der Freitag: Herr Geden, Sie sagen, dass die Klimaforscher vor einem Dilemma stehen. Was meinen Sie damit?
Oliver Geden: Das Problem ist, dass die globalen Emissionen steigen, obwohl die Wissenschaft seit langem das Gegenteil fordert. Daher müsste ein Forscher eigentlich sagen: Die Klimapolitik hat bisher versagt. Er kann sich aber auch anpassen und immer pragmatischere Vorschläge machen. Dadurch entsteht aber ein Widerspruch. Viele prominente Wissenschaftler behaupten schon seit 15 Jahren: Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren, es ist fünf vor zwölf. Die Emissionen sind aber weiter gestiegen, und zwar drastisch. Allmählich wird es inkonsistent, zu sagen, dass wir es noch schaffen können, die globale Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen.
Vielleicht waren die früheren Aussagen über den CO2-Ausstoß falsch und man muss jetzt die Emissionen einfach noch stärker reduzieren, als man damals für möglich gehalten hat?
Grundsätzlich kann man das so sehen. Ich habe auch schon das Argument gehört, dass man heute wisse, dass es damals erst Viertel vor zwölf war.
In Paris soll ein neues Klimaabkommen beschlossen werden ...
... und viele wissenschaftliche Berater werden das positiv bewerten, weil sie politikrelevant bleiben wollen – obwohl es hinter dem zurückbleibt, was sie seit Jahren als zwingend notwendig beschreiben.
Zur Person
Oliver Geden, 44, ist Experte für europäische Energie- und Klimapolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die Bundestag und Bundesregierung in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik berät
Foto: Christian Thiel/Imago
Woher kommt dieses Anbiedern an die Politik?
Ich würde das nicht Anbiedern nennen. Viele Wissenschaftler wollen einfach vermeiden, dass klimapolitischer Fatalismus um sich greift. Aber die Politik beeinflusst die Klimaforschung mindestens ebenso stark. Regierungen geben Studien in Auftrag, die ausrechnen, wie die zwei Grad noch zu schaffen sind. Das ist auch eine legitime Frage. Aber die Politik investiert selbstverständlich keine Forschungsmittel, um zu erfahren, dass die selbstgesetzten Ziele definitiv verfehlt werden. Unterm Strich wird so Optimismus gefördert.
Können Sie dafür ein Beispiel geben?
Der Weltklimarat IPCC hat kalkuliert, wie viel CO2 die Menschheit noch ausstoßen darf. Dieses globale Emissionsbudget ist eigentlich begrenzt, wird aber inzwischen schleichend erweitert, indem auch negative Emissionen eingerechnet werden.
Negative Emissionen?
Es geht um Technologien, die wir möglicherweise in der Zukunft einsetzen werden, um CO2 aus der Atmosphäre herauszusaugen. So sollen die steigenden Emissionen kompensiert werden. Das prominenteste Beispiel ist die Kombination von Bioenergie und dem sogenannten CCS – der Abscheidung und Speicherung von CO2. Man baut Biomasse an, holt damit Kohlendioxid aus der Luft. Dann verbrennt man die Biomasse in Kraftwerken, scheidet das CO2 ab und speichert es unterirdisch. Und dann beginnt man von vorne, jahrzehntelang.
Ist das Zwei-Grad-Ziel überhaupt noch zu erreichen?
Ich sehe nicht, wie das gelingen soll. Dafür müsste man die Emissionen jetzt extrem stark reduzieren oder sich ernsthaft über die Technologien für negative Emissionen unterhalten und diskutieren, für wie realistisch man deren Einführung hält. Die Aussage des Weltklimarats lautet: Die Begrenzung auf zwei Grad ist technisch und volkswirtschaft-lich machbar, aber höchstwahrscheinlich nur mit negativen Emissionen. Ob das aber auch politisch und gesellschaftlich machbar ist, lässt sich nicht so einfach in Modellen quantifizieren.
Politiker betonen immer wieder, dass das Zwei-Grad-Ziel erreichbar sei.
Ja, diese Botschaft greift man gerne auf. Gleichzeitig ignoriert man aber die dafür notwendigen Technologien. Weil sowohl Bioenergie als auch CO2-Speicherung nicht das beste Image haben.
Sie plädieren dafür, diese Technologien zu entwickeln?
Die Gesellschaft muss ernsthaft diskutieren, ob sie das will oder nicht. Bei Biomasse und CCS bin ich skeptisch, ob das politisch durchsetzbar ist – jedenfalls in der Größenordnung, die für die zwei Grad notwendig wäre. Der Biomasse-Anbau würde schätzungsweise 500 Millionen Hektar zusätzlich benötigen, das ist anderthalb Mal die Landmasse von Indien. Ich halte so ein Szenario für unrealistisch. Wenn die Politik sagen würde, das wollen wir nicht, dann dürften die Klimaökonomen das auch nicht mehr einkalkulieren. Der Politik wird die Frage bislang aber nicht gestellt.
Wie sinnvoll ist das Zwei-Grad-Ziel eigentlich aus wissenschaftlicher Sicht? Damit wird doch der Eindruck erweckt, es gebe eine scharfe Grenze: Solange wir darunter bleiben, ist die Erderwärmung harmlos – und danach ist sie gefährlich.
Die Wissenschaft kann gar nicht genau sagen, was sich zwischen 2 und 2,1 Grad verändern wird. Das Ziel war ursprünglich als grober Richtwert gedacht. Es ist eine gerade Zahl ohne Kommastelle, die kann man sich leicht merken. Aber dadurch, dass die Wissenschaft exakt ausgerechnet hat, wie viel Tonnen CO2 wir dann noch ausstoßen dürfen, ist das Ziel sakrosankt geworden. In Wirklichkeit sind die Unsicherheiten ziemlich groß.
So ähnlich argumentieren auch die Leugner des Klimawandels.
Die leugnen den Zusammenhang zwischen CO2 und Erwärmung, das tue ich nicht. Ich sage: Es muss darum gehen, jedes Zehntelgrad an Temperatursteige-rung zu verhindern, egal wo man steht. Klimaschutz bleibt auch beim Überschreiten der Zwei-Grad-Linie sinnvoll. 2,4 Grad sind besser als 2,5.
Auf welchen Temperaturanstieg läuft es denn gerade hinaus?
Es gibt weltweit mehrere Initiativen, die das permanent berechnen. Die prominenteste, und derzeit optimistischste, ist der „Climate Action Tracker“ (CAT). Wenn die Staaten ihre momentane Politik beibehalten, werden es laut CAT vermutlich 3,6 Grad. Wenn sie jedoch zusätzlich ihre Reduktionsvorschläge umsetzen, die sie vor der Klimakonferenz in Paris gemacht haben, dann könnte man bei 2,7 Grad landen. Dieses Ergebnis hat viele Beobachter überrascht, weil es sehr positiv ist im Vergleich zu früheren Voraussagen. Ich habe den Eindruck, dass alle bemüht sind, ein möglichst positives Bild zu malen, um zu signalisieren: Wir können es noch schaffen. Wenn aber Wissenschaftler Klimapolitikern immer ähnlicher werden, finde ich das sehr befremdlich.
Sie halten nichts von Zweckoptimismus.
Als wissenschaftlicher Politikberater sollte man realistisch bleiben. Das gilt auch für das neue Vorgehen in der Klimadiplomatie. Früher wurde zuerst das Ziel festgelegt und dann wurde versucht, die Emissionsminderungen auf die einzelnen Staatenzu verteilen. Das wird als Top-down bezeichnet. Nun gibt es ein Bottom-up-System: Jeder Staat entscheidet selbst, was er an Reduktion anbietet. Weil das aber nicht ausreicht, soll es nach Paris regelmäßig sogenannte Review-Prozesse geben. Wahrscheinlich alle fünf Jahre wird dann die Lücke zum Zwei-Grad-Pfad analysiert und die Staaten sollen freiwillig ihre Reduktionsziele verschärfen. Das halte ich jedoch für unrealistisch.
Warum?
Es gibt in der Geschichte der UN-Klimaverhandlungen keine Beispiele dafür, dass solche Reviews, wie jetzt geplant, funktioniert hätten. Der Mechanismus dient eher der Gesichtswahrung, die Problemlösung wird in die Zukunft verschoben. Wir werden schon froh sein, wenn die Staaten das, was sie jetzt versprechen, dann auch wirklich erfüllen.
Sollten wir uns vom Zwei-Grad-Ziel verabschieden?
Ja. Wir brauchen es nicht mehr und es hat uns in einer falschen Sicherheit gewiegt, weil die Staaten damit zwar seit Jahren signalisieren, dass sie das Problem verstanden haben – dann aber nicht entsprechend handeln.
Nimmt man ohne Zwei-Grad-Ziel nicht den Druck heraus und lässt die Regierungschefs machen, was sie ohnehin wollen?
Das ist doch jetzt auch schon so. Natürlich gibt es einen moralischen Druck, aber bei UN-Verhandlungen fährt selten jemand nach Hause und hat etwas unterschrieben, was er eigentlich gar nicht wollte. Und selbst dann gibt es keinen Sanktionsmechanismus, der eine Einhaltung erzwingt. Nehmen Sie das Versprechen der Industriestaaten, mindestens 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Entwicklungshilfe auszugeben. Das Ziel gibt es seit 1970, aber es wurde nie erreicht, allenfalls von einzelnen Staaten.
Trotzdem: Wenn man Industriestaaten an einem Ziel messen kann, tun sie vielleicht mehr?
Vermutlich schon. In der Klimapolitik wird man das Zwei-Grad-Ziel auch wohl nicht formell aufgeben, aber aus einem strik-ten Limit wird wahrscheinlich ein sehr langfristiges Ziel, das zwischenzeitlich auch überschritten werden darf. In den Vordergrund wird sich stattdessen das Ziel der Dekarbonisierung schieben. Alle Staaten müssen dann immerhin Pläne vorlegen, bis zu welchem Jahr sie mit welchen Technologien ihre Emissionen auf null reduzieren wollen.
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