Es gibt einen Moment im jüngsten Roman der iranischen Schriftstellerin Roya Hakakian, in dem ihr Vater rasch all ihre Bücher und Schriften zusammenstapelt und unerwartet in Brand setzt. Diese Bücher jedoch sind der Lebenssinn, die Träume und die Hoffnungen der Autorin. Erstaunlich ist, dass der Leser dieser grausamen Tat verständnisvoll folgt, sie gar bejubelt. Herr Hakakian ist im Buch seiner Tochter eigentlich kein brutaler Mann; er ist Lehrer und Dichter und stets um das Wohl und die Sicherheit seiner Familie bemüht. Dass er nun all ihre Romane von Jane Austen, Samad Behrangi und Michail Scholokow und anderen zur Asche befördert, gehört ebenfalls zu seinen Schutzmaßnahmen. Die Mutter tröstet die aufgeregte Roya in diesem Sinne: "Zu deiner eigenen Sicherheit."
Der Moment der Bücherverbrennung, den Hakakian in Bitterer Frühling" schildert, ist gleichzeitig der Moment des Abschieds des Oberhaupts der Familie Hakakian von seiner Heimat, dem Iran. Als er "die schwereren Objekte der Liebe" seiner Tochter gänzlich verbrennt, sagt er mit kraftloser Stimme zu ihr: "Es ist Zeit, dass wir nach Amerika gehen."
"Das Weggehen" war für viele jüdische Familien in den siebziger und frühen achtziger Jahren im Iran der einzige Ausweg, sich von den Willkürmaßnahmen und Repressalien des neu gegründeten islamischen Staates zu retten. Die Entscheidung fällt aber Herrn Hakakian nicht leicht. Er gehörte zu den wenigen Optimisten, die alle Sanktionen gegen die jüdischen Bürger mit einer gehörigen Portion Naivität und Hoffnung begegneten: "Diese Spinner kommen und gehen." Er, als der alte iranische Jude, bleibe aber standhaft. Selbst wenn Roya ihm berichtet, dass sie als Jüdin in der Schule, nach den neuen Bestimmungen, nur noch die ausgeschilderten Trinkbrunnen und Toiletten benutzen dürfe, hält er an seiner Überzeugung fest, die Tage der Mullahs seien gezählt.
Herr Hakakian wird erst durch den Iran-Irak-Krieg (1980-1988) wachgerüttelt: als eine Reihe einschränkender Vorschriften erlassen wurden, wie etwa die "Geschäftsverordnungen". Demnach sollten alle nichtmuslimischen Geschäftsinhaber Schilder in ihre Fenster hängen, die die Aufschrift trugen: "Dieses Geschäft gehört einem Nichtmuslim." Die geschäftsschädigenden Auswirkungen solcher Bestimmungen galten auch für die Arztpraxen. Selbst die meisten verwundeten Passdaran (Revolutionswächter) lehnten strikt ab, von den jüdischen Ärzten behandelt zu werden. Sie zogen es vor, zu verbluten als von den "unreinen" Juden berührt zu werden.
Die 1966 geborene Autorin, die sich als "junge jüdische Träumerin" bezeichnet, betont, dass ihre Generation "solche Zurückweisungen" nur aus den Erzählungen ihrer Eltern kannte. Sie versucht in ihrem politisch ambitionierten Aufarbeitungsbuch die Unterschiede des gesellschaftlichen "Status" der Juden unter dem Schah-Regime und der islamischen Regierung aufzuzeigen, ohne die repressive Politik der Pahlavi-Dynastie zu beschönigen. Dabei vertritt sie die Ansicht, dass die Savak-Repressalien, also die Methoden des Schah-Geheimdienstes, allen Iranern galten und nicht nur Juden davon betroffen waren.
Die "juden-freundliche" Schah-Politik führte aber nicht zu einem tief greifenden Einstellungswandel in der iranischen Gesellschaft, die zwischen Anerkennung und Ablehnung, Toleranz und Zurückweisung schwankte. Die jüdischen Klassenkameradinnen der Rezensentin waren in deren eigener Familie nicht besonders willkommen. Sie dürfte sie, im Gegenteil, nicht nach Hause einladen. Wenn sie dennoch diese "strenge Regel" nicht beachtet hate, wurde das Geschirr, das die jüdische Freundin benutzt hatte, sieben Mal nach islamischen Sitte unter fließendem Wasser gespült, sobald sie das Haus verlassen hatten. Der Zahnarzt der Familie war zwar ein "zuverlässiger" Jude, nach der Behandlung musste man aber den Mund wieder sieben Mal waschen, um die Spuren der "jüdischen Unreinheit" wegzuwaschen. Auf diese widersprüchliche Haltung konnte die islamische Republik Iran nach der Schah-Ära ihre antisemitische Politik auf- und ausbauen.
Diese Realität hat nicht nur die Autorin, sondern auch Herr Hakakian kennen lernen müssen, der immer der Judendiskriminierung auf seine Art begegnet ist, wie etwa im Falle des Verlängerungsantrags der Pässe der Familie, um endlich "Weggehen" zu können: Der Mutter wird eine Absage erteilt. Der Pass der Autorin wird einbehalten und der Pass ihres Vaters wird konfisziert. Um sein Ziel zu erreichen, schreibt Herr Hakakian für die Passbeamten ein Gedicht über die Erlösung durch das Studium von Weisheit und Frömmigkeit nach der Art des ersten Imam der Schiiten, Imam Ali. Das Ende des Liedes lautet: "Als ein Anhänger Alis wurde Haghnazar zu einem Tropfen im Meer der Gläubigen." Der Kommentar der Tochter-Autorin ist nicht weniger interessant als das Gedicht: "Dass sich der Vater als Jude darstellte, der die Leitfigur der Schiiten bewundert, war der Gipfel der Verstellung. Der höchste Akt der Verderbtheit, den er je in seinem Leben vollzogen hatte". In weniger als in einem Monat erhält die Familie Hakakian ihre frisch verlängerten Pässe.
Mit dieser Haltung betreibt die Autorin in ihrem Buch ihre eigene, eigenwillige Geschichtsanalyse der postrevolutionären Ereignisse im Iran. Die 42-jährige Hakakian, die als Jugendliche die iranische Revolution miterlebt hat, urteilt und bewertet diese Geschehnisse souverän und bringt offensichtlich Täter und Opfer gegeneinander in Stellung. Über ein vielfältiges Geflecht von Beziehungen, Erinnerungen und Perspektivwechseln versucht sie erfolgreich, sich diesen historischen Begebenheiten, die sich vor allem in Teheran der siebziger und frühen achtziger Jahre ereignet haben, zu nähern und sie in ihren politischen wie gesellschaftlichen Verstrickungen umfassend darzustellen. Ihre Betroffenheit, so redlich wie zeitgemäß, untermauert ihre durch Abstand gewonnene Objektivität. Was am Ende bleibt, sind unlöschbare Erinnerungen an die Momente, in denen ihre Träume und Hoffnungen zerstört werden. Und nicht nur von ihrem Vater!
Roya Hakakian Bitterer Frühling: Meine Jugend im Iran der Revolutionszeit" target="_blank">Bitterer Frühling. Meine Jugend im Iran der Revolutionszeit. Aus dem Englischem von Rita Seuß. DVA, München 2008, 286 S., 19,95 EUR
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