Der Kampf zwischen den Hardlinern und den Kulturschaffenden in Iran hatte schon vor den Präsidentenwahlen begonnen. Es ist ein ungleicher Kampf. Denn ihre politischen Vertreter waren als unliebsame Bewerber für die Wahlen vom "islamischen Wächterrat" als vermeintlich "unislamisch" ausgesiebt worden. Dieses von Geistlichen bestimmte Gremium und ähnliche Institutionen wachen darüber, dass die "westliche Kultur" die Werte ihres "lieben Islam" - wie der Präsidentschaftskandidat Ali-Akbar Rafsandschani immer betont - nicht gefährdet.
Allerdings sahen Rafsandschanis junge Wahlhelfer und -helferinnen in diesem Wahlkampf nicht gerade islamisch aus: Jugendliche mit Gel im Haar und dem Schriftzug "Haschemi" auf ihren Jeansjacken und prächtig geschminkte, mit modischen Sonnenbrillen bewehrte Frauen, die bunte "Haschemi" Stirnbänder trugen. Sie verteilten unter Jugendlichen Musik-CDs von beliebten Pop und Jazz-Starsängern mit dem Titel Rückkehr. Kulturell hat sich "König-Akbar", wie das Volk ihn wegen seines unermesslichen Reichtums nennt, sichtlich geändert. In seinem ersten Wahlkampf für die Präsidentschaft 1989 wurden in den Wahlveranstaltungen islamische Klage-Lieder zur Huldigung der Kriegsmärtyrer vorgespielt.
Dennoch wird diese von westlicher Wahlkultur geprägte Öffnung keineswegs zu einer Art Glasnost führen. Rafsandschani würde kein iranischer Gorbatschow, wenn er die Stichwahlen am 24. Juni gewinnen würde. Die Förderung von Kultur und Gesellschaft, wie sie der Reformer Mohammed Khatami anstrebte, gehörte nie zu seiner Politik. Sich auf die demokratischen Institutionen zu stützen, ist nicht Rafsandschanis Stärke. Er nutzt sie aus, wenn es gerade zu seiner pragmatischen Politik passt. Stets stellt er sich auf die Seite der Hardliner, wenn es um die Einschränkung von Freiheiten, Menschenrechtsverletzungen und elementaren Frauenrechten geht, stellt er sich auf die Seite : "Demokratie als einen Befehl vom Ausland können wir nicht akzeptieren. Wir wollen eine religiöse, keine säkulare Demokratie."
Nach diesem Demokratieverständnis wurden in der Ära Rafsandschanis (1989-1997) die Andersdenkenden im In- und Ausland ermordet oder in Iran festgenommen und ins Gefängnis gesteckt. Zensur wurde in jeder Hinsicht willkürlich ausgeübt. Die Verleger, die für ihr literarisches Programm viel Geld investiert hatten, mussten Monate oder Jahre auf ihre Vertriebslizenzen warten. Kaum ein kritisches Drehbuch konnte realisiert werden. Fast alle Theaterstücke, die sich mit der miserablen gesellschaftlichen Situation des Landes auseinandergesetzt haben, wurden nach der Generalprobe verboten. Den "islamischen Büros" in den Universitäten, die sowohl das "Verhalten" der Studenten und Dozenten als auch die Unterrichtsinhalte und -materialien kontrolliert haben, wurden uneingeschränkte Befugnisse eingeräumt. Unbestraft blieben fast alle "freiwilligen Aktivitäten der Schlägertruppen", die mit ihrem brutalen Auftreten das kulturelle Leben im Land regelrecht gestört und erschwert haben.
Die Furcht, nach der "Rückkehr" Rafsandschanis mit demselben willkürlichen Zustand konfrontiert zu sein, ist unter den Intellektuellen groß. Es ist aber keine lähmende Angst. Abgesehen von einigen Kulturschaffenden, die sich enttäuscht ins private Leben zurückgezogen haben, bereiten sich die anderen auf eine konfliktreiche Zukunft mit den Hardlinern und mit ihrem Vertreter als Staatsoberhaupt vor. Unberührt von dem Tumult der Wahlen führten diese engagierten Autoren und Lyriker letzte Woche Veranstaltungen und Kundgebungen vor dem Ewin-Gefängnis und dem Teheraner Universitätsgebäude durch, forderten unermüdlich die Freilassung der 18 Journalisten und Intellektuellen, die sich im Moment im Hungerstreik befinden. Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit sind ihre Kampfmittel. Dass die Weltöffentlichkeit und die westlichen Länder sie dabei in Zukunft nicht mehr unterstützen könnten, ist ihre größere Furcht. Denn es ist nicht auszuschließen, dass die künftige konservative Regierung Irans mit den EU-Ländern und Amerika einen "lukrativen Deal" schließt: Demnach würde sich Iran mit den Bedingungen der EU-Staaten wegen seines Atomprogramms einverstanden erklären, wenn diese versprächen, sich nicht in die innenpolitischen Angelegenheiten des Landes einzumischen und speziell die staatlichen Repressalien gegen die kritischen Kulturschaffenden und Menschenrechtlern in Iran zu ignorieren. Es liegt nun am Westen, sich für oder gegen die demokratischen Kräfte in Iran zu entscheiden.
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