der Freitag: Herr Teune, in dieser Woche hat die Antifaschistische Linke Berlin, ALB, ihre Auflösung erklärt. Ist das überhaupt ein großes Thema? Schließlich gibt es überall in Deutschland Antifa-Gruppen.
Simon Teune: Die ALB war ein zentraler Akteur in der bundesweiten Antifa-Bewegung. Das sieht man schon daran, dass die Internetseite antifa.de von der Gruppe betrieben wurde. Die ALB hat auch jenseits der klassischen Antifa-Arbeit eine wichtige Rolle in vielen großen Mobilisierungen der vergangenen Jahre gespielt, wie zum Beispiel gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm oder bei den Blockupy-Protesten.
War die ALB einfach nur besonders groß oder hat sie sich von anderen Gruppen auch inhaltlich unterschieden?
Bei ihrer Gründung stand die ALB, damals noch AAB, für eine Neuinterpretation der Antifa-Politik, die bis dahin geprägt gewesen war durch das Auftreten im Schwarzen Block, eine Abschirmung gegenüber anderen Gruppen und möglichst militante Rhetorik. Was die ALB gemacht hat, wurde damals als Pop-Antifa gelabelt. Es gab nicht mehr den strikten Dresscode auf Demonstrationen. Man versuchte, auch Leute jenseits der engeren linksradikalen Szene anzusprechen, mit einer neuen Optik oder mit elektronischer Musik. Die Riesentrucks, von denen Techno-Musik runterschallte, das war Anfang der 2000er Jahre ein neuer Ausdruck - ein bisschen Loveparade, bei den vorher eher grimmigen Demos.
Was hat sich seitdem getan?
Bei den G8-Protesten im Jahr 2007 ist eine andere Weiterentwicklung sehr deutlich geworden. Die Antifa hat sich gegenüber etablierteren Akteuren wie der Linkspartei, Kirchen, Gewerkschaften oder NGOs geöffnet. Das war dann auch Voraussetzung für die Zusammenarbeit bei den Protesten gegen die Naziaufmärsche in Dresden oder für Blockupy. Intern hat das jedoch zu Spannungen geführt, weil es schwierig ist, sich einerseits an Bündnissen zu orientieren, sich andererseits aber die militante Option offen zu halten.
Kann es den Antifa-Gruppen überhaupt gelingen, Anschluss zu finden? Als es in Heiligendamm auf der Demo zu Ausschreitungen mit der Polizei kam, da haben sich viele Vertreter der NGOs von den radikaleren Teilen der Bewegung distanziert.
Das war damals schon ein Spagat, aber die gemeinsamen Protest-Vorbereitungen haben langfristig dazu geführt, dass man gemerkt hat: Mit Leuten, mit denen wir über zwei Jahre lang an einem Tisch sitzen, können wir auch vertrauensvoll zusammenarbeiten. Zum anderen hat natürlich auch der Erfolg dieser Strategie der Bündnisorientierung recht gegeben. Die Blockade des Gipfelortes Heiligendamm, das war einfach ein großer medialer und symbolischer Erfolg. Dann ist es in Dresden gelungen, mit einem breiten Bündnis den größten Naziaufmarsch Europas zu verhindern.
Wann gibt es die nächsten größeren Aktionen, wo Linksradikale mit anderen Gruppen zusammenarbeiten?
In die Blockupy-Proteste fließen viele Energien. Zu Protesten gegen den G7-Gipfel im kommenden Jahr zeichnet sich dagegen keine große Mobilisierung ab. Wo die Annäherung jedoch täglich eine große Rolle spielt, ist bei den Protesten gegen Naziaufmärsche. Es gibt kaum noch Gegenaktivitäten, bei denen die Antifa ihre Aktionen isoliert vom Rest durchführt. Meist gibt es Vorabsprachen und ein Aktionskonzept, wie man zusammenarbeitet.
Nach der Auflösung der ALB wollen sich einige Aktivisten in dem Bündnis „Interventionistische Linke“ engagieren. Wie sieht die Zukunft der Antifa-Bewegung in Deutschland aus?
Die Bewegung wird sicherlich weiter Bündnisse mit Akteuren außerhalb der radikalen Linken eingehen. Es gibt aber viele Fragen, auf die die Antifa noch keine guten Antworten gefunden hat. Wie geht man zum Beispiel mit der AfD um? Die ist nicht eindeutig neonazistisch, aber trotzdem macht sie rechtspopulistische, zum Teil rassistische Themen populär. Bei den Auseinandersetzungen um das Asylrecht und um die Unterbringung neu eintreffender Flüchtlinge hat es keine starke Positionierung der Antifa gegeben. Auch auf die soziale Frage gibt es bisher keine gute Antwort, das hat die ALB in ihrem Auflösungspapier selbst geschrieben.
In der Erklärung bleiben die Gründe für das Ende der ALB relativ unkonkret: „Wir haben uns nicht im Streit zur Auflösung der ALB entschlossen, doch mittlerweile sind die Ideen, Strategien und Ziele zu unterschiedlich, die wir hinsichtlich einer linksradikalen Praxis, Organisierung und Perspektive haben.“ Warum wird das nicht näher erläutert?
Warum sollte man öffentlich erklären, welche Konflikte genau das gewesen sind? Für die Leute, die in der ALB aktiv gewesen sind, geht es sicher auch darum, das Bild der Gruppe als eine zentrale Größe in der radikalen Linken nicht zu trüben.
Stehen andere Gruppen vor einem ähnlichen Prozess, dass sie innerlich zerrissen werden und sich am Ende womöglich auch spalten oder auflösen?
In den vergangenen Jahren haben sich bereits viele Antifa-Gruppen mit ähnlichen Schwierigkeiten aufgelöst. Insofern ist die ALB nicht die erste Gruppe und wird auch nicht die letzte sein.
Das Gespräch führte Felix Werdermann
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