Geraubte Jugend

Freudlos In Iman Humaidan-Junis´ Roman "B wie Bleiben wie Beirut"werden die Lebenden zu Toten

Ich werde nicht emigrieren, denn ich will mein Land nicht den sich bekämpfenden Gruppen überlassen, die es zerreißen, verschachern, zerstören", sagt die libanesische Schriftstellerin Iman Humaidan-Junis. In ihrem jüngsten Roman B wie Bleiben wie Beirut schildert sie beeindruckend, wie ihr Land vom Bürgerkrieg ruiniert, verwüstet und dem Boden gleich gemacht wird. Vor allem erzählt sie anschaulich von den schmerzhaften Spuren des Krieges auf der Seele der Betroffenen und auf den zwischenmenschlichen Beziehungen.

Lilian, Warda, Kamilja und Maha heißen ihre Figuren: Vier Frauen, die in einem Haus auf verschiedenen Etagen leben und von ihren Beobachtungen und Empfindungen erzählen. Aus ihrem Fenster blicken sie auf ein und dieselbe Straße. Wenn der Bombenalarm ertönt, flüchten sie in denselben Schutzkeller. Sie zittern gemeinsam um ihr Leben, wenn in der Stille der Nacht ein mörderischer Dialog zwischen verfeindeten Maschinengewehren anfängt.

Dennoch sind diese vier Frauen grundverschieden, gehören zu unterschiedlichen Religionsgemeinschaften, haben verschiedene Lebensperspektiven und eine unterschiedliche soziale Herkunft. Sie haben freilich mit denselben und scheinbar unlösbaren Problemen zu ringen: der Zerstückelung des Landes, den Auswirkungen des israelisch-palästinensischen Konflikts auf den Libanon und die Fremdbestimmung durch Syrien und Iran. Die vier Protagonistinnen des mehrstimmigen Romans wollen aber grundsätzlich nichts mit diesem zerstörerischen Wirrwarr zu tun haben. Doch sie sitzen mitten drin, in einem Haus zwischen dem muslimischen West- und dem christlichen Ostbeirut.

Dass dieser symbolische Mikrokosmos sich in der Geschichte langsam aber sicher in einen Friedhof der Wünsche, Träume und Bedürfnisse verwandelt, ist offensichtlich: Die realitätstreue Erzählweise der 1956 in der Nähe von Beirut geborenen Humaidan-Junis ist stärker als ihre Hoffnung, die sie in den Charakteren ihres Romans aufkommen lässt. Am Ende ist das Haus kein Schutz mehr für ihre Bewohner und zerfällt unter häufigem Beschuss zur Ruine.

Die erste Figur, Lilian, lebt seit Monaten auf ihren Koffer. Ihre Kleider hängt sie nicht mehr in den Schrank. Sie will nach Australien, zu ihrem bereits immigrierten Bruder. Obwohl sie Musiklehrerin ist, kann sie sich vorstellen, in Australien als Tellerwäscherin oder Köchin zu arbeiten. Sie erzählt freudlos von ihrem Leben und der Grausamkeit des Krieges, während sie auf ihr Visum wartet. Wird es ihr erteilt?

Warda, ihre Nachbarin, ist eine alte und verwirrte Frau. Alle glauben, dass sie ihr Gedächtnis verloren hat. Sie sieht häufig Dschinnen und wartet vergeblich und ungeduldig auf ihre im Bürgerkrieg verschwundene Tochter. Wird sie eines Tages auftauchen?

Kamilja, die dritte Frau, ist eine Widerstandskämpferin, die als Kind immer vom Davonfliegen träumte und nun einer oppositionellen Partei angehört, die die Garage einer "hübschen englischen Schule" in ein Waffenlager verwandelte. Sie kämpft zwar aus Überzeugung, mutig ist sie aber nicht besonders. Wenn Kamilja von den blutigen Massakern zwischen den verfeindeten Gruppen hört, zittert sie "vor Angst wie ein Blatt." Verliert sie ihren Glauben an den bewaffneten Kampf?

Mit den Waffen hat die vierte Bewohnerin des Hauses, Maha, auch zu tun. Sie führt ein "in Langeweile gehülltes Leben in der Mitte der Absurdität der Gewalt", als Jamilja mit ihrer "Vitalität und Sehnsüchten" in das Haus einzieht. Maha sperrt sich freiwillig in ihrer Wohnung ein, will nicht unnötig unterwegs sein, weil sie sich als eine "unbewaffnete und unbegleitete Frau" nicht gerne von den angriffsbereiten Wächtern beim Überqueren der Strassen anhalten lassen will. Wenn sie Maha stoppen wollen, stellt sie sich taub: "Am besten ist es, so zu tun, als hätte man alle fünf Sinne verloren, wie die Toten." Der Trick funktioniert aber nicht, denn: "Sie wollen Lebendige, um sie in Tote zu verwandeln."

Als Jamilja und Maha die Gelegenheit bekommen, einen lebendigen Überfallkommandeur totzuschlagen, schrecken sie nicht davor zurück: "Das für all die Jahre, die wir nicht leben durften. Das für das leere Warten. Das für die Illusionen. Das für die Angst. Das für die Erniedrigung." Solche Szenen ereigneten sich in der Zeit, in der der Bürgerkrieg in Beirut am Ende der achtziger Jahre offiziell als beendet erklärt wurde. "Meine Geschichte ist noch lange nicht abgeschlossen", sagt die Protagonistin Maha. Die Meinung könnte auch die Autorin vertreten, die während dieses blutigen und grausamen Gefechtes Notizen gemacht und sie sieben Jahre später im Libanon als einfühlsamen, eindrucksvollen und wunderbar spannenden Romans veröffentlicht hat. "Der Bürgerkrieg in Libanon hat mir 15 Jahre meiner Jugend geraubt", sagt die Autorin. Der Roman B wie Bleiben wie Beirut ist ihr Zeuge.

Iman Humaidan-Junis B wie Bleiben wie Beirut. Roman. Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich. Lenos, Basel 2007, 224 S., 19 EUR

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