Ihre politische Karriere hatte sie schon an den Nagel gehängt, doch nun könnte sie zur Hoffnungsträgerin bei einem der größten Menschheitsprobleme werden: Bei der Suche nach einem Endlager für den hochradioaktiven Atommüll. Ursula Heinen-Esser ist CDU-Politikerin, saß 15 Jahre lang im Bundestag, dann trat sie nicht mehr an, um sich mehr um ihre Familie in Köln kümmern zu können.
Doch jetzt wird die 48-Jährige womöglich doch noch von der Berliner Politik zurückbeordert. Sie ist derzeit die Wunschkandidatin der großen Koalition für den Vorsitz der Endlager-Kommission, die über das weitere Vorgehen bei der Suche beraten soll. Bei den Atomkraftgegnern im Wendland dagegen ist Heinen-Esser verhasst.
Eigentlich sollte das Comeback in dieser Woche über die Bühne gehen. Für Donnerstag war die Wahl der Kommissionsmitglieder im Bundestag bereits angesetzt. Doch dann wurde der Punkt von der Tagesordnung gestrichen, weil die rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen massive Vorbehalte gegen Heinen-Esser hat. Und weil die Umweltverbände die Endlager-Kommission boykottieren, solange ihre Forderungen nach einer breiten gesellschaftlichen Debatte nicht erfüllt sind.
Der Konsens macht's kompliziert
Die Suche nach einem Endlager ist so kompliziert wie kaum ein anderes Vorhaben der Bundespolitik. Zwischen Atomkraftgegnern und -befürwortern tun sich immer wieder neue Gräben auf. Nur in einem Punkt sind sich alle einig: Es soll möglichst nur im Konsens entschieden werden. Mit allen Parteien, mit allen Bundesländern, mit der Akzeptanz von Umweltschützern und Atomindustrie.
Kann das funktionieren mit Ursula Heinen-Esser als Moderatorin? Sie war von 2009 bis 2013 Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, zuerst unter Norbert Röttgen, dann unter Peter Altmaier. Sie hat die Verlängerung der AKW-Laufzeiten mitgetragen, sie hat das neue Endlagersuchgesetz erarbeitet.
"Heinen-Esser steht für Gorleben"
Bei den Atomkraftgegnern im Wendland kommt das gar nicht gut an. „Die Personalie steht für Gorleben als Standort für ein Endlager“, sagt Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg. Besonders bitter stößt ihm der sogenannte Gorleben-Dialog auf, den Heinen-Esser geführt hat. Bürgerbeteiligung sei dabei nur vorgetäuscht worden. „Der Dialog zielte darauf, Gorleben als Standort festzuzurren.“
Ist Heinen-Esser eine begeisterte Gorleben-Befürworterin? Sie selbst möchte sich derzeit nicht öffentlich zu Fragen der Endlager-Kommission äußern. Der taz hat sie jedoch vor einiger Zeit verraten, dass sie zwar anfangs den Regierungskurs mitgetragen habe. „Aber im Laufe meiner intensiven Beschäftigung mit dem Thema Endlager habe ich gelernt, dass eine einseitige Festlegung auf Gorleben nicht funktionieren kann.“ Sie trete nun ein für einen „fairen Prozess mit gleichen Ausgangsbedingungen für alle Standorte“.
Ehmke nimmt ihr das nicht ab und verweist auf das Endlagersuchgesetz, das in ihrer Zeit als Staatssekretärin ausgearbeitet wurde. Darin wird tatsächlich Gorleben in Niedersachsen als einziger möglicher Standort mit Namen erwähnt, er bleibt also im Rennen.
Allerdings ist das eine verzwickte Sache: Der Salzstock ist jahrelang untersucht worden, das hat Milliarden gekostet. Es gibt nun also einen starken Anreiz, sich am Ende für Gorleben zu entscheiden – weshalb einige Kritiker fordern, dass der Standort von vornherein ausgeschlossen wird. Das aber würde einen Präzedenzfall schaffen und die ergebnisoffene Suche auch wieder in Frage stellen.
Keine Mehrheit für Gorleben-Kritiker
Wie umstritten Gorleben immer noch ist, hat der Untersuchungsausschuss in der vergangenen Legislaturperiode gezeigt. Während die Opposition in dem Standort das „Ergebnis politischer, willkürlicher Entscheidung“ sah, meinten Union und FDP in ihrem Abschlussbericht, die Erkundung sei „aus heutiger Sicht geradezu beispielhaft und fortschrittlich“ gewesen.
Auch bei der Zusammensetzung der Endlager-Kommission wird genau auf die Haltung zu Gorleben geachtet. Bundestagsparteien und Bundesländer schicken jeweils acht Politiker. Hinzu kommen acht Wissenschaftler, je zwei Vertreter von Wirtschaft, Gewerkschaften, Kirchen und Umweltverbänden, sowie der oder die Vorsitzende. Politiker sind nicht stimmberechtigt, unter den übrigen Mitgliedern dürfte sowohl den Gorleben-Befürwortern als auch den Kritikern die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit fehlen.
Also wird es keinen großen Wurf geben. Die Kommission soll unter anderem das Endlagersuchgesetz auswerten und Reformvorschläge machen – das war damals das Zugeständnis an die Opposition. Bei der geplanten Kommissionsbesetzung – es kursiert bereits eine Liste, jedoch ohne Vertreter der Bundesländer – dürfte es allenfalls ein bisschen Kosmetik geben, keine grundlegenden Korrekturen.
Aber es wird verhandelt. Über grundsätzliche Fragen zum Ablauf der Suche. Und zu den Endlager-Kriterien. Die Sitzungen sind öffentlich.
Grünen trauen ihr Moderationsrolle zu
Heinen-Esser könnte vermitteln, das trauen ihr sogar die Grünen im Bundestag zu. Die atompolitische Sprecherin Sylvia Kotting-Uhl sagt, sie habe bei der Erarbeitung des Endlagersuchgesetzes „beste Erfahrungen mit Ursula Heinen-Esser“ gemacht. „Natürlich musste sie an anderen Orten als Staatssekretärin auch Haltungen des Umweltministeriums vertreten, die bei Atomkraftgegnern nicht gut ankamen.“ In Medienberichten ist zu lesen, Heinen-Esser sei im Ministerium ein Gegengewicht zum Abteilungsleiter und Ex-Atommanager Gerald Hennenhöfer gewesen.
Sie wurde auch von einem überparteilichen Bündnis als Kommissions-Chefin vorgeschlagen: Im vergangenen Sommer hatten die Fachpolitiker von Union, FDP, SPD und Grüne die CDU-Politikerin als Idee ins Spiel gebracht. Vor wenigen Wochen haben dann die Fraktionsspitzen von Union und SPD im Hinterzimmer gekungelt und sich auf Heinen-Esser festgelegt.
Dass Heinen-Esser über Parteigrenzen hinweg anerkannt ist, liegt auch an ihrer Rolle bei der Erarbeitung eines Gesetzes zur schnelleren Bergung des Atommülls in der Asse, dem maroden niedersächsischen Bergwerk, das als „Versuchs-Endlager“ genutzt wurde. Die „Lex Asse“ wurde in der vergangenen Legislaturperiode gemeinsam von allen fünf Bundestagsfraktion erarbeitet, einer reinen Frauenrunde. Am Ende hat die Linke zwar doch nicht dafür gestimmt, aber schon die Zusammenarbeit ist im Bundestag eher ungewöhnlich.
Heinen-Esser war in der Zeit Staatssekretärin, hat auch in den Reihen der Union um Zustimmung geworben für das gemeinsame Vorgehen mit anderen Parteien und für den Dialog mit den Anti-Atom-Bürgerinitiativen in der Region. Maria Flachsbarth, damals die CDU-Berichterstatterin, sagt heute: „Natürlich mussten wir hier auch überzeugen.“
In der Union gibt es eben immer noch Atom-Hardliner, die an ihren alten Überzeugungen festhalten. Das könnte bei der neuen Endlagersuche zum Problem werden. Gerade deshalb halten es auch manche Grüne für strategisch klug, den Kommission-Vorsitz mit einer CDU-Politikerin zu besetzen, die dann ihre eigenen Leute mäßigen könnte.
Gegenteil einer unabhängigen Vorsitzenden
Allerdings ist Gorleben nicht die Asse. Es dürfte Heinen-Esser relativ leicht fallen, die Fehler zuzugeben, die Politiker vor vielen Jahren in der Asse gemacht haben. Ganz anders ist es hingegen bei den Fehlern, die sie womöglich selber bei der Erarbeitung des Endlagersuchgesetzes gemacht hat.
Atomkraftgegner wie Jochen Stay von Ausgestrahlt sind deshalb auch gegen die CDU-Politikerin. Heinen-Esser habe das Gesetz beschlossen, das nun von der Kommission auch evaluiert werden soll. „Sie wäre also genau das Gegenteil einer unabhängigen und unparteilichen Vorsitzenden der Atommüll-Kommission.“ Der linke Atompolitiker Hubertus Zdebel sieht das genauso. Und auch die niedersächsische Landesregierung stößt sich am „bisherigen Tätigkeitsbereich“ Heinen-Essers.
Die Umweltschützer streiken
Die meisten Umweltverbände sehen die Kommission generell kritisch und wollen deshalb keine Vertreter entsenden. Im Dezember vergangenen Jahres schrieben sie einen offenen Brief, in dem sie ihren Boykott erläuterten: Das Endlagersuchgesetz und die Kommission seien beschlossen worden, ohne zuvor breit darüber zu diskutieren. Zudem bleibe Gorleben im Rennen.
Ein möglicher Kompromissvorschlag der Umweltschützer sieht vor, dass die Kommission in einer ersten Phase nur das Gesetz evaluiert, das anschließend vom Bundestag überarbeitet wird. Erst in der zweiten Phase würde über die Grundsatzfragen zum Suchverfahren und zu den Endlagerkriterien gesprochen.
Neuer Vorschlag: Doppelspitze
Jetzt werden die Verbände wohl nochmal mit der Politik verhandeln. Dort gibt es inzwischen Bewegung. Die SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks schlägt nun eine Doppelspitze vor, aus Heinen-Esser und einer weiteren Person, die von den Bundesländern benannt werden soll – offenbar, um Niedersachsen zufrieden zu stellen.
Schon seit Monaten schwebt außerdem ein anderer Name im Raum: Klaus Töpfer. Der CDU-Politiker war früher Umweltminister, dann Exekutivdirektor beim UN-Umweltprogramm und hat einen guten Ruf bei Umweltverbänden. Allerdings kennt er sich mit der Atommüll-Problematik fachlich wohl nicht ganz so gut aus wie Heinen-Esser.
Im April soll die Kommission dann im Bundestag gewählt werden. Ob mit oder ohne Ursula Heinen-Esser an der Spitze.
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