Auch fast vier Monate nach der Präsidentenwahl im Iran sind die Chefstühle in noch vier wichtigen Ministerien wie Öl und Entwicklung oder Bildung unbesetzt. Wegen des internen Kampfes zwischen den unterschiedlichen Flügeln der Hardliner in der Regierung lehnt das von konservativen Abgeordneten dominierte islamische Parlament die Ministerkandidaten des ultrakonservativen Staatspräsidenten, Mahmmoud Ahmadi Nedjat, immer wieder ab. Dennoch bemühen sich die anderen Ministerien unermüdlich, den Wahlversprechungen ihrer Chefregierung gerecht zu werden. Der Kulturminister Mohammad Hosain Saffar Harand etwa begann unmittelbar nach der offiziellen Amtsübernahme, seine Mitarbeiterinnen aus allen untergeordneten Behörden des Ministeriums für die Kultur und die islamische Führung zu verbannen. Laut einer Verordnung, die seit einem Monat an der "Schwarzen Pinnwand" des Ministeriums aufgehängt ist, müssen die "weiblichen Kolleginnen, nach Anweisung des verehrten Ministers, vor 18.00 Uhr nach Hause gehen!" Der Grund: "Die Frauen unseres Landes müssen im warmen Hort der Familie anwesend sein und sich um die beachtliche Aufgabe der Kindererziehung kümmern."
Der Befehl des "verehrten Ministers" entspricht vollkommen dem Willen seines Präsidenten, Ahmadi Nedjat: "Der Haupttätigkeitsbereich der Frauen ist ihr Zuhause!", sagte er nach der jüngsten Präsidentenwahl zu den Frauen seiner eigenen Riege, als diese sich, nach Quotierungsregel, um die Ministerposten beworben hatten. Sich mit solchen ausgrenzenden Maßnahmen abzufinden, fällt vielen IranerInnen heutzutage ohne Humor sehr schwer. Deshalb fragen sie jeden, mit dem sie ins Gespräch kommen, ob er wisse, dass der Staatspräsident, Ahmadi Nedjat, sich bald eine neue Frisur machen lasse und den Scheitel in der Mitte tragen werde? Wenn man die Frage verneint und sich nach dem Grund erkundigt, bekommt man die dreiste Antwort: "Damit will er seine weiblichen Flöhe am Kopf von den männlichen trennen!" Mit diesem Witz stellt man auf das vermeintlich ungepflegte Aussehen des Staatspräsidenten und seine fundamentalistischen Einstellungen ab.
Dass ausgerechnet das 27-jährige islamische Regime die Heiterkeit als Teil der kulturellen Identität des iranischen Volkes gefördert hat, ist selbst ein Witz der Geschichte. Denn die islamischen Staatsmänner in Iran haben vom Beginn ihrer Machtübernahme 1997 alles Menschenmögliche getan, um im Namen der Heiligen das Wort "Freude" aus dem Wortschatz der Iraner verschwinden zu lassen. Der geistliche Revolutionsführer, Ayatollah Khomeini, kündigte unmittelbar nach dem Sturz des korrupten Schah-Regimes an: "Ab jetzt sind alle unsere Tage wie Ashora und alle unsere Städte wie Kerbella!". Mit diesem kurzen Satz verbindet das Oberhaupt der schiitischen Geistlichen, Khomeini, das 21. Jahrhundert mit dem Jahre 680, in dem das Massaker von Kerbella, einer Stadt im heutigen Irak, stattgefunden hat. Bei diesem Blutbad wurden ein Enkel des Propheten Mohammed und der zweite Imam der Schiiten Husain (626-680) von Muslimen in einem ungleichen Gefecht ermordet.
Dieses Massaker ist der Kristallisationspunkt der schiitischen Religiosität, die von einem starken Passions- und Märtyrerkult geprägt ist. Der Tag, an dem Husain und seine 72 Anhänger zu Tode kamen, trägt den Namen Ashora und ist in fast allen islamischen Ländern ein "nationaler Feiertag". Im Iran versammeln sich an Ashora alle Gläubigen in unzähligen, mit religiösen Fahnen und Parolen ausgestatteten Gruppen (Dasteh), um auf die Brust schlagend durch die Stadt zu ziehen und den Tod ihres Imams zu beweinen. Die Nichtgläubigen beteiligen sich auch häufig daran. Denn nach den Trauerstunden tritt die Happy Hour ein: Es gibt für die "Trauergäste" nach der Zeremonie ein vollwertiges Mittagessen mit Brot und Trunk gratis. Dabei darf man soviel essen wie man kann!
Um diese islamische "Trauerkultur" zu verbreiten, versuchten die Verantwortlichen der neu gegründeten "Islamischen Republik Iran" anfangs sogar einen Teil des uralten iranischen Neujahrsrituals (Chahar Shanbeh Sory), das sehr bunt und laut vonstatten geht sowie mit viel Freude, Gesang und Feuerwerk verbunden ist, abzuschaffen. Dank der deprimierten Stimmung während des achtjährigen Iran-Irak-Krieges wandelte sich das ganze Land tatsächlich in Kerbella. "Die Stimme der islamischen Republik" strahlte überwiegend abwechselnd Militärmärsche und Klagelieder zur Huldigung des unsinnigen Krieges und des Märtyrertums aus. Bis Ajatollah Khomeini 1988 den Waffenstillstand akzeptierte und damit, wie er sagte, "einen Becher voller Gift" trank, wurden besonders die Seelen der Kinder und Jugendlichen der "Märtyrergeneration" regelrecht mit der Ashora-Kultur vergiftet. Erst nach dem Tod des Revolutionsführers Khomeini 1989 wurden Musik und Schauspiel wieder erlaubt, und damit begann im Iran ein kultureller Heilungsprozess. Als Mohammad Khatami im Mai 1997 mit einer überwältigenden Mehrheit von 70 Prozent als Staatspräsident gewählt wurde, war in der Weltöffentlichkeit nicht nur von seinen demokratischen Wahlkampfthemen wie Rechtstaatlichkeit, Frauenrechten und Meinungsfreiheit die Rede, sondern auch von seinem anmutenden Lächeln und seinem eleganten Aussehen.
Mittlerweile hat auch das geistliche Oberhaupt des Landes, Ayatollah Khamenie, begreifen müssen, dass man mit finsterer Aufmachung und Strenge die "islamische Kultur" und deren "heilige Werte" nicht verbreiten kann: Kurz nach der Vereidigung des Staatspräsidenten Ahmadi Nedjat forderte er das "Gebet-Komitee" des staatlichen Fernsehens, Jame Jam, auf, "ein fröhliches, schönes und künstlerisches Bild vom Beten (Namaz)" darzustellen. Namaz dürfe nicht mehr als eine "traurige und eintönige" Veranstaltung im Fernsehen präsentiert werden. In diesem Sinne müssen auch für den siebten Imam der Schiiten, Reza, dessen Mausoleum in der Stadt Meshed liegt, fidele Lieder komponiert werden. Gleichzeitig sollen die islamischen Feste so gestaltet werden, dass man sie von den islamischen Trauerfeiern unterscheiden kann. "Durch fröhliche Stimmung erreicht man die Jugendlichen einfacher", lautet nun die aktuelle Devise.
Ob der 52-jährige ultrakonservative Chef des Ministeriums für die Kultur und die islamische Führung, Mohammad Hosain Saffar Harandi, diese "heitere Politik" umsetzen kann, ist aber begreiflicherweise fraglich. Als Generalmajor der "Armee der Revolutionswächter" und Redakteur der ultrakonservativen Zeitung Kayhan bewies er in seiner "siegreichen Karriere" vielmehr, mit Härte und Gewalt vertraut zu sein als mit der Disziplin Humor. Mit diesen "Erfolg versprechenden Eigenschaften" will er nun sein Ministerium als "Festung der Reformer" in allen Bereichen von Kunst, Kino, Medien und Buchveröffentlichungen, die einst erneut zu blühen begannen, grundsätzlich umstrukturieren.
Dass in der Amtszeit Khatamis jährlich 38.991 Buchtitel veröffentlicht wurden, begeistert ihn nicht (Unter der Regierung Rafsandjanis waren es 14.386 Titel). Wichtig sei für den Generalmajor-Kulturminister Harandi, ob die Bücher "die Werte der islamischen Revolution wiedergegeben hätten oder nicht!" Das gilt auch für das iranische Kino und die beachtliche Präsenz der iranischen Regisseurinnen und Regisseure auf den internationalen Filmfestivals wie Tahmine Milani, Samira Makhmalbaf, Rakhschaneh Bani Etemad, Bahman Ghobadi, Madjid Madjidi, um nur einige Namen zu nennen.
In der Kunstszene verliefen unter der Khatami-Regierung die Auseinandersetzungen zwischen den Kunstschaffenden und den Hardlinern und ihren Anhängern vergleichsweise "friedlich". Vor allem weil für die Künstler die Sensibilisierung des Publikums für ihre individuellen Werke eher im Vordergrund stand als ihr politisches Engagement. So wagte beispielsweise die Bildhauerin Bita Fayyasi zum ersten Mal in den letzten 27 Jahren nach der "islamischen Revolution", kurz vor den Präsidentschaftswahlen in Iran zwölf ihrer Skulpturen auf zwei Lieferwagen durch den Verkehr Teherans rollen zu lassen. Ob solch heikle Straßenaktionen in Zukunft von dem Generalmajor Harandi genehmigt werden, ist mehr als fraglich. Das gleiche gilt auch für die ansehnlichen Aktivitäten, die in der Theaterlandschaft in der achtjährigen Amtszeit Khatamis stattfanden.
Allein 2003 haben 105.000 Zuschauer in Teheran 52 Stücke, die in den acht neu eröffneten Spielsälen inszeniert wurden, gesehen. Der "dramatische Austausch" mit den westlichen Ländern, u. a. mit Deutschland war so intensiv, dass das umstrittene Stück Occupied Territories, eine deutsch-iranische Gemeinschaftsproduktion von der in Berlin lebenden Regisseurin Helena Waldmann zur Eröffnung des 23. iranischen Theaterfestivals Fadjr, das einst zur Feier der Revolution gegründet wurde, auf einer iranischen Bühne aufgeführt wurde. Die Inszenierung des Stückes, das sich inhaltlich mit der Rolle der Frau in einer vom Islam geprägten Gesellschaft kritisch auseinandersetzt, war selbst spektakulär. Die Schauspielerinnen haben zum ersten Mal vor einem gemischtgeschlechtlichen Publikum getanzt, obwohl es nach wie vor verboten ist, den weiblichen Körper auf eine erotische oder aufreizende Weise zur Schau zu stellen. Der befürchtete Proteststurm seitens der Hardliner blieb erstaunlicherweise aus.
Demnächst wird es wieder mehr Verbote in der Kunst-, Kino- und Kulturszene Irans geben. Das einzige, was der Generalmajor-Kulturminister Harandi nicht untersagen kann, ist der humorvolle Umgang der Bevölkerung mit den unheilvollen Folgen seiner verwerflichen Kulturpolitik. Der ist bereits, wie die Gastfreundlichkeit, ein Teil ihrer kulturellen Identität geworden.
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