hoffnung war ein abstraktes Gefühl, das sich nie in seiner inneren Welt entwickelt hat. Er kann ohne sie tagelang in seinem einsamen Exilleben in einem abgenutzten Sessel sitzen und nur seine kränkelnden Augenlider in einem Spiegel betrachten. Draußen ist kaum etwas zu erleben: Menschenleere, geometrisch verlaufende Straßen, Betonbauten, nassgrauer Himmel, tief hängende Wolken. In diesem endlosen Grau vergisst Sami die Farbe des Lebens, versinkt im dunklen Blau seiner Lider und schaut verständnislos auf die Menschen, die durch ihr sinnloses Tun hoffnungsvoll versuchen, das Vergängliche zu verewigen.

So etwas hat auch sein Schriftstellerfreund im Sinn, der über ihn und sein Leben ein Roman schreiben will. "Er war sehr dick und sah aus, als hätte er die Elefantiasis ... Es war keine wirklich enge Freundschaft, und ich habe ihm nie vollständig vertraut. Um einen interessanten, erfolgreichen Roman zu schreiben, hätte er mich vielleicht verraten oder eine Menge Lügen über mich erfinden können."

Der namenlose Schriftstellerfreund Samis kann aber gar keine Lügen über ihn und sein Leben verbreiten. Denn Sami schreibt selbst als Hauptperson nach jedem vom Autor verfassten Kapitel seine "handschriftlichen Notizen", in denen er seine Ausführungen kommentiert. Nur unter der Bedingung, den Roman vor der Veröffentlichung zu lesen, erklärte sich Sami einverstanden, dem Schriftstellerfreund seine Geschichte zu erzählen. Er will den Autor praktisch "zensieren", die Stellen streichen, die ihm nicht "angebracht scheinen."

So baut der auch als Komponist und Sänger bekannte Livaneli eine zweite Ebene in seinem Roman ein, auf der die intimste Sphäre seiner Hauptfigur dargestellt wird: Samis Träume und Sehnsüchte, Wünsche und Bedürfnisse. Und, ach ja, seine Hoffnungen, die einst in Enttäuschungen umgeschlagen sind und ihn in die Tiefe der Verzweiflung gestürzt haben. Seitdem weicht er sanft der Realität aus und lehnt jede Grundlage ab, auf der eine gesicherte Existenz aufgebaut wird: Arbeit, Freundschaft, Familie, Liebe. Und, ach ja, Liebe. In Livanelis Roman geht es um ihren Verlust und wie dieses seelische Defizit einen Menschen in das eisige Niemandsland der Einsamkeit treibt.

Seine Geschichte ist kurz: Samit, der in der Türkei politisch verfolgt war, baut in einer vereisten Nacht einen tödlichen Unfall mit einem Hirsch, landet in einer Stockholmer Klinik und trifft dort auf einen alten, schwerkranken, aus der Türkei stammenden Mitpatienten. Der gebrechliche Türke ist kein weiser Greis. Er war einst ein mächtiger Beamter und erteilte den Befehl zur Erschießung von Samis Geliebter Filiz und zu seiner Folterung im Gefängnis. Weder Filiz noch Sami waren gegen das Regime politisch aktiv. Dass Filiz in Samis alten Volkswagen, neben ihm erschossen wurde, war ein Zufall. Sie waren an einem eisigen Tag im Januar unterwegs, um für ihre Hochzeit Gardinen zu kaufen. Plötzlich fing es mit einer blinden Schießerei an, an derer Ende "die Hälfte von Filiz´ zerschmetterten Schädel wegflog." Das ist das einzige Bild, das sich in Samis Gedächtnis eingebrannt hat. Sonst entsinnt er sich an nichts. Spätestens hier weiss man, warum Sami in Sinnlosigkeit verfallen ist und sich von allen bürgerlichen und konventionellen Sicherheiten entfernt.

Getreu dem Kontext des ersten Romans des UNESCO-Botschafters Livaneli Der Eunuch von Konstantinopel lebt auch sein zweites Buch von einer Aura des Fatalismus. In diesem Roman fungiert die als unabänderlich hingenommene Macht des Schicksals quasi als Treibmittel der Handlung. In seinem ersten Buch ist sogar der osmanische Padischah machtlos gegen das Schicksal. Unmittelbar nach der blutigen Thronbesteigung mustert er die Würdenträger des Palastes und fragt: "Wen von euch werde ich wohl als Ersten umbringen?" Mit derselben Ergebenheit gegen ihr Los lässt seine Mutter ihren Sohn einmauern. Der Offizier im Roman gibt zu, dass nach seinem Befehl eine Kugel Filiz´ Kopf durchbohrte, kommentiert es dann fatalistisch "Was passiert ist, ist passiert. Wer einmal gegangen ist, den können wir nicht zurückholen." Ihn zu rächen, ist aber zuweilen möglich. So plant Sami mit einer aus Chile geflüchteten Freundin den kranken Schreibtischtäter umzubringen. Der Tatort ist der eisigen Landschaft Schwedens entsprechend ein faszinierender zugefrorener See, in dem der Alte lebendig begraben werden soll. Bis zum Frühling, im dem das Eis schmilzt, würde seine Leiche von den Fischen angefressen. Gelingt es ihnen den brutalen Racheakt zu vollziehen?

Spannend, schnörkellos und journalistisch erzählt der 1946 in Ankara geborene Livaneli von der Macht der Rache und deren Auswirkung auf die verwundete Psyche der Menschen. Bei ihm wird Rache gar kein so schlechtes Gefühl. Es treibt Sami aus seiner Ecke heraus, belebt ihn wieder, setzt ihn innerlich in wilde Bewegung. Er tastet sich wieder an die Welt der Gefühle heran. Es wird ihm kalt und warm, er spürt Angst, Aufregung, Liebe zu Menschen, und ach ja, er blickt hoffnungsvoll in die Zukunft.

Zülfü Livaneli: Katze, Mann und Tod. Aus dem Türkischen von Wolfgang Riemann. Unionsverlag, Zürich 2005, 192 S., 19,90 EUR


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