Der neue Anti-TTIP-Protest

Freihandel Gegen das geplante Abkommen zwischen EU und USA formiert sich in Deutschland immer mehr Widerstand. Wird er zu einer Bewegung?
Ausgabe 21/2014
Der neue Anti-TTIP-Protest

Illustration: der Freitag

Wer am Wochenende zur Europawahl das Haus verlässt, findet womöglich einen Türhänger an der Klinke. „Wählen Sie die Katze im Sack?“, ist darauf zu lesen, weiß auf schwarz. Gedruckt wurden die Pappzettel vom Online-Netzwerk Campact. Sie sind Teil einer Kampagne gegen das Freihandelsabkommen TTIP, das derzeit zwischen EU und USA hinter verschlossenen Türen verhandelt wird, auch in dieser Woche wieder. Das transatlantische Vorhaben sei eine Gefahr für Umwelt-, Daten- und Verbraucherschutz, für Arbeitnehmerrechte und die Demokratie, wird auf den Zetteln gewarnt. Mit anderen Worten: eine Gefahr für alles, wofür es sich zu kämpfen lohnt.

TTIP, das hört sich technisch an, zu kompliziert für den einfachen Bürger. Und doch ist das geplante Abkommen zu einem Kristallisationspunkt für eine neue Protestbewegung geworden. Die Dimensionen sind beeindruckend: 6,5 Millionen Türhänger hat Campact verschickt, an 24.000 Bürger. Mehr ging nicht, alle anderen Interessierten müssen sich die Vorlage aus dem Internet herunterladen und die Zettel selbst ausdrucken. Online haben schon fast 500.000 Menschen gegen TTIP unterschrieben. „Das sprengt alle bisherigen Kampagnen“, sagt Maritta Strasser von Campact.

Erstaunlicherweise bleiben die Massendemonstrationen aber aus. Als im Januar 30.000 Menschen in Berlin für eine andere Landwirtschaftspolitik auf die Straße gingen, war TTIP zwar ein Thema – aber eben nur eines unter vielen. Bei den Blockupy-Protesten am vergangenen Wochenende wurde das Freihandelsabkommen nicht mal im Aufruf erwähnt. Und die Anti-TTIP-Demonstration in Brüssel vor einer Woche wirkte mit 500 Teilnehmern auch eher mickrig – obwohl sie durch die rund 240 Verhaftungen immerhin für mediale Aufmerksamkeit gesorgt hat.

"Da kommt was Großes auf uns zu"

Ist die Ablehnung des Freihandelsabkommens also hauptsächlich ein Netz-Phänomen? Nein, sagt Alexis Passadakis, der für das „Seattle to Brussels Network“ die europäischen Anti-TTIP-Proteste koordiniert. Attac habe in Deutschland bereits mehr als 100 Veranstaltungen durchgeführt, „das Thema ist Gegenstand von Diskussionen“. Für den Herbst sei ein europaweiter Aktionstag geplant. Und wenn die Ratifizierung oder ein wichtiges Gipfeltreffen ansteht, könne das mobilisierend wirken. „Wir sind am Anfang der Verhandlungen, wir sind am Anfang des Widerstands.“

Vor mehr als einem Jahr, im April 2013, haben sich in Hannover ungefähr 20 Vertreter von Nichtregierungsorganisationen getroffen, zum Beispiel von Attac, BUND, Campact und dem Verein PowerShift. „Wir wussten: Da kommt was Großes auf uns zu, da müssen wir was Großes machen“, erzählt Alessa Hartmann. Sie ist Referentin für internationale Handelspolitik beim Forum Umwelt und Entwicklung, dem Dachverband zahlreicher Organisationen, und koordiniert nun das Bündnis „TTIP unfairhandelbar“, das damals ins Leben gerufen wurde. Mittlerweile sind 60 Organisationen dabei. Es wurden Positionspapiere beschlossen, Pressemitteilungen geschrieben und ab und zu gab es auch eine kleine Aktion. Aber die großen Protestaktionen fehlen nach wie vor.

Dabei sind die Verbände durchaus in der Lage, ihre Leute auf die Straße zu bringen, etwa wenn es um die Energiewende geht. Es gibt eine Umweltbewegung, es gibt eine Friedensbewegung, aber es gibt keine Anti-Freihandels-Bewegung. „Dadurch fehlt auch die Erfahrung, für dieses Thema auf die Straße zu gehen“, sagt Tadzio Müller, Bewegungsforscher bei der linksparteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung. „Das ist aber ganz wichtig, wenn man die Leute mobilisieren will.“

Flashmobs im Wahlkampf

Campact mischt nun mit dem Thema den Europa-Wahlkampf auf. Als SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz Anfang der Woche seine Rede auf dem Berliner Alexanderplatz hielt, wurde er von Campact-Aktivisten begrüßt. Immer wenn er von Demokratie, Umwelt, Transparenz Datenschutz oder guter Arbeit sprach, applaudierten sie und hielten ihre Schilder hoch: „Stoppen Sie TTIP!“ Ähnliche Flashmobs gab es bei Veranstaltungen der Union.

Der Protest wird bei den Auftritten der hochrangigen Politiker zwar gerne weggelächelt, in Wirklichkeit sorgen die Aktionen bei der CDU aber für erheblichen Unmut. Der Europa-Abgeordnete Werner Langen erklärt in einer Pressemitteilung: „Die von Linken, Grünen und ihren Internet-Hilfsgruppen betriebene Kampagne gegen das Handelsabkommen mit den USA verdreht die Tatsachen, untergräbt eine sachliche Diskussion und spielt mit den Ängsten der Menschen.“ Er spricht auch von „Lügen“ und „Augenwischerei“.

Besonders ärgern dürfte ihn wohl, dass auf den Türhängern eine Art Wahlempfehlung zu finden ist: Die Positionen der Parteien werden jeweils in einem Satz zusammengefasst, dazu gibt es eine Bewertung. Bei Linkspartei, Grünen, Piraten und Freien Wählern zeigt ein grüner Daumen nach oben, bei CDU und FDP ein roter Daumen nach unten. CSU und SPD kassieren einen gelben Daumen.

Macht Campact nun Wahlkampf für linke Parteien? „Nein“, sagt Maritta Strasser. „Wir fordern auf, zur Wahl zu gehen und wir übersetzen die Wahlprogramme. Nicht mehr und nicht weniger.“

Geheimdokumente veröffentlicht

Kritik mussten sich die TTIP-Kritiker auch von SPD-Chef und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel anhören. Wie könne man denn ein Abkommen kritisieren, das es noch gar nicht gebe? Ein recht dreistes Argument. Denn auch Gabriel weiß, dass in Hinterzimmern verhandelt wird, und dass Öffentlichkeit und Europaparlament von dem Text erst erfahren sollen, wenn er bereits ausgearbeitet ist – und dann dürfte es bereits zu spät sein für Interventionen.

Immerhin sind einige Verhandlungsdokumente bekannt geworden. Auf eu-secretdeals.info sind sie nachzulesen. Die Internetseite wird getragen von mehreren TTIP-kritischen Organisationen. Wo die Texte herkommen, ist jedoch nicht nachvollziehbar. Aufmerksamkeit erlangten die Grünen im Europaparlament, als sie ein geheimes EU-internes Positionspapier veröffentlichten. Das war zwar vorher schon geleakt worden, aber dass nun Mandatsträger ganz offen einen Rechtsverstoß begehen, das war eine Provokation.

Inzwischen geben sich selbst die Sozialdemokraten TTIP-kritisch. Sie fordern mehr Transparenz und versprechen, dass sie dem Abkommen nur zustimmen, wenn negative Folgen verhindert werden. Aber soll man das glauben? Als im EU-Parlament über die Aufnahme der Verhandlungen abgestimmt wurde, waren die Sozialdemokraten jedenfalls dafür – gemeinsam mit Konservativen und Liberalen.

EU-Bürgerinitiative geplant

Und was macht die Protestbewegung nach der Europawahl? Mehrere Organisationen planen bereits eine Europäische Bürgerinitiative. Mit dabei sind etwa Campact, Attac und der Verein „Mehr Demokratie“. Die Initiative soll sich nicht nur gegen TTIP richten, sondern auch gegen das Freihandelsabkommen CETA zwischen der EU und Kanada. Dort sind die Verhandlungen schon fortgeschritten, der Vertrag könnte dann als Blaupause für TTIP dienen.

Für den Erfolg der Initiative sind eine Million Unterschriften nötig, das dürfte zu machen sein. Allerdings muss auch in mindestens sieben Staaten ein Quorum erreicht werden. Am Ende darf die EU-Kommission das Bürger-Anliegen zwar ignorieren. Ob sie sich das aber traut, ist eine andere Frage.

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